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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.02.2001 06:00

Jetzt geht es an die Entschlüsselung der Gene
Anfang statt Durchbruch

"Die Kartierung des menschlichen Erbguts ist nicht ein wissenschaftlicher Durchbruch, sondern ein wissenschaftlicher Anfang", betont der Genom-Sequenzierer Michael Göttfert. Jetzt geht die Erforschung der Gene erst richtig los. Das menschliche Genom sei an der ETH tatsächlich kein Hauptthema gewesen. "Jetzt, in der Folge der neuen Erkenntnisse wird es für uns interessant", so der Zellbiologe Hans Eppenberger.

Von Jakob Lindenmeyer und Regina Schwendener

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des internationalen Human Genome-Projekts und der amerikanischen Firma Celera Genomics veröffentlichten gestern in den Fachmagazinen "Nature"[1] und "Science"[2] gleichzeitig ihre detaillierten Karten des menschlichen Erbguts. Vor zehn Jahren ist das staatlich finanzierte internationale Human Genome-Projekt lanciert worden, an dem sich 20 Forscherteams beteiligten. Sie erhielten private Konkurrenz durch den amerikanischen Genetiker Craig Venter. Venter ist der Meinung: "Die ganze Biologie beginnt jetzt von vorn." Er ist überzeugt, dass das Resultat der vorliegenden Arbeit die Grundlage für Entdeckungen sein wird, die mögliche Heilungen und Behandlungen für Krankheiten bringen.

Pionier an der ETH

Auch an der ETH gab es bereits vor sieben Jahren einen Pionier auf dem Gebiet der Sequenzierung ganzer Genome im grösseren Massstab. Professor Michael Göttfert forscht auf dem Gebiet der natürlichen Stickstoff-Düngung in Leguminosen wie der Sojabohne. Zum besseren Verständnis der Symbiose sequenzierte er während drei Jahren 440'000 Basenpaare des Bakteriums Bradyrhizobium japonicum. Dies entspricht rund 5% der Gesamtlänge des gesamten Genoms. Zum Vergleich: Mit den heutigen modernen Apparaten wären die restlichen 95% oder 8,3 Millionen Basenpaare innert nur drei Monaten sequenziert.

Genkarte
Die Genkarte des des Bakteriums Bradyrhizobium. In Violett die sequenzierten 5% des Genoms, in der alle Symbiose-spezifischen Gene liegen. Details durch Draufklicken. (Quelle: Michael Göttfert [3]) gross

Wieso hat sich die ETH nicht schon Mitte der neunziger Jahre auch mit dem menschlichen Genom befasst? Dazu meint Göttfert, der mittlerweile eine Professur an der Technischen Universität Dresden belegt: "Für die ETH war es finanziell nicht möglich, sich massgeblich am menschlichen Genomprojekt zu beteiligen." Nur grosse Staaten seien in der Lage, solch riesige Geldsummen zu investieren. Der Zellbiologe-Professor Hans Eppenberger bestätigt: "Das menschliche Genom war an der ETH tatsächlich kein Hauptthema. Jetzt, in der Folge der neuen Erkenntnisse, wird es für uns interessant." Eppenberger verweist in diesem Zusammenhang auf die grad kürzlich von der Schulleitung definierten Zukunftsbereiche der ETH, zu denen auch der Bereich "Functional Genomics" gehört [4]. Es werde spannend werden, an der weiteren Entschlüsselung der Gene und ihrer Proteine zu arbeiten. Denn so, wie es aussieht, kommunizieren die Gene über ein Netzwerk , das in verschiedenen Spezies durchaus unterschiedlich geknüpft werden kann, vermutet Eppenberger.

HFischer
Hans-Martin Fischer: "Es macht keinen Sinn, ein ganzes Genom mit unseren Steinzeitdurchsätzen selbst zu sequenzieren."

Steinzeitdurchsätze

Auch für Michael Göttfert herrscht momentan Aufbruchstimmung: "Die Kartierung des menschlichen Erbguts ist nicht ein wissenschaftlicher Durchbruch, sondern ein wissenschaftlicher Anfang." Dass nach der Sequenzierung die Arbeit erst richtig los geht, merkt auch Hans-Martin Fischer vom Institut für Mikrobiologie der ETH: "Bei uns wird zwar recht viel sequenziert, aber ich glaube kaum, dass die Sequenzdaten erschöpfend ausgewertet werden, da wir zu wenig mit qualifizierten Bioinformatikern zusammenarbeiten."


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Goettfert
Michael Göttfert: "Patente auf Genen schaden der Wissenschaft mehr als sie nützen."

Komplexität durch Gene?

Gerne würden Fischer und Göttfert zusammen mit weiteren Gruppen das ganze Genom des stickstofffixierenden Bakteriums sequenzieren. Bei der Finanzierung steckt Fischer allerdings in einem Dilemma: "Einerseits macht es keinen Sinn, ein ganzes Genom mit unseren Steinzeitdurchsätzen selbst zu sequenzieren." Andererseits bekomme man aus den stellenfixierten Nationalfonds- und ETH-Budgets nicht so leicht eine Million zusammen für die Sequenzierung bei einer kommerziellen Firma.

Den Menschen hat man aufgrund der Konkurrenz durch die kommerzielle Firma Celera bereits vollständig durchsequenziert, allerdings nur 26'500 bis 40'000 Gene gefunden. Bisher war man von geschätzten 100'000 Genen ausgegangen. Wie konnte man sich derart verschätzen? Hans Eppenberger erklärt, dass man durch Extrapolation zum Beispiel der Chromosomenzahl und der entsprechenden DNA-Menge zu einem solchen Ergebnis kommen kann. Mit den jetztigen rund 30'000 Genen liegt man nicht so weit weg von der Genzahl der Taufliege Drosophila. Die Entschlüsselung würde dadurch jedoch nicht einfacher. Sogenannte Splice-Produkte könnten tatsächlich die Zahl der exprimierten Proteine wieder wesentlich vergrössern.

Eppenberger
Professor Hans Eppenberger stellt fest, dass Mensch und Tier zwar die gleichen Genaktivitäten nutzen, aber der Mensch im Vergleich zur Fliege trotzdem nicht fliegen kann. gross

Sind wir als Menschen nicht viel komplexer als eine Fliege ? - Die Komplexität hänge nicht unbedingt mit der Anzahl der Gene zusammen. Im Prinzip produzieren Gene verschiedener Spezies das gleiche Produkt. Diese werden aber unterschiedlich verwendet, so Eppenberger. "In Muskelzellen von Tier und Mensch beobachten wir zwar die gleichen Genaktivitäten, müssen aber doch zum Schluss kommen, dass sie vom Menschen anders genutzt werden, ganz im Gegensatz zur Drosophila können wir zum Beispiel nicht fliegen."

"Open-source" im Genombereich

Apropos Nutzen - die Ergebnisse werden jetzt zur Weiterbearbeitung an Interessierte verkauft. Widerspricht das nicht dem Geist der Wissenschaft? - Hans Eppenberger gibt zu: "Jetzt geht es um Lizenzen und enorme wirtschaftliche Interessen." Das Interesse von Pharmaindustrie und Biotech-Unternehmen bestimmte Sequenzen zu kaufen, sei natürlich gross, um zum Beispiel therapeutisch wirksame Substanzen herzustellen.

Auch der Genom-Sequenzierer Michael Göttfert hat über eine Patentierung der von ihm entdeckten Gene nachgedacht, sich dann aber dagegen entschieden. "Patente auf Genen schaden der Wissenschaft mehr als sie nützen", meint er und präzisiert seine "Open-source"-Philosophie im Genombereich: "Gensequenzen sollten wie Strassen als Infrastruktur für alle kostenlos zugänglich und verwendbar sein."

Ethik-Aspekt ist untergegangen

Wie sieht es mit dem ethischen Aspekt der Genom-Forschung aus? -"Eine schwierige Frage", meint Hans Eppenberger. "Ich denke, der ist schon lange untergegangen." Er lenkt aber ein, dass in der Schweiz immer noch recht strikt darauf geachtet werde. Es sei heute mehr denn je wichtig, der Bevölkerung klar zu machen, was da passiert. Und man müsse vielleicht auch unsere Ansprüche als Konsumenten von Therapieangeboten überprüfen, die oft Auslöser für Forschung in bestimmter Richtung seien. "Ich bin absolut nicht gegen Bio- und Gentechnologie, aber ich bin der Meinung, man muss über das Mass und den Sinn diskutieren, wenn es um Verwertung der neuen Kenntnisse aus der Genomanalyse geht."


Literaturhinweise:
1: Wissenschaftsmagazin Nature zur Kartierung des menschlichen Erbguts durch das staatlich finanzierte internationale Human Genome-Projekt: www.nature.com/genomics/human/
2: Konkurrenzmagazin Science zur Kartierung des menschlichen Erbguts durch die private Firma Celera Genomics: www.sciencemag.org/genome2001/
3: Sequenzierungsprojekt von Professor Michael Göttfert: www.biologie.tu-dresden.de/genetik/molgen/
4: ETH-intern-Bericht zum Thema "ETH Zürich setzt auf Zukunftsbereiche": www.cc.ethz.ch/eth-intern/00-01/1_00-01/Zukunft_1_00-01.html



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