|
Rubrik: Tagesberichte |
Print-Version
|
Extremalpinismus Am Menschenfresser-Berg |
Der ETH-Physikstudent Urs Stöcker bezwingt mit zwei Freunden als zweite Seilschaft den Ogre, einen der schwierigsten Berge der Welt. Und das erst noch auf einer neuen Route. Warum ihnen nach 24 Jahren das gelang, was mehr als 20 Expeditionen vergeblich versuchten, verrät er im ETH Life-Interview. Das Interview führte Richard Brogle Welches waren die ersten Hürden auf dem Weg zum Gipfel? Da ich vor Semesterende nach Pakistan reisen wollte, musste ich meine Professoren überzeugen, die Testatübungen bereits vorher lösen zu können. Das war aber kein Problem. Die meisten Professoren waren von der Idee der Besteigung begeistert und haben mich unterstützt. Zum Dank habe ich dann allen eine Postkarte aus dem Basislager geschickt. Wie muss man sich das Basislager am Ogre vorstellen? Am Ogre tummeln sich deutlich weniger Leute als am Mount Everest. Auch wird von den pakistanischen Behören sehr auf die Abfallentsorgung geachtet. Bevor man nämlich ins Basislager reisen darf, muss man seine ganze Ausrüstung registrieren lassen und ein Depot hinterlegen. Wenn man nach der Expedition beispielsweise zwei Seile weniger zurückbringt, dann gibt es eine Strafe.
Haben Sie im Basislager auch über den Unfall eines der Erstbesteiger nachgedacht, der sich am Gipfel beide Knöchel gebrochen hat und fast umgekommen wäre (vgl. Kasten)? Ja. Aber deswegen darf man sich nicht von einer Besteigung abhalten lassen. Man muss versuchen aus den Fehlern zu lernen. Und überhaupt, dass man sogar mit einer solchen Verletzung noch zurückkehren kann, baut auf. Sie haben den Ogre als schwierigsten Berg der Welt beschrieben. Warum? Am Ogre muss man schon auf dem einfachsten Weg enorme Kletterschwierigkeiten überwinden. Das ist auf 7000 Meter Höhe eine gewaltige Herausforderung. Dazu kommt, dass der Berg extrem wetterlaunig ist. Seit der Erstbesteigung im Jahre 1977 haben mehr als 20 Teams erfolglos die Zweitbesteigung versucht. Warum ist es gerade Ihrem Team geglückt? Da spielten mehrere Faktoren mit. Das Wetterglück und die lange Akklimatisierung sind sicher wichtig. Ein wichtiger Punkt zum Erfolg war aber wohl, dass wir bereits am Vortag der Gipfelbesteigung im Eisfeld Seile fixiert haben. Das gab uns am nächsten Tag die Möglichkeit, sehr schnell vorwärts zu kommen und uns genug Zeit für eine sichere Gipfelbesteigung nehmen zu können.
Welche Gefühle hatten Sie auf dem Gipfel? Es war eine unglaubliche Erleichterung. Endlich war die psychische Spannung vorbei. Ich wusste, die ganzen Strapazen haben sich gelohnt. Über 45 Minuten haben wir auf dem lässigen Gipfel verbracht. Wir haben Fotos gemacht und sogar gefilmt. Sie haben den Gipfel mit zwei Freunden erklommen. Was halten Sie von Alleinbesteigungen? Eine Alleinbesteigung bringt eine unnötige, extreme Gefährdung mit sich. Für mich kommt sie nicht in Frage. Es macht mir auch keinen Spass, alleine einen Berg zu besteigen. Ich möchte meine Freude und mein Leid teilen und mitteilen. Nur so kann ich die Emotionen richtig ausleben. Hat Ihre Freundin Angst, wenn Sie losziehen und Gipfel erstürmen? Nein, gar nicht. Sie weiss, dass ich ein sehr vorsichtiger Bergsteiger bin und mich seriös vorbereite. Auch sie klettert seit zwei Jahren. Es sind nicht die Gefahren, sondern die langen Trennungen, die uns zu schaffen machen. Als ich den Trango in Pakistan bestieg, hatte ich während zwei Monaten keinerlei Kontakt mit ihr. Das war nicht einfach. Aber am Ogre hatten wir ein Satellitentelefon und konnten uns E-Mails schreiben.
|
Welches sind Ihre nächsten Ziele? Das möchte ich noch nicht sagen. Sobald man ein neues interessantes Ziel einmal publiziert hat, wollen viele andere auch dahin. Das Problem ist dann, dass man am Berg nicht mehr alleine ist und unter anderem die Schlafgelegenheiten knapp werden. Daher nur soviel: Wahrscheinlich etwas im Himalaja. Aber auch in der Schweiz gibt es noch ganz viele superlässige Ziele. Die Nordwand des Matterhorns möchte ich einmal noch machen. Gibt es noch unerreichte Gipfel? Es gibt sicher noch unbestiegene Gipfel, aber meines Wissens keine, die wegen ihrer Schwierigkeit noch nicht bestiegen wurden. Aber es gibt noch zu erschliessende Routen. Eine der herausragenden ist die Makalu-Westwand in Nepal. Es gab schon unzählige Versuche, sie zu durchsteigen, aber auch die Besten sind bis heute daran gescheitert.
Ist die Makalu-Westwand vielleicht Ihr neues Ziel? Nein, vielleicht einmal in 15 Jahren, aber heute wäre es für mich eine Anmassung, sie zu versuchen. Dafür muss ich noch viel, viel üben. Das Jahr 2002 ist das UNO-Jahr der Gebirge. Was bedeutet Ihnen dieses Jahr? Bis jetzt habe ich noch nichts davon gemerkt. Ich hoffe, unsere Sportart erhält dadurch mehr Beachtung und auch mehr Geld. Im Vergleich zu anderen Sportarten müssen wir mit extrem wenig Geld auskommen. Mehr Geld macht das Bergsteigerleben eindeutig leichter, und man kann damit auch in viel interessante Gebiete vordringen. Sie waren mehrmals in Pakistan. Wie haben Sie dieses Land empfunden? Es ist ein sehr interessantes Land. Beeindruckt hat mich, wie die Leute die Religion ausübten. Im Basislager hatten wir zwei Köche. Einer war sehr religiös und hat vier Mal am Tag gebetet. Der andere nahm es hingegen nicht so genau. Der Westen muss in vieler Hinsicht seine Meinung über die Moslems revidieren. Beim einem Koch sah ich, dass sehr wohl die Unterdrückung der Frau existiert, aber nicht so absolut wie sie im Westen gerne dargestellt wird. Wenn man hier immer betont, dass die Frauen dort ausserhalb des Hauses nichts zu sagen haben, dann muss man auch sehen, dass der Mann im Haushalt nichts zu melden hat. Das ist das Reich der Frau. Sie studieren Physik an der ETH. Bietet Ihnen das Studium zu wenige Herausforderungen, dass Sie diese in der Extremkletterei suchen? Das kann man so nicht sagen. Die Kletterei ist ein super Ausgleich zum kopflastigen Studium. Aber auch beim Klettern sollte man den Kopf einsetzen. Trotz meiner Liebe zu den Bergen möchte ich die Physik nicht missen. Nein, ohne Physik könnte ich nicht leben. Mich faszinieren die Gedankenbäude von grossen Physikern. Um sie auch nur annähernd zu verstehen, muss man versuchen sie nachzubauen. Das ist eine sehr grosse Herausforderung.
|
||||||||||||||||
Literaturhinweise:
Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen. |