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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.06.2004 06:00

"Wissenschaft kontrovers" - ein Rückblick und auch ein Blick in die Zukunft
Neuer Start - neue Form

"Wissenschaft kontrovers" ist nach elf Veranstaltungen zu Ende gegangen. Zum einen wurde gelobt, dass es den Anlass überhaupt gegeben hat, zum andern deren Inhalt und Niveau. Kritisiert wurde, dass die Diskussionen etwas oberflächlich und wenig professionell verlaufen seien, der Dialog nicht immer zustande gekommen sei. Der Anlass soll jedenfalls fortgesetzt werden, die Form ist noch offen.

Von Regina Schwendener

Mit "Wissenschaft kontrovers" habe das Collegium zusammen mit der Schulleitung einen Diskurs "auf hohem Niveau" und "von grosser gesellschaftspolitischer Relevanz."lanciert, schrieb Professor Peter Rieder, Leiter des Collegium Helveticum (CH) ad interim, im Meridian vom Frühling 2004. Als Publikum erhoffte man sich nicht nur aktiv in der Forschung tätige Personen und Hochschulangehörige, sondern auch Leute aus Politik, Wirtschaft, Öffentlichkeit sowie Studierende. Aber Letztere fehlten meistens; auch die Schulleitungsmitglieder fanden selten Zeit, die Anlässe zu besuchen. Die Diskussionsthemen kreisten um die Folgen der Forschung, Fälschungen in der Wissenschaft, ethische Verantwortung oder Forschungsfinanzierung und waren somit klar auf die ETH ausgerichtet. - Waren es aber die richtigen Themen?

Barbara Orland, wissenschaftliche Mitarbeiterin am CH, hält dagegen: "Was war das erwartete Interesse? Wer hat es formuliert?" Und sie beantwortet die Fragen selbst: "Ich kann durchschnittlich 150 Teilnehmer nicht wirklich wenig finden, angesichts der Fülle von Veranstaltungen, die in der Regel gleichzeitig stattfinden. Bedauerlich ist höchstens die geringe Teilnahme von Studierenden."

Pfleglicher Umgang

Reto Wilhelm bemerkte in seinem Rapport: "Das Setting in diesem Vorlesungsraum verhindert den Dialog (...). - Oder war das angestrebt hohe Niveau zu hoch und Ursache, dass das Thema selten wirklich kontrovers behandelt werden konnte?" Den Anwesenden seien zwar oft spannende Einsichten und Einblicke vermittelt worden. Häufig hätten die Diskussionsteilnehmenden jedoch ihren eigenen Gedanken nachgehangen. Die Diskutierenden gingen pfleglich miteinander um, schwächten die Brisanz von Themen ab, entfernten sich immer wieder vom Thema und argumentierten, als wenn sie das vorher Gesagte nicht gehört hätten, so Wilhelm.

Eine breitere Öffentlichkeit scheint an diesen Anlässen nicht teilgenommen zu haben, meint Professor Jürg Fröhlich, der einen Teil der Veranstaltungen besucht hat. "Der Dialog blieb auf eine sehr begrenzte Klasse von Leuten beschränkt. Dennoch: die Grundidee der Veranstaltungsreihe scheint mir gut, und ich habe gerne an diesen Anlässen teilgenommen. Die Form vermochte mich allerdings nicht zu überzeugen", sagt der Physiker. "Da die Veranstaltung in jeder Hinsicht präzedenzlos war, konnten keine Erwartungen enttäuscht werden", meint Barbara Orland. Allerdings habe sich gezeigt, dass die Formulierung der Themen insofern von Bedeutung war, als man damit Kontroversen antizipiert habe, die nicht immer den Anwesenden entsprochen hätten und auch nicht immer tagesaktuell gewesen seien.

War die Form die richtige?

Der Anlass selbst war kaum umstritten, sein Nutzen wurde jedoch wiederholt in Frage gestellt. Dazu Gerd Folkers, Moderator der Reihe und designierter Collegiums-Leiter: „Die Leute, die den Nutzen in Frage stellen ohne den Anlass zu bestreiten, sind gebeten, etwas Anderes oder möglichst Besseres zu machen. Wir lernen gerne dazu. Die Veranstaltungen sind ja über ein Jahr gegangen. Praktisch niemand hat konstruktive Kritik darüber geäussert, welche andere Form zu bevorzugen sei. Im Gegenteil. Diese Form wurde als inszeniert, aber erfrischend empfunden."

Jürg Fröhlich referierte zum Thema "Ethik - Auftrag an Spezialisten oder Verantwortung aller" - ein Thema, das auf eine 2500-jährige Geistesgeschichte zurückblicken kann. Fröhlich: "Ich halte es für unseriös, wenn man diese total ignoriert und sozusagen aus dem Bauch heraus argumentiert - wie dies wohl die meisten Teilnehmenden an diesem Anlass getan haben. Das hat dann auch dazu geführt, dass eher marginale Aspekte des Themas zur Sprache kamen und die zentralen Aspekte unter den Tisch fielen." Barbara Orland meint: "Von kontrovers oder Dialog kann man bei den meisten Veranstaltungen nicht sprechen, weil Statements abgegeben wurden, aber selten eine Frage wirklich diskutiert wurde und man häufig aneinander vorbeiredete." Das liege in der Natur von Kommunikation. Jeder verbinde mit geäusserten Meinungen seine eigenen Assoziationen und äussere sie entsprechend.


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Schlusspunkt der "Kontrovers"-Reihe: Konrad Schily, Gründer der Privat-Uni Witten/Herdecke, rief die Hochschulen auf, ihre Kompetenzen zu nutzen, um auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. gross

Wie geht es weiter? Die aktuellen Themen, die diskutiert wurden, müssten doch weiter verfolgt werden... Das werden sie auch, versichert Gerd Folkers, aber in anderer Form. Wie diese aussehen wird, darüber wollte er sich noch nicht äussern. Barbara Orland ist überzeugt, dass es sich lohnt, das Veranstaltungsgefäss beizubehalten, allerdings nicht in der Regelmässigkeit, sondern als Ad-hoc-Veranstaltung zur Diskussion anstehender Konflikte, die eine Breitenwirkung vermuten liessen.

Nicht nur Asche aufs Haupt

Jürg Fröhlich: "Längerfristig bin ich dafür, dass der Dialog zwischen Hochschule und Wissenschaftlern einerseits und einer breiteren Öffentlichkeit andererseits intensiviert wird. Mit der Form dieses Dialogs muss ein wenig experimentiert werden, bis eine zweckmässige gefunden ist. Dabei soll man die Qualitäten von 'Frontalveranstaltungen' mit anschliessender Diskussion nicht vergessen." Man müsste sich aber auch darüber Gedanken machen, wie man jungen Leuten Zivilcourage, Verantwortungsbewusstsein und Mut zur Originalität beibringt, so Fröhlich: "Es kann nicht damit getan sein, dass wir uns halböffentlich Asche aufs Haupt streuen."


Quo vadis ETH?

(nst) Bundesrat Couchepin habe mit seinen provokativen Anregungen für eine Reform der Hochschullandschaft Schweiz eine "Steilvorlage" gegeben, sagte Gerd Folkers zum Auftakt der "Wissenschaft kontrovers"-Schlussveranstaltung über die Hochschule der Zukunft am vergangenen Montag. Eine knappe Mehrheit der Gastreferenten schien sich auf der Linie des Bildungsministers zu bewegen. In der Forschung führe kein Weg am Elitedenken vorbei, sagte Heidi Diggelmann, Präsidentin des Nationalfonds. Willy Schlachter, Vizepräsident Forschung der Fachhochschule Aargau, wertete die weit gehende Autonomie der ETH als Modell für eine leistungsfähige Spitzen-Hochschule. Dagegen kritisierte er den Schweizer Bildungsföderalismus. Hingegen hält Christoph Schäublin, Rektor der Uni Bern, den Begriff "Elitehochschule" in der Schweiz für unangebracht. So könnten die kantonalen Universitäten nur schon wegen ihrer viel schlechteren Finanzlage nicht mit der ETH konkurrieren. Die ETH gebe das Bild eines hocheffizienten Bildungsbetriebs ab. Dabei sei etwa zu fragen, ob es nicht auch eine Bestimmung der Uni jenseits der Effizienz gebe, und wie es im dichten ETH-Stundenplan um die geistigen Freiräume bestellt sei, so Schäublin.

Konrad Schily, Gründer der deutschen Privatuni Witten/Herdecke, sieht die Rolle der Spitzen-Hochschulen gerade darin, ihre Kompetenzen auch im gesellschaftlichen Diskurs in die Waagschale zu werfen. "Verantwortung muss dort sein, wo die Kompetenz ist", so Schily. Dem mochte Zwischenrufer Josef Estermann, Jurist und Ex-Stadtpräsident von Zürich, nicht einfach zustimmen. Das klinge, wie wenn die Gesellschaft zum Analphabeten erklärt wird, sagte Estermann. Er sehe die Verantwortung der Hochschulen eher darin, sich gegenüber Nicht-Fachleuten transparent zu artikulieren. Aus diesem Punkt entwickelte sich im Plenum eine lebhafte Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Klar wurde, dass die Gräben zwischen Verstehen und Unkenntnis nicht zwischen den vermeintlichen "Lagern" Öffentlichkeit und Forschung verlaufen, sondern bereits innerhalb der Wissenschaft mit ihren hoch differenzierten Fachbereichen.






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