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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.02.2007 06:00

Neues Modell zur Verteilung der Materie
Warum kleine Galaxien so dunkel sind

Kleine Galaxien besitzen bedeutend weniger sichtbare Materie als grosse. Warum dies so ist, kann ETH-Forscher Lucio Mayer mit einem neuen Modell erklären. Entscheidend ist demnach die Phase, während der sich kleine und grosse Galaxien näher kommen.

Felix Würsten

Der grösste Teil des Universums ist für uns nicht sichtbar. 90 Prozent des Alls bestehen aus der dunklen Materie und der dunklen Energie, über deren genaue Zusammensetzung Physiker schon seit längerem rätseln. Unklar ist aber nicht nur, aus welchen Teilchen die dunkle Materie genau besteht, sondern auch, warum der Anteil an sichtbarer, auch baryonische genannter Materie, aus der unsere erfahrbare Welt aufgebaut ist, in den verschiedenen Galaxien so unterschiedlich ist. Grosse Galaxien wie beispielsweise die Milchstrasse oder der Andromedanebel besitzen rund 10 Prozent sichtbare Materie. Die kleinen Galaxien jedoch, welche um die grossen kreisen, weisen bedeutend weniger baryonische Materie auf. Sie sind damit die dunkelsten Galaxien im All.

Druck im Halo

Eine gängige Theorie, mit der die ungleiche Verteilung erklärt werden soll, postuliert, die sichtbare Materie sei in der frühen Phase des Universums tendenziell eher von den grösseren Galaxien angezogen worden. Das Problem dabei ist, dass sich mit dieser Theorie Widersprüche zum gängigen kosmologischen Modell ergeben. Lucio Mayer, Förderprofessor am Institut für Astronomie der ETH Zürich präsentiert nun zusammen mit Forschern der Universität Zürich und einem kanadischen Kollegen in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Nature" (1) ein Modell, das die ungleiche Verteilung der sichtbaren Materie ohne Widersprüche zum Standardmodell erklären kann.

Jede Galaxie besitzt ein Halo aus gasförmiger heller Materie, erläutert Mayer. Nähert sich nun eine kleine Galaxie einer grösseren, dann wirken auf sie zunächst enorme Anziehungskräfte. Dies führt zu einer Verzerrung der kleinen Galaxie. Entscheidend ist nun die Phase, während der die kleine Galaxie das Halo der Grossen passiert. Die gasförmige baryonische Materie der kleinen Galaxie wird im Halo der grossen Galaxie einem hydrodynamischen Druck ausgesetzt und dadurch regelrecht "weggeblasen". Die Computersimulation von Mayer verdeutlicht, wie man sich das konkret vorstellen muss: Hinter der kleinen Galaxie entwickelt sich ein regelrechter Schweif aus heller gasförmiger Materie.

Zeitpunkt ist entscheidend

Unter den Bedingungen, wie sie heute im Weltall herrschen, führt dies bei der kleinen Galaxie kaum zu einem nennenswerten Verlust an sichtbarer Materie, ist diese doch zum überwiegenden Teil in den Sternen gebunden. Etwas anders sah die Situation jedoch vor mehr als 10 Milliarden Jahren aus. Damals hatte sich ein Grossteil der baryonischen Materie in den kleinen Galaxien noch nicht zu Sternen verdichtet. Eine kleine Galaxie, die unter den damaligen Bedingungen das Halo einer grossen Galaxie durchquerte, verlor deshalb einen grossen Teil ihrer sichtbaren Materie.

Mit diesem Ansatz kann Mayer nicht nur erklären, warum kleine Galaxien viel weniger helle Materie haben als grosse und warum sie häufig eine verzerrte Form haben. Der Forscher kann auch ein anderes Rätsel lösen, das die Astronomen schon seit längerem beschäftigt. Rund um die Milchstrasse oder den Andromedanebel hat man bisher 10 bis 20 kleine Galaxien entdeckt. Eigentlich würde man jedoch fünf bis zehnmal mehr solcher Objekte erwarten. Mayer vermutet, dass es in Wahrheit viel mehr kleine Galaxien gibt, als wir beobachten können. Wenn eine kleine Galaxie zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als sie überhaupt noch keine Sterne besass, sondern die sichtbare Materie nur gasförmig vorlag, das Halo einer grossen Galaxie durchquerte, verlor sie praktisch ihre gesamte helle Materie. Eine solche Galaxie besteht seither nur noch aus dunkler Materie, und deshalb können wir sie nicht mehr direkt beobachten.

In den letzten Jahren habe sich die Astrophysik intensiv mit der dunklen Materie auseinandergesetzt, hält Mayer fest. "Doch wenn man verstehen will, wie sich das Universum im Laufe der Zeit entwickelt hat, dann muss man eben auch verstehen, was mit der hellen Materie geschieht, auch wenn sie nur eine kleinen Teil des Universums bildet."


Oben: Simulation der Verteilung der Sterne in einer kleinen Galaxie im ursprünglichen Zustand. Die Galaxie weist eine scheibenförmige Form auf. Mitte links: Wenn sich die kleine Galaxie der grossen Galaxie nähert, wird ihre Form durch die Anziehungskräfte deformiert. Mitte rechts: Die gasförmige baryonische Materie der kleinen Galaxie wird durch den hydrostatischen Druck im Halo der Grossen "weggeblasen"; es bildet sich ein langer Schweif. Der helle Punkt in der Mitte zeigt die Galaxie mit den Sternen. Unten links: Eine kleine Galaxie, welche sich der grossen Galaxie stark genähert hat. Die Form der Galaxie ist nun fast kugelförmig. Unten rechts: Aufnahme der realen Galaxie Sculptor, welche unsere Milchstrasse umkreist. Sie weist eine ähnliche Form auf wie die Galaxie in der Aufnahme unten rechts. gross


Fussnoten:
(1) (1) Mayer, L., et.al.: Early gas stripping as the origin of the darkest galaxies in the Universe. Nature, Vol. 445 (7218), S. 738 (2007).



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