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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.05.2002 06:00

Bundesrätin Ruth Dreifuss am Collegiums-Jubiläum
"Eine Wissenschaftswarte ist nötig"

Sie nahm schon an der Taufe teil - da scheint es ihr nur konsequent, auch am fünften Geburtstag dabeizusein: Bundesrätin Ruth Dreifuss ist heute Gast am Jubiläumsanlass des Collegium Helveticum. Gleichzeitig markiert der baldige Abschied von Collegiums-Leiterin Helga Nowotny eine Zäsur. ETH Life hat mit der "Hochschulministerin" über heutige und mögliche künftige Aufgaben dieses einzigartigen Think Tanks gesprochen.

Das Interview führte Norbert Staub

Fünf Jahre Collegium Helveticum - eine avancierte Idee, eine mutige Gründung kommt in die Jahre. Viele Ansprüche werden an den Kreis von Forschenden in der Sternwarte herangetragen: Dialog zwischen den Disziplinen, Befruchtung der Wissenschaft durch die Kunst, interdisziplinärer Think Tank, der Antworten auf virulente gesellschaftliche Fragen sucht. - Frau Bundesrätin, welche dieser Aufgaben würden Sie der neuen Leiterin, dem neuen Leiter des Collegiums besonders ans Herz legen?

Bundesrätin Ruth Dreifuss: Das Collegium Helveticum hat seinen Sitz in einer Sternwarte. Damit sind viele Assoziationen verbunden: Weitsicht und Überblick, Anziehung und Auseinanderdriften, Verständnis für Zusammenhänge. Eine Wissenschaftswarte ist notwendig, denn es ist unerlässlich, über die eigene Wissenschaft zu reflektieren, damit mit den Bürgerinnen und Bürgern eine Debatte über die künftigen wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen entsteht. Ich sehe deshalb auch - zusätzlich zu den herausragenden interdisziplinären Leistungen, die hier erbracht werden - eine “pädagogische” Zukunft des Collegiums und ein echtes Bedürfnis danach.

collegium helveticum
Brücke zwischen "ungebildeten Gelehrten und den gebildeten Ignoranten": Collegium Helveticum der ETH in der Sternwarte. gross

"Die Wissenschaft von den selbst angelegten Fesseln befreien: den Fesseln der Eindimensionalität und des selbstverliebten Spezialistentums" – das empfahlen Sie dem Collegium anlässlich seiner Gründung. Scheint Ihnen diese Aufforderung in die Tat umgesetzt worden zu sein?

Ich glaube sogar, dass das Collegium nicht nur diese notwendige wissenschaftstheoretische Veränderung erfolgreich vollzogen hat. Es hat darüber hinaus gezeigt, dass durch die Interaktion zwischen den Disziplinen, zwischen den "ungebildeten Gelehrten und den gebildeten Ignoranten", zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern Wissenschaft und Forschung auf eine Weise betrieben werden kann, die Freude an der Reflexion und der Arbeit bringt.

Die vergangenen Jahre haben gesellschaftlich einschneidende Veränderungen gebracht: wirtschaftliche Turbulenzen (wenn man an die Fusionswelle, den Absturz der New Economy oder an das Ende der Swissair denkt), politische (11. September) und auch wissenschaftliche Erschütterungen (Gentechnologie, Stammzellen-Debatte). Das hat unter anderem auch Verunsicherung erzeugt. Erwarten Sie von einem Collegium Helveticum, dass es sich mit diesen Prozessen auseinandersetzt?

Experten vertiefen sich in all diese Fragen, die Sie ansprechen. Das genügt aber nicht. Zuallererst dürfen wir nicht vergessen, dass der Wert und die Produktivität eines Spezialisten bestimmt werden durch das Niveau seiner Allgemeinbildung, auf das er seine Spezialisierung aufbauen kann.


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br ruth dreifuss
Das Collegium könnte unter anderem auch Beiträge zum Nord-Süd Dialog liefern, meint Bundesrätin Ruth Dreifuss gross

Darin sehe ich den wertvollen Beitrag, den eine Institution wie das Collegium selbst für Spezialisten leistet. Weiter besteht die politische Forderung, dass es kein Informationsmonopol und keine übermässige Machtkonzentration bei den Spezialisten geben darf. Und schliesslich kann die interdisziplinäre Betrachtungsweise das mit einbeziehen, was allzu oft vergessen wird bei der Suche nach Lösungen für die schwerwiegenden aktuellen Probleme: nämlich das Nord-Süd-Gefälle, dieses Ungleichgewicht zwischen dem Ort, wo die Wissenschaft betrieben wird, und dem Ort, wo sie angewendet werden könnte.

Die Hochschul- und Forschungslandschaft, und damit auch die ETH, ist in grossen Umwälzungen begriffen, Stichworte sind "Bologna", der schnellwachsende Finanzbedarf der Spitzenforschung und die zunehmende Integration des Schweizer Hochschulwesens in internationale Strukturen. Sehen Sie hier - und vielleicht bei wissenschaftspolitischen Fragen generell - Möglichkeiten für das Collegium Helveticum, für die Politik befruchtende und unterstützende Beiträge zu leisten?

Ich bin versucht, Ihnen mit einer Frage zu "antworten": Soll der Beitrag des Collegiums zur Hochschulpolitik direkt oder nicht vielmehr "bottom up" sein? Das Collegium ist ein Ort, wo der Dialog zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, der Kunst und der Literatur stattfindet. Und dieser Dialog muss sich auch auf den Platz und die Rolle erstrecken, die jeder an den Hochschulen einnehmen will. Hier verbinden sich auch - ein gewagtes Unterfangen - wissenschaftliche Höchstleistungen mit der Fähigkeit, die Forderungen der Öffentlichkeit mit einzubeziehen. Das Collegium Helveticum ist der Ort, wo die Integration der Hochschule in die Gesellschaft stattfindet.

Das Collegium Helveticum ist "nur" ein vergleichsweise kleines Institut innerhalb der ETH, ein Winzling gar, betrachtet man Ihren gesamten Verantwortungsbereich. Welche Beziehung haben Sie zum Collegium?

Ich war bereits bei seiner Einweihung dabei; da ist es nur natürlich, dass ich auch seinen Geburtstag mitfeiere. Und wenn Sie das Collegium als "Winzling" bezeichnen: Es braucht schliesslich nicht viel Salz, um ein Gericht schmackhaft zu machen!

Gesetzt den Fall, Sie könnten sich von Ihren Regierungspflichten für ein Jahr lösen und in dieser Zeit als Kollegiatin in der Sternwarte ein interdisziplinäres Projekt verfolgen: mit welchem Thema würden Sie sich am liebsten beschäftigen?

Mit dem Thema: Wie kann man das Tandem Wissenschaft – Demokratie zum Rollen bringen? Und das unter der Prämisse, dass nicht in erster Linie fehlende Kenntnisse der Bürgerinnen und Bürger einen Mangel darstellen, sondern fehlende Brücken und Foren, wo sich Wissenschaft und Öffentlichkeit als gleichberechtigte Partner zu Wort melden können.


Literaturhinweise:
Website des Collegium Helveticum: www.collegium.ethz.ch



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