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Rubrik: Tagesberichte |
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Jubiläum: die Sieger dess Essay-Wettbewerbs Preisgekrönte Visionen |
Hier wurde das Jubiläumsmotto „Welcome tomorrow“ buchstäblich umgesetzt: beim Essay-Wettbewerb „Visionen ETH 2030“. Die vier Autoren (eine Autorin ist nicht dabei), welche die überzeugendsten Texte abgeliefert haben und die schöne Summe von 10'000 Franken unter sich aufteilen können, wurden gestern an der ETH vorgestellt. Essay und Experiment – beides steht für „Versuch“: Während der Essay seit der Prägung durch Michel de Montaigne (1532–1592), den grossen Meister dieser literarischen Form, das Tastende und Subjektive betont und auf die vollständige Analyse seines Gegenstandes verzichtet, wollen Experimentatoren den Dingen in dem von ihnen fokussierten Segment in der Regel auf den Grund gehen. Bei ETH-Forschenden stellt Letzteres zweifellos den bevorzugten Approach dar. Das ETH-Jubiläum gibt allerdings Gelegenheit, für einmal das essayistische Verfahren ins Rampenlicht zu rücken. Denn beim Jubiläums-Projekt „Visionen ETH 2030“ waren ETH-Angehörige aufgefordert, sich auf drei bis fünf Seiten im Rahmen eines Wettbewerbs Gedanken über die Hochschule von morgen und übermorgen zu machen. Unter der Leitung von Jürg Dual, ETH-Professor und bis vor kurzem Präsident der Planungskommission, hat nun eine Jury die besten Beiträge ermittelt. Ihr gehörten unter anderen Meinrad Eberle, Brigitta Gadient, Markus Gisler, Werner Oechslin, Alan Green, Gérard Hertig, Kathy Riklin, Brigitte von Känel und Kurt Wüthrich an. Gestern Abend wurden die vier ex aequo rangierten Preisträger anlässlich eines Jubiläumsapéros im Audimax der ETH vorgestellt (s. Kasten). Digitale Nachhaltigkeit Marcus M. Dapp hat dem ETH-Präsidenten des Jahres 2030 eine fulminante ETH-Tags-Rede in den Mund gelegt. Anlässlich des 175. Geburtstags der ETH blickt dieser zurück auf die Pionierfunktion der ETH bei der weltweiten Förderung eines nachhaltigen Umganges mit digitalem Wissen und Kultur. Er wendet sich dabei gegen eine Verschärfung des Konzepts vom geistigen Eigentum und plädiert dafür, eine möglichst weite Verbreitung von Wissen und Kultur zu ermöglichen, zum Wohl der ganzen Menschheit und zukünftiger Generationen. Der Autor schloss 2003 sein Ingenieursstudium an der ETH mit den Vertiefungen Technologiemanagement und Informationssysteme ab. Sein Interesse liegt im jungen Forschungsgebiet des nachhaltigen Umgangs mit digitalem Wissen, speziell beim Phänomen Freier (Open Source) Software. Er untersucht in seiner Dissertation den Einfluss von Patentregulierung auf Innovation bei freier Software. Der Gesellschaft verpflichtet ETH-Biologe Julian Bertschinger schreibt derzeit seine Doktorarbeit am ETH-Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, wo er sich mit der Erforschung neuer Technologien für die Entwicklung therapeutischer Proteine befasst. Bertschinger stellt in seinem Essay vier Forderungen auf, welche die ETH Zürich im kommenden Vierteljahrhundert im Auge behalten sollte. Erstens sollten Forschende verpflichtet sein, ihre Arbeit periodisch und kritisch im Kontext gesellschaftlicher Bedürfnisse und des möglichen Nutzens zu beurteilen. Zweitens seien Wissenschafter intensiver in die Öffentlichkeitsarbeit einzubeziehen, um das Verständnis für die Notwendigkeit von Forschung in der Gesellschaft zu verankern. Drittens müsse die ETH bestrebt sein, den wissenschaftlichen Nachwuchs ganzheitlicher auszubilden, um den Graben des Unverständnisses zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften zu überwinden. Und viertens solle die ETH flache Hierarchien im Forschungsbetrieb fördern, um unkonventionellen Ideen und jungen Talenten Raum zur Entwicklung zu geben.
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Lob der Langsamkeit Der dritte prämierte Essayist heisst Christoph Meier. Er studierte an der Uni Zürich Anthropologie und diplomierte 1998 mit einer genetisch-ethologischen Studie über Schimpansen. Dass die „ETH Life“-Redaktion, sonst strikter Unparteilichkeit verpflichtet, sich über seinen Beitrag "Die langsamen Brüter" speziell freut, liegt darin begründet, dass Christoph Meier seit 2001 Mitglied der Redaktion ist. Mit einem Touch von Science-Fiction zeichnet er das ETH-Hauptgebäude im Jahr 2030 als einen Ort der Begegnung und Besinnung, bevölkert von "langsamen Brütern". Er beschreibt, wie auf eine Phase der ungeheuren Beschleunigung, während derer Publikationsindizes und Ratings für das Mass aller Dinge gehalten wurden, die Auszehrung gefolgt war. Eine Rückbesinnung auf die Vorteile des langsamen, hartnäckigen und redlichen Schaffens ermöglichte dann den Wandel zu einer debattierfreudigen, kreativen Hochschule. Gegen die Informationslawine Illustriert mit einer Computer-Animation, beschreibt der vierte Wettbewerbsgewinner Christian Studer in seinem Text "Lilien" eine drohende Gefahr: unsere Über- und Zuschüttung mit Informationen. Auf unserer Suche nach den blühenden Lilien des Wissens werden wir zunehmend durch wild wucherndes Unkraut behindert. Studer diplomierte im Jahr 2002 als Bauingenieur an der ETH. Er wurde für seine Diplomarbeit mit dem 3. Heinrich-Hatt-Bucher Preis ausgezeichnet. Er schreibt zurzeit seine Dissertation am Zentrum für Mechanik im Gebiet der nicht-glatten Dynamik.
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