ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 27.03.2007 06:00

Teilchenphysik der ETH am CERN
Hoffnungsvoll auf Kollisionskurs

Der Compact Muon Solenoid (CMS), einer der grössten Teilchendetektoren der Welt, ist am Europäischen Labor für Teilchenphysik CERN in Genf zur Hälfte installiert. Sein Magnet hat den ersten Test bestanden. Am 22. März wurde dies mit über 200 geladenen Gästen und Journalisten aus der ganzen Welt gefeiert. Die Möglichkeit, dass ETH-Forschende bald Phänomene untersuchen können, wie sie auch kurz nach dem Ursprung des Universums aufgetreten sind, rückt in Reichweite.

Gabrielle Attinger

Das Werkgebäude vor dem französischen Dörfchen Cessy mit dem simplen Namen Point 5 sieht unspektakulär aus: Ein hoher Wellblechklotz fast ohne Fenster und ohne Beschriftung liegt hier mitten im Feld. Nur am bügelartigen roten Kran, der über dem Gebäude liegt, steht auf einem Schild „heavy lifting“. Dies ist eine sehr bescheidene Umschreibung dessen, was im Innern des Gebäudes vor sich geht: Mit dem Kran wird einer der grössten und schwersten je gebauten Teilchendetektoren scheibenweise in die Experimentkaverne 100 Meter unter der Erdoberfläche gesenkt. Das grösste Segment, der 16 Meter hohe Mittelteil mit dem 13 Meter langen Magneten, wiegt ca. 2000 Tonnen, so viel wie fünf Jumbojets zusammen.

Führung mit Experten

Ende Februar wurde dieser Teil in einer zehnstündigen Prozedur in die Kaverne hinuntergelassen. Letzte Woche nun luden die Forschenden des CERN Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Politiker sowie Medien aus der ganzen Welt ein, die Konstruktion des Detektors in der Kaverne zu besichtigen. Felicitas Pauss, ETH-Professorin für Teilchenphysik und Vice Chairperson des Collaboration Boards, begrüsste die Gäste in der hohen Fabrikhalle. Professor Tejinder Virdee, der Sprecher des CMS-Experiments, hielt eine Rede, gefolgt von Robert Aymar, dem Generaldirektor des CERN. Dann wurden die Gäste von den CERN-Forschenden in kleinen Gruppen in den unterirdischen Teil der Anlage geleitet. Günther Dissertori, ETH-Professor für Teilchenphysik und Projektleiter des Detektor-Kontrollsystems am CMS, übernahm zusammen mit den ETH-Mitarbeitenden Fancesca Nessi und Gerard Faber die Führung der Schweizer Besucher, darunter ETH-Vizepräsident Dimos Poulikakos und ETH-Professor Hans Ruedi Ott. Mit einem Lift fährt man in eine Service-Kaverne hinab, von welcher ein schmaler Korridor in die grosse Kaverne führt. Sieben Meter Beton trennen die beiden Höhlen. „Sie sorgen dafür, dass man auch dann in der Service-Kaverne arbeiten kann, wenn CMS einmal in Betrieb ist“, erklärt Dissertori. Noch ist die gigantische Halle aber erst halb gefüllt. Die schier unglaubliche Dimension des Projekts ist dadurch besonders gut sichtbar. Tonnen von silbernem, rot und blau beschichtetem Metall umfassen die Trommel, in die der Solenoid, der supraleitende Magnet eingebaut ist. Eine unglaubliche Menge von blauen Kabeln verbindet die Einzelteile. Ungefähr in der Mitte der Halle ist der 100 Meter lange Schacht zu sehen, durch den die Einzelteile in die Kaverne gesenkt werden. Eine Präzisionsarbeit: Nur 20 Zentimeter Spielraum blieb beim Herablassen des grossen Mittelteils zwischen der Schachtwand und dem CMS-Element.

Forschung mit Einstein

Im Sommer 2007 soll die letzte Scheibe in der Kaverne unten ankommen. Ende 2007 wird CMS voraussichtlich in Betrieb genommen. Bis dann wird auch der Teilchenbeschleuniger fertig sein. Der Large Hadron Collider LHC wird in einem 27 Kilometer langen Tunnel gebaut. Dies ist die grösste Anlage dieser Art der Welt und beherbergte bereits den Large Electron-Positron-Collider LEP, der 1989 in Betrieb ging und im Jahr 2000 abgestellt wurde. Im LHC werden Protonen auf über 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Im Zentrum von CMS werden diese Teilchen zur Kollision gebracht. Nach Einsteins Formel E = mc2: Energie gleich Masse mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, wird dabei Energie in Materie verwandelt. Diese Materie, in Form von neuen Teilchen, wird gemessen und untersucht. Jene Teilchen, welche elektrisch geladen sind, werden mittels des vier Tesla starken Magneten – das entspricht dem Hundertausendfachen des Erdmagnetfeldes – auf Kreisbahnen abgelenkt, woraus man schliesslich deren Impuls bestimmen kann. Es sollen Antworten auf die Fragen gefunden werden, was die kleinsten Bausteine der Materie sind, welche Kräfte zwischen ihnen herrschen, und ob es bisher unentdeckte Teilchen und Wechselwirkungen gibt.


weitermehr

Das Herz des Giganten: In der Experimentkaverne wird das mittlere CMS-Segment mit dem Magneten installiert gross

ETH-Runde in der Fabrikhalle: (v.l.) Lisa und Dimos Poulikakos, Felicitas Pauss, Günther Dissertori, Paul Burkhard (SNF), Hans Ruedi Ott (Fotos: Christian Haller) gross

„Mit CMS sind wir imstande, die Bedingungen der ersten Augenblicke nach dem Urknall zu studieren“, erklärt Felicitas Pauss. Augenblick heisst in diesem Zusammenhang: ein Hundertstel einer Milliardstel Sekunde. Mit CMS werden die CERN-Forschenden also in der Lage sein, Mini-Big-Bangs zu erzeugen. Die Erkenntnisse, die daraus hervorgehen, werden laut Pauss nicht nur die Vergangenheit des Universums erklären, sondern in Zusammenarbeit mit Astrophysikern und Kosmologen auch Vorhersagen für dessen Weiterentwicklung ermöglichen.

Suche nach dem Higgs-Boson

Insgesamt arbeiten mehr als 2000 Forschende aus 155 Instituten in 37 Ländern am CMS-Projekt. „Dass 2000 Leute am selben Strick ziehen, ist nicht immer einfach zustande zu bringen“, weiss Felicitas Pauss. Doch sie ist überzeugt, dass die nächsten Jahre die spannendsten in diesem Forschungsgebiet werden. Welche Erkenntnisse als erste gewonnen werden, will sie allerdings nicht abschätzen. „Wir könnten eventuell auch ganz anderes entdecken, als wir aufgrund der gängigen Theorien erwarten“, meint sie. Eine der grossen Fragen, die CMS beantworten könnte, ist die Existenz des Higgs-Boson. Die Wissenschaft nimmt an, dass der Raum mit einem Higgs-Feld gefüllt ist und dass die Teilchen in diesem Feld ihre Masse bekommen. Teile, die stark mit dem Feld interagieren, werden schwer, andere bleiben leicht. Dafür verantwortlich soll das Higgs-Boson sein. Die Existenz dieses Teilchens konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Wenn es aber existiert, wird man es mit der neuen Anlage voraussichtlich entdecken. „CMS wird eine so unglaublich grosse Menge von Daten aufzeichnen, dass wir auch äusserst seltene Phänomene nachweisen können“, erläutert Felicitas Pauss dazu.

Schonung der Landschaft

CMS ist einer von insgesamt vier Teilchendetektoren, die am LHC Daten nehmen werden. Insgesamt ist die Forschung mit dem LHC das grösste je durchgeführte wissenschaftliche Projekt der Grundlagenforschung – und wird laut Voraussagen unsere Sicht auf das Universum grundlegend verändern. Die Sicht der Anwohner auf den Point 5 wird sich indes schon verändern, wenn die letzte Scheibe des CMS in der Experimentierkaverne angekommen ist. Dann wird das Wellblechgebäude in seiner Höhe deutlich reduziert. „Das wurde den Anwohnern vor Baubeginn versprochen“, erzählt Günther Dissertori. Zu Recht: Das Gebäude ist zwar unspektakulär, aber viel zu massig in dieser ländlichen Umgebung.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!