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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 04.06.2002 06:00

Werner Schärer (BUWAL) zur Waldforschung nach dem Jahrhundertorkan
"Lothar-Forschung eine lohnende Investition"

"Lothar" hinterliess in der Schweiz Schäden in Höhe von 1,7 Milliarden Franken und riss ein Subventionsloch von etwa 750 Millionen Franken in die Kassen von Bund und Kantonen. Mit dem "Lothar" - Forschungsprogramm sucht das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) nach neuen Wegen, um die finanziellen Folgen nach Sturmschäden im Wald zu vermindern.

Interview: Reinhard Lässig (1)

Herr Schärer, "Lothar" hat mehr als doppelt so viel Wald zerstört wie "Vivian" 1990. Haben wir aus "Vivian" nichts gelernt?

"Lothar" hat nicht nur Wald, sondern auch viele bisher als stabil geltende Gebäude zerstört. Der Mensch ist ab einer gewissen Sturmstärke einfach machtlos. Die Forstleute haben im letzten Jahrzehnt vieles über den Umgang mit Windwürfen gelernt. Gerade "Vivian" hat uns zahlreiche neue Erkenntnisse gebracht, die bei der Bewältigung von "Lothar" sehr hilfreich waren. Ich denke zum Beispiel an die Broschüre "Entscheidungshilfe bei Sturmschäden im Wald", die wir in Zusammenarbeit mit der WSL (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) erstellt haben.

Nach "Lothar" wird mit finanzieller Unterstützung des BUWAL weiter geforscht. Welches sind die zentralen Forschungsfragen?

Im transdisziplinär ausgerichteten "Lothar-Forschungsprogramm", das mehr als 40 Projekte umfasst, stehen für mich drei Fragekomplexe im Vordergrund: Aus organisatorischer Sicht geht es darum, wie wir das Krisenmanagement verbessern können. Aus forstlicher und ökologischer Sicht sind vor allem die Kriterien für den naturnahen Waldbau sowie für das Aufräumen beziehungsweise Liegenlassen des Holzes nach einer Grosskatastrophe zu verfeinern und auf Mittellandverhältnisse anzupassen. Aus politischer Sicht müssen wir den Katastrophenartikel im Waldgesetz den heutigen Erkenntnissen anpassen und die Subventionspraxis überdenken.

schŠrer
Genoss im Sommer 2001 zur Abwechslung die Feldarbeit im Wald von Trin GR, um "wieder einmal mit allen Sinnen Mensch zu sein": Werner Schärer, eidg. Forstdirektor. (Bild: Peter de Jong/Die Südostschweiz) gross

Das BUWAL investiert also in die Forschung, um nach dem nächsten Grossereignis Geld zu sparen?

Ich bin überzeugt, dass die zehn Millionen Franken für die "Lothar"-Forschung eine lohnende Investition darstellen. Erste Trends aus verschiedenen Forschungsprojekten zeigen, dass beim nächsten grossen Sturmereignis die Mittel noch besser eingesetzt werden können. Die Forschung liefert die Grundlagen, damit auf politischer Ebene entschieden werden kann.

Kann die Schweiz von der Krisenbewältigung unserer Nachbarländer nach "Lothar" etwas lernen?

Ja, auf jeden Fall. Darum unterstützen wir das ETH-Projekt von Ingrid Kissling-Näf und Willi Zimmermann, das die Strategien der Krisenbewältigung in Frankreich, Deutschland und der Schweiz vergleicht. Ich erwarte von diesem Projekt Bausteine für eine noch bessere Krisenstrategie, denn "Lothar" überforderte manchen politischen Entscheidungsträger in der Schweiz. Erste Ergebnisse zeigen, dass in unseren Nachbarländern die Regierungen über die Massnahmenpakete nach "Lothar" entschieden. In der Schweiz hingegen diskutierte das Parlament nicht nur über die Höhe der finanziellen Mittel, sondern auch über einzelne Massnahmen. Das kostete viel Zeit und liess die Waldeigentümer lange über die Unterstützung der öffentlichen Hand im Ungewissen.


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sarmenstorf
In Sarmenstorf, Kanton Aargau, untersucht die WSL die Waldentwicklung nach dem Sturm. Es haben sich bereits zahlreiche junge Bäume angesamt (Bild: R. Lässig/ WSL) gross

Nach "Lothar" vermutete man, dass der Sturm deswegen so viele Bäume umwerfen konnte, weil sie faule Wurzeln hatten. War diese Vermutung richtig?

Die Vermutung scheint logisch. Erste Ergebnisse von Daniel Rigling und Mitarbeitern (WSL) zeigen, dass von "Lothar" geworfene und gebrochene Bäume grundsätzlich fauler waren als benachbarte stehende Bäume. Am meisten Fäulen fanden die Pilzforscher an Stämmen, die unterhalb 50 cm gebrochen wurden.

Sind die Bäume heute weniger stabil gegenüber Sturm als früher?

Das wollen wir mit den holztechnologischen und -physikalischen Fragestellungen, die an der Waldbau-Professur der ETH und an der EMPA durchgeführt werden, heraus finden. Wenn wir Genaueres über das Baumwachstum, die Wurzelverankerung und die holztechnologischen Eigenschaften von Sturmholz wissen, können wir die waldbaulichen Massnahmen optimieren.

Was kann der Förster in Zukunft besser machen im Wald, damit die Bäume stabiler aufwachsen und weniger Schäden am Holz entstehen?

Das bereits abgeschlossene ETH-Projekt von Peter Bachmann zeigt, dass ungleichförmige Waldbestände dem Sturm offensichtlich besser trotzten als gleichförmige. Auch die Ergebnisse von Matthias Dobbertin und Mitarbeitern (WSL) zeigen, dass ein stufiger Waldaufbau die Bestandessicherheit gegenüber Stürmen erhöht und das Risiko von Totalschäden verringert. Beide Projekte geben Hinweise, dass ein naturnaher Waldbau Vorteile für Mensch und Natur hat.

Warum gab es nach "Lothar" zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft kaum Meinungsverschiedenheiten darüber, wie sich die Windwurfflächen wieder bewalden sollten?

Nach Lothar lag so viel Holz am Boden, dass an ein rasches und vollständiges Aufrüsten gar nicht zu denken war. Einerseits wurden rund 10 Millionen Kubikmeter Sturmholz genutzt und andererseits entstanden auf 980 Hektaren "Lothar"-Waldreservate. Diese Anstrengungen, die transparente Information der Öffentlichkeit und die Bereitschaft, am einen oder anderen Ort auch mal Holz liegenzulassen, dürften Gründe dafür gewesen sein, dass seit "Vivian" 1990 ein Gesinnungswandel stattgefunden hat.

Welche Aktivitäten wird es in den neu entstandenen Reservaten geben?

Viele der belassenen Sturmflächen dienen vor allem der Anschauung: sie sind Ziel zahlreicher Exkursionen, dort lassen sich Naturprozesse hautnah erleben. In einem Teil der Reservate untersucht die WSL die langfristige Waldentwicklung.


Zur Person

Werner Schärer leitet seit Ende 1999 die Eidgenössische Forstdirektion im Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft und ist damit der "oberste Förster" der Schweiz. Er ist unter anderem zuständig für die Formulierung und Umsetzung einer gesamtschweizerischen Waldpolitik. Spätestens seit dem Stephanstag 1999 brennen zwei Herzen in Werner Schärers Brust: als Forstingenieur ETH setzt er sich mehr denn je für eine nachhaltige Nutzung des Schweizer Waldes ein, als Jurist hingegen will er die gesetzlichen Aufträge der Waldgesetzgebung umsetzen. Wie hält er diesen Spagat aus? "Ich entdecke in solchen Katastrophen, wie Lothar eine war, immer auch Chancen für Mensch und Natur," sagt Schärer. Sein Engagement für die Nutzung und den Schutz der Schweizer Wälder zeigt, dass er diese zielbewusst nutzt.




Fussnoten:
(1) Dr. Reinhard Lässig arbeitet als Forstwissenschafter und Wissenschaftsjournalist an der Eidg. Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf.



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