ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 13.06.2005 06:00

Fachzeitschrift PNAS zieht umstrittene Publikation zurück
Publizieren oder schweigen?

Bis zu welchem Punkt sollen wissenschaftliche Publikationen mit sicherheitsrelevanten Informationen veröffentlicht werden? Ein aktueller Fall aus den USA heizt die Diskussion neu an.

Von Felix Würsten

Der Fall ist ungewöhnlich und brisant. Ende Mai entschloss sich die renommierte Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) nach einer Intervention des US-Departments of Health and Human Services (HHS), ein bereits akzeptiertes Paper zumindest vorläufig nicht zu veröffentlichen. (1)In der umstrittenen Publikation zeigen Lawrence Wein und Yifan Lu von der Stanford University auf, was geschehen würde, wenn Terroristen eine kleine Menge Botulinumtoxin in eine Milchfabrik einschleusen würden, und wie Behörden und Milchindustrie dies konkret verhindern könnten.

Verseuchung entlang der Nahrungskette

Botulinumtoxin ist ein äusserst potentes Nervengift, das bereits in kleinsten Mengen tödliche Wirkung erzielt. (2) Das Szenario von Wein geht davon aus, dass sich Terroristen auf dem Schwarzmarkt Botulinumtoxin beschaffen und dieses irgendwo in einen Milchlaster schütten. In der Fabrik gelangt die kontaminierte Milch anschliessend in grosse Tanks, wodurch enorme Mengen an zusätzlicher Milch verseucht werden. Hundertausende Konsumentinnen und Konsumenten würden dann vergiftete Milchprodukte essen und trinken. Das Gesundheitssystem, so die Schlussfolgerung Weins, wäre in einem solchen Fall hoffnungslos überfordert. Wein fordert deshalb, dass die Kette der industriellen Nahrungsmittelverarbeitung als ganzes besser überwacht wird. So schlägt er etwa vor, die Milch bei der Anlieferung in die Fabriken auf Toxinspuren hin zu prüfen.

Das HHS stellte sich bei seiner Intervention nun auf den Standpunkt, das Paper stelle ein Sicherheitsrisiko dar. Die Möglichkeit von Botulinumtoxin-Anschlägen sei zwar in andern Arbeiten auch schon thematisiert worden. Weins Arbeit zeige Terroristen nun aber allzu detailliert auf, wie sie vorgehen müssten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Wein unabhängig vom PNAS-Paper in der New York Times Ende Mai über seine Studie einen relativ präzisen Artikel veröffentlichte.

Tödliche Manipulationen

Die Frage, ob Informationen, die von Terroristen potentiell missbraucht werden können, publiziert werden sollen oder nicht, wurde bereits vor drei Jahren kontrovers diskutiert. Damals veröffentlichte Ian Ramshaw von der Australian National University in Canberra eine Arbeit, in der er genau beschrieb, wie er Mäusepockenviren mit Hilfe von gentechnischen Methoden tödlicher machte. (3) Interessant ist, dass Ramshaw mit seiner Forschung ursprünglich ein ganz anders Ziel anstrebte. Er wollte einen an sich harmlosen Impfstoff entwickeln, um die lästige Mäuseplage in Australien zu bekämpfen.

Bereits im Februar 2003 haben sich die Herausgeber von mehreren Fachzeitschriften – darunter auch PNAS – in Washington getroffen, um das Vorgehen im Fall von solchen problematischen Publikationen zu besprechen. (4) Die Herausgeber waren sich einig, dass an der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Ergebnissen grundsätzlich festgehalten werden soll. Allerdings sei es in bestimmten Fällen angezeigt, Informationen nicht oder nur in abgeänderter Form zu publizieren. Sie verabschiedeten ein "Statement on Scientific Publication and Security", das in relativ allgemeiner Form die vereinbarten Grundsätze festhält. Angesichts des rasanten Fortschritts im Bereich Biotechnologie liegt es auf der Hand, dass nicht zum vornherein klar definiert werden kann, anhand welcher Kriterien im Einzelfall über die Veröffentlichung einer Arbeit entschieden werden soll.

Sensible Lebensmittelversorung

"Die Frage, was publiziert werden darf und was nicht, ist sehr umstritten", bestätigt Michael Guery von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik (CSS) (5) an der ETH Zürich. "Auf der einen Seite lebt die Wissenschaft vom gegenseitigen Austausch, und spätestens wenn man etwas patentieren will, muss man seine Daten offen legen. Auf der anderen Seite gibt es Dinge, die besser nicht veröffentlicht werden. Besonders heikel ist es, wenn in einer Arbeit 'Schaltpläne' beschrieben werden, die für einen Terroranschlag missbraucht werden könnten."


weitermehr

Der weiträumige Transport und die industrielle Verarbeitung von Lebensmitteln hat nicht nur Vorteile für die Gesellschaft, sondern bringt auch gewisse Risiken mit sich. gross

Im konkreten Fall von Weins Paper findet Guery die Intervention der Behörden angemessen. "Die Lebensmittelversorgung gehört zu den heikelsten Bereichen. Das hat auch eine Studie zur Situation in der Schweiz gezeigt. Man kann mit relativ wenig Aufwand viele Leute treffen, und die Täter haben gute Aussichten, unerkannt zu bleiben." Weniger problematisch findet der Bioterrorismusexperte hingegen die Publikation über die genmanipulierten Pockenviren. "Solche Viren zu manipulieren erfordert doch einiges an mikrobiologischem Know-how. Das ist eine gewisse Hürde für Terroristen. Wichtig ist, dass man mögliche Täter nicht in Ruhe solche problematischen Substanzen entwickeln lässt." Nach Ansicht von Guery wäre es besonders wichtig, die vorhandenen Sicherheitslücken bei der Nahrungsmittelproduktion zu schliessen – so wie dies Wein in der New York Times auch gefordert hatte.

Profilierungssucht als Motiv?

Dass Weins Arbeit nicht veröffentlicht wurde, dafür hat auch Hauke Hennecke, Professor am Institut für Mikrobiologie (6), Verständnis. "Ich habe die Arbeit zwar nicht gelesen und kann deshalb kein wirklich fundiertes Urteil fällen. Aber auf Grund der Medienberichte bin ich doch erstaunt, dass die Studie überhaupt in PNAS publiziert werden sollte." Hennecke schliesst nicht aus, dass der Autor von einer gewissen Profilierungssucht getrieben sein könnte. "Mit seinem Vorgehen sucht er bewusst öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei verunsichert er die Bevölkerung, und das finde ich fragwürdig." Wein selbst möchte sich zur umstrittenen Arbeit nicht mehr äussern, bis definitiv entschieden ist, was mit dem Paper geschieht.

Nicht zuletzt auch um solche Fälle zu vermeiden wurde nun in den USA das National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) (7) gegründet, das sich im Juni 2005 erstmals treffen wird. Es setzt sich aus Wissenschaftlern und Sicherheitsexperten zusammen und soll ein Review-System für die staatlich geförderte Biotechnologieforschung etablieren. Den Einsatz von solchen Gremien findet Hennecke grundsätzlich sinnvoll. "Die Aufgabe von solchen Institutionen sollte sein, auftauchende Probleme zu antizipieren", meint er. "Aber man muss auch aufpassen, dass man nicht hysterisch wird. Die Gesellschaft muss sich bewusst sein, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Der Einfallsreichtum von Terroristen ist unbeschränkt."

Moralische Verpflichtung der Forscher

Gigi Kwik Grönvall vom Center for Biosecurity an der University of Pittsburgh (8) weist darauf hin, dass die heutigen Risiken bisher nie gekannte Dimensionen erreichen. Für die Biosicherheitsexpertin, welche dieses Frühjahr eine grosse internationale Konferenz zum Thema Biosicherheit (9) organisierte, ist klar, dass sich die Wissenschaftler der Verantwortung für ihr Tun stellen müssen. "Die Forschenden haben die moralische Verpflichtung, Missbrauch ihrer Forschung zu verhindern und auf mögliche Risiken aufmerksam zu machen."

Der Appell an die Verantwortung ist nicht ganz ohne Tücken. Was in der biologischen Forschung zu tun und zu lassen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Amerikaner Mark Buller von der University of St. Louis etwa ging mit seiner Forschung noch einen Schritt weiter als Ramshaw. Er "verbesserte" gezielt die Effizienz der tödlichen Mauspockenviren und wendete das Verfahren auch bei Kuhpockenviren an. Diese wiederum können auch Menschen anstecken. Während Ramshaw denn Sinn dieser Experimente hinterfragte, verteidigte sich Buller mit dem Argument, es gehe darum herauszufinden, was Bioterroristen alles anstellen könnten.


Fussnoten:
(1) Science, Vol. 308, S. 1395 (2005). Siehe auch "US-Behörde stoppt Studie über Milch-Vergiftung". Spiegel online, 7. Juni 2005. www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,359432,00.html
(2) Botulinumtoxin (auch Botox genannt) gilt als das potenteste bekannte Gift. Botulinumtoxin wird auch in der Medizin eingesetzt. Man behandelt damit spastische Anfälle und Augenschielen. In der Schönheitschirurgie wird die Substanz zudem zur Behandlung von Falten verwendet.
(3) siehe dazu: "US develops lethal new viruses". New Scientist, 29. Oktober 2003. www.newscientist.com/article.ns?id=dn4318
(4) "Uncensored exchange of scientific results". PNAS, Vol. 100, p. 1464, 18. Februar 2003. www.pnas.org/cgi/content/full/100/4/1464
(5) Homepage des CSS: www.css.ethz.ch/
(6) Homepage des Instituts für Mikrobiologie: www.micro.biol.ethz.ch/
(7) Informationen zum NSABB: www.biosecurityboard.gov/
(8) Homepage des Center for Biosecurity: www.upmc-biosecurity.org/
(9) Unterlagen zum Kongress finden sich unter: www.upmc-biosecurity.org/pages/events/biosafety/report.html



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!