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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.05.2005 06:00

Internationaler Workshop am Centro Stefano Franscini
Virtueller Wiederaufbau

Ausgrabungsstätten und Museumsstücke werden heute zunehmend mit raffinierten technischen Mitteln erfasst und visualisiert. Dies eröffnet neue Perspektiven für die Untersuchung und Dokumentation von Kulturgütern.

Von Felix Würsten

Die Archäologie und Kunstgeschichte erlebt zur Zeit einen markanten technischen Umbruch. Neue Geräte wie etwa 3D-Laserscanner und ausgeklügelte Software-Produkte revolutionieren die Erfassung, Katalogisierung und Konservierung von Kulturgütern unterschiedlichster Art. Gleichzeitig bietet sich den Museen die Chance, bei der Vermittlung historischen Wissens neue Wege zu beschreiten. Wie faszinierend und vielfältig die Möglichkeiten heute sind, zeigt ein internationaler Workshop, den die beiden ETH-Professoren Armin Grün vom Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (1) sowie Luc van Gool vom Communication Technology Labor diese Woche im Centro Stefano Franscini in Ascona (s. Kasten) zum Thema "Recording, Modeling and Visualization of Cultural Heritage" durchführen.

Beliebige Profile durch Grabungen

Der Wandel setzt bereits bei den archäologischen Ausgrabungen ein. Dank den neuen Geräten können heute die einzelnen freigelegten Schichten kontinuierlich digital in dreidimensionaler Auflösung dokumentiert werden. Dies ermöglicht es unter anderem, zu einem späteren Zeitpunkt beliebige vertikale Profile durch die Ausgrabungsstätte zu legen. Dies sei vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen, meinte etwa Michael Doneus von der Universität Wien. Geographische Informationssysteme erlauben es zudem, unterschiedlichste Informationen von Grabungen – etwa die Position von Fundstücken oder flächendeckende geophysikalische Messungen – miteinander zu verknüpfen und in dreidimensionalen Geländemodellen darzustellen. Bei der anschliessenden Erfassung und Katalogisierung der Fundstücke werden die wertvollen Gegenstände nicht mehr nur abgezeichnet und fotografiert, sondern immer häufiger auch mit 3D-Scannern erfasst. Die so registrierten Objekte können anschliessend auf dem Bildschirm von allen Seiten betrachtet werden. Wo gewünscht, werden fehlende Teile virtuell ergänzt.

Obwohl der technische Fortschritt beachtlich ist, zeigten sich die versammelten Experten noch nicht restlos zufrieden. In verschiedenen Bereichen gibt es tatsächlich noch einige Probleme zu lösen. Bei komplexen Objekten – und dies ist bei wertvollen Kunstgegenständen häufig der Fall – gelangen 3D-Scanner schnell einmal an ihre Leistungsgrenzen. Der Anwender bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite möchte er möglichst detailgetreue Aufnahmen, damit feine Strukturen, die aus kunsthistorischer Sicht besonders interessant sind, erkennbar werden. Auf der anderen Seite muss man aufpassen, dass durch eine zu hohe Auflösung nicht Artefakte entstehen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Am Workshop wurden einige Vorschläge gemacht, wie man etwa die Erfassung mit 3D-Lasern verbessern könnte. Die teilweise angeregten Diskussionen zeigten, dass es dabei um mehr als nur technische Finessen geht.

Hollywood prägt Geschichtsbild

Positiv vermerkt wurde am Workshop, dass die neuen Visualisierungstechniken interessante pädagogische Perspektiven eröffnen. Ein virtueller Rundgang durch das Schloss Neuschwanstein in Bayern oder die Rekonstruktion einer antiken Stadt, bei der die Bauten in ihrer ganzen Pracht erscheinen, stösst auch bei Laien auf reges Interesse. Das Ziel müsse sein, Geschichten zu erzählen, die Kulturgüter in ihrem historischen Kontext zeigen, forderte etwa Pierre Boulanger von der University of Alberta. Die opulenten Hollywood-Filme hätten das Bild, das sich die breite Bevölkerung von der Römerzeit macht, stärker geprägt als die trockenen, wissenschaftlich korrekten Ausstellungen in den Museen.

Dass die heutigen Möglichkeiten, zerstörte Kulturgüter wieder auferstehen zu lassen, die Öffentlichkeit faszinieren, zeigt sich auch am Beispiel der Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan. Armin Grün, Professor am Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Zürich, hat im Rahmen eines Projektes (2) mit seinem Team die mächtigen Felsstatuen rekonstruiert. "Am Anfang unseres Projekts stand eigentlich eine wissenschaftliche Frage. Wir wollten untersuchen, wie man ein Objekt, von dem nur vereinzelte Bilder vorliegen, digital nachbilden kann. Als die Statuen von den Taliban im Jahr 2001 zerstört wurden, erhielt unser Projekt ungeahnte Aktualität."

Die ETH Forscher haben für ihre Arbeit völlig unterschiedliche Bildquellen miteinander kombiniert. Die Palette reicht von Satellitenaufnahmen bis hin zu alten Touristenfotos. Ob die virtuell rekonstruierten Statuen tatsächlich wieder erstellt werden, ist zur Zeit noch unklar. "Nächste Woche findet in Afghanistan eine grosse Konferenz statt, die Klarheit schaffen sollte", erklärt Armin Grün. "Letztlich müssen die Afghanen selbst entscheiden, ob sie die Statuen wieder aufbauen wollen, ob die Statuen mit Laserprojektionen virtuell auferstehen sollen oder ob die Felsnischen auch künftig leer bleiben."


Basierend auf verschiedenen Bildquellen hat die Arbeitsgruppe von Armin Grün die zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan rekonstruiert. Links: Ansicht des 3D Modells der leeren Nische. Rechts: Ansicht des 3D Modells des rekonstruierten Grossen Buddhas. gross

Die Gruppe Shrag Uldusł unter der Leitung von Farkrhaddin Gavarof (orientalischer Stern) spielte am Dienstag im Centro Stefano Franscini auf. gross


Das Centro Stefano Franscini

Seit 1989 verfügt die ETH Zürich auf dem geschichtsträchtigen Monte Veritą oberhalb von Ascona über ein internationales Tagungszentrum, das im Bauhausstil gebaut wurde. Das Centro Stefano Franscini (CSF) (3) – benannt nach dem Tessiner Bundesrat Franscini, der 1854 eine wichtige Rolle bei der Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums spielte – führt jedes Jahr zwischen 20 und 25 wissenschaftliche Konferenzen durch; diese werden zu einem grossen Teil von Professorinnen und Professoren der ETH Zürich organisiert. Das CSF steht aber auch Forschenden anderer Schweizer Hochschulen offen, die in einer ruhigen Umgebung mit Gästen aus dem In- und Ausland über wissenschaftliche Fragen debattieren möchten.

Gesuche zur Durchführung einer Konferenz im CSF können von Professorinnen und Professoren an Schweizer Universitäten oder Forschungsinstitutionen gestellt werden. Die Ausschreibung für das Jahr 2007 läuft bis am 31. Oktober 2005. Das Antragsformular kann unter der Rubrik News auf der Homepage des CSF heruntergeladen werden.

Das Konferenzzentrum wird von der Stiftung Monte Veritą verwaltet, die ebenfalls wissenschaftliche und kulturelle Anlässe, meist zusammen mit dem Departement für Erziehung, Kultur und Sport des Kantons Tessin, durchführt. Das CFS organisiert zudem regelmässig Anlässe für die breite Öffentlichkeit. Diese orientieren sich thematisch an den jeweiligen Konferenzen. Begleitend zum gegenwärtig laufenden Workshop "Recording, Modeling and Visualization of Cultural Heritage" fand beispielsweise am Dienstag ein Afghanistan-Abend auf dem Monta Veritą statt. Auf dem Programm standen ein allgemein verständlicher Vortrag über die Rekonstruktion der Buddha-Statuen von Bamiyan, ein afghanisches Buffet sowie ein Konzert der Gruppe "Shrag Uldusł", die mit traditionellen Instrumenten Musik aus Ländern entlang der Seidenstrasse spielt.




Fussnoten:
(1) Homepage des Lehrstuhls für Photogrammetrie und Fernerkundung: www.photogrammetry.ethz.ch
(2) Informationen zum Projekt finden sich unter www.photogrammetry.ethz.ch/research/bamiyan/
(3) Homepage des CSF: www.csf.ethz.ch/



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