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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 08.01.2002 06:00

ETH-Professor Jean-François Bergier am Ende seiner Mission
Die Krokodilshaut abstreifen

Mit dem Ende des Jahres 2001 fand eine historiographische Herkulesaufgabe ihren Abschluss: die Unabhängige Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (UEK) unter dem emeritierten ETH-Professor Jean-François Bergier hat ihre Mission erfüllt. Ein Rückblick auf fünf Jahre, die so ganz anders waren als das "ruhige" Dozentenleben.

Von Norbert Staub

Der ETH-Historiker, mit dessen Name jenes Kapitel Schweizer Geschichte verbunden bleiben wird, das die Öffentlichkeit in den letzten Jahren am meisten bewegt hat, wirkte gelöst: "Je ne regrette rien", sagte Jean-François Bergier anlässlich eines Mediengesprächs an der ETH zum Abschluss der Kommissionsarbeit Ende Dezember - genau fünf Jahre nach der eher überraschenden Anfrage des Bundesrates, ob er Chef einer internationalen Forschergruppe werden wolle. Der Auftrag: das (vor allem wirtschaftliche) Tun und Lassen der Schweiz in der Nazi-Zeit auszuleuchten.

Druckversuche abgewehrt

"Jetzt muss ich mich erst einmal von all den Emotionen befreien, die dieses Abenteuer mit sich brachte", so Bergier. Der eigentliche Schlusspunkt folgt erst im März 2002, mit der Publikation des Synthesebandes. Er sei stolz darauf, dass diese 500-seitige Studie trotz kultureller Unterschiede und methodischer Spannungen unter den Mitgliedern ohne "dissenting opinions" auskommt.

Mit ihren regelmässig veröffentlichten Teilstudien (am Ende wurden es 25) hat die UEK wissenschaftliches Neuland erschlossen. Aber was wohl ebenso bedeutend ist: noch nie waren die Augen der Öffentlichkeit so aufmerksam auf die Arbeit eines Historikerteams gerichtet. Das spürte insbesondere dessen Präsident: "Meine Hauptaufgabe war es, die Druckversuche von Politik und Medien aus dem In- und Ausland abzuwehren, damit die Forschungsarbeit in Ruhe verlaufen konnte", erklärt Bergier. Das war in mehrfacher Hinsicht nicht einfach: Einerseits konnte sich die Kommission auf ihre im Namen verbriefte "Unabhängigkeit" berufen - andererseits handelte sie im Auftrag des Staates; einerseits wurde auf grösstmögliche Transparenz Wert gelegt - andererseits war Vertraulichkeit ein Muss, wenn man in öffentlich nicht zugänglichen privaten Archive recherchierte.

Zwiespältiges Verhältnis zu den Medien

Ein Hochseilakt für den ETH-Historiker war auch das Verhältnis zu den Medien: "Manchmal wurden wir in einer wenig konstruktiven, ja verletzenden Art behandelt", hält er fest, um mit der "NZZ" gleich auch den Hauptadressaten seiner Enttäuschung zu nennen. Das Blatt hatte die Kommissionsarbeit jüngst unter dem Titel "Mission impossible" kritisch kommentiert, etwa deren wertender Approach "ex post", den "nebulösen" Forschungsplan und die angeblich ineffiziente Arbeitsorganisation. Plötzlich ins nicht immer freundliche Rampenlicht katapultiert zu werden, sei dem ans "ruhige Leben eines Professors gewöhnten" Forscher mitunter schwer gefallen, sagt Bergier.


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jean-francois bergier
Nach innen Koordination der UEK, gegen aussen Schutz vor Druckversuchen: so sah Jean-François Bergier seine Rolle. gross

Er habe als Selbstschutz denn auch eine "Krokodilshaut" entwickeln müssen, allerdings weniger im Ausland, wo der UEK grosse Anerkennung gezollt wurde - namentlich in den USA.

Die Arbeit ist getan; die Wirkung in der Bevölkerung muss sich noch einstellen. "Ich hoffe, die Debatte öffnet sich jetzt", meint Bergier. Neue historische Forschungsresultate fänden, "wenn man Glück hat", mit 50 Jahren Verspätung ihren Weg in die Schulbücher - wenn es diesmal weniger wären, würde er sich freuen. Eine Interpellation, die genau dies verlangt, hat die Zürcher Nationalrätin Vreni Müller-Hemmi im Parlament jedenfalls lanciert. Und das Berner Politforum Käfigturm will von April bis Juni dieses Jahres die Studien der UEK mit einer Ausstellung und Lesungen der drohenden Schubladisierung entreissen.

Handeln versus Verhandeln

25 ausführliche Studien zur Flüchtlingspolitik, zum Raubgold, zur Handels- und Wirtschaftspolitik - sind nun alle Schleier zur Schweiz während der Nazizeit gelüftet? Im Gegenteil: "Es gibt noch viel zu tun", gibt Jean-François Bergier zu bedenken. Allerdings sei es für einen einzelnen Staat wohl unmöglich, den Fokus zu erweitern. Gefragt sei jetzt sie supranationale Forschung. Ungeklärt bleibe zum Beispiel die Rolle der Eliten in dieser Epoche, der Grad an Vernetzung von Politik und Wirtschaft, und damit zusammenhängend die Frage, wer in der Schweiz wirklich die Macht ausübte. Denn überrascht habe ihn unter anderem, wie gross der Spielraum für die Wirtschaft noch in bedrängtester Lage war. Auf einen kurzen Nenner gebracht, könne man das Verhalten der beiden tonangebenden gesellschaftlichen Segmente so bezeichnen: "Die Wirtschaft handelte, der Staat wartete und verhandelte - letzteres machte er ausgezeichnet."

Endlich Pensionär

Jean-François Bergier ohne seine Kommission - ist das denkbar? Und ob: "Ich möchte jetzt endlich meinen Ruhestand merken", sagt er, der im Dezember seinen 70. Geburtstag feierte, mit einem Lächeln. Ganz ernst ist es ihm nicht damit. Seine vor Jahren aufs Nebengleis gefahrenen Grossprojekte harren noch immer der Realisierung: die Geschichte der Alpen vor allem, und die Geschichte der Banken - allerdings die weiter zurück liegende.


Literaturhinweise:
Website der Uabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg: www.uek.ch/
NZZ-Bericht vom 19. 12. 2001 zum Abschluss der Arbeit der Bergier-Kommission:http://archiv.nzz.ch



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