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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 08.12.2003 06:00

Symposium zur Siedlungsentwicklung in der Schweiz
Die Suche nach der richtigen Dichte

Die Siedlungsentwicklung in der Schweiz bereitet vielen Unbehangen, verursacht die ungebremste Ausdehnung der bebauten Fläche doch verschiedene Probleme. An einem von der Stiftung Avenir Suisse und der ETH Zürich organisierten Symposium diskutierten Fachleute, wie der Siedlungsraum verdichtet werden könnte und welche Chancen sich daraus ergeben.

Von Felix Würsten

Die Fehlentwicklung ist nicht zu übersehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Siedlungsfläche in der Schweiz massiv ausgedehnt. Rund 400 Quadratmeter Land verbraucht heute jeder Schweizer und jede Schweizerin im Durchschnitt. Und nach wie vor wird jede Sekunde knapp ein Quadratmeter Land verbaut. Dabei macht sich allenthalben eine Siedlungsform breit, die kaum zu überzeugen vermag. Diese Entwicklung ist nicht nur aus landschafts-ästhetischen und ökologischen Gründen bedenklich, sondern sie bringt auch eine Reihe von sozialen Problemen mit sich. Auf den überbauten Flächen entstehen keine neuen urbanen Zentren, sondern einförmige Siedlungen ohne eigenständigen Charakter; die Agglomerationen leiden unter einer immer grösseren Verkehrsbelastung; und weil die mittleren und höheren Einkommen mehr und mehr in die steuerlich begünstigten Vorortgemeinden abwandern, entstehen soziale Ungleichgewichte.

So kann es nicht weitergehen

Für Thomas Held, Direktor der Stiftung "Avenir Suisse" (1), dem Think Tank der Schweizer Wirtschaft, ist klar, dass es so nicht weiter gehen kann. "Im globalen Wettbewerb der Metropolitan-Regionen ist die Standortqualität der Agglomerationen ein entscheidender Faktor." Avenir Suisse will sich deshalb mit der Entwicklung des schweizerischen Siedlungsraums vertieft auseinandersetzen (2). Zusammen mit dem Institut für Städtebau der ETH Zürich (3) hat sie am letzten Freitag das rege besuchte Symposium "Städtische Dichte in der Schweiz" durchgeführt. Das Thema wurde mit Bedacht gewählt. "Dichte", so erklärt Vittorio Lampugnani, Professor für Städtebau an der ETH Zürich, "ist die Quintessenz des Urbanen schlechthin." Das Dilemma der heutigen Siedlungsentwicklung sei, dass den Agglomerationen die Dichte abgehe, welche Urbanität ermöglichen würde.

Dabei wäre eine vernünftige Siedlungsentwicklung für das Land von vitaler Bedeutung, wie Paul Messerli, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Bern, erklärt. "Früher führte das Wirtschaftswachstum zu einem Wachstum der Städte. Heute ist es gerade umgekehrt: Die Metropolisierung ist Voraussetzung für Wirtschaftswachstum."

Grösse, Dichte, Heterogenität

Aus soziologischer Sicht, meint Hartmut Häussermann, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, machen drei Faktoren das Städtische aus: Grösse, Dichte und Heterogenität. "Die Grossstadt ist eigentlich eine Zumutung für das Individuum. Das physisch enge Zusammenleben ist nur durch soziale Distanz erträglich. Gerade diese Distanz ermöglicht die persönliche Freiheit. Die Grossstadt fördert Exzentrik und Innovation; durch den Wettbewerb auf engem Raum entsteht ökonomische und kulturelle Vielfalt."

Für die Grossstädte stellen sich heute zwei Probleme. Die Dichte nimmt ständig ab, weil der Raumbedarf der Menschen zunimmt. Und die sozialen Gruppen in den Städten entmischen sich. "Die Stadt ist mehr und mehr nicht mehr durch Heterogenität geprägt, sondern durch Segregation." Entscheidend sei, so Häussermann, den Begriff Dichte zu differenzieren. "Man muss zwischen baulicher Dichte, Einwohnerdichte, Beschäftigtendichte und Interaktionsdichte unterscheiden. Die bauliche Dichte allein macht noch keine Urbanität aus."

Urbane Räume zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Dichte, sondern auch durch eine heterogene Nutzung der Fläche aus. gross


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Das Maag Areal unmittelbar beim Bahnhof Hardbrücke soll einer neuen Nutzung zugeführt werden. Für Städteplaner und Investoren stellt sich die Frage, wie dicht das Gelände überbaut werden soll. gross

Buhlen um die Steuerzahler

René Hutter, Kantonsplaner des Kantons Zug, zeigt anhand von einigen abschreckenden Beispielen aus seinem Kanton, dass Verdichtung nicht zwingend zu guter Architektur führt. Der Kanton Zug will den Siedlungsraum nicht um jeden Preis verdichten, sondern nur an ausgewählten Orten. "Eine beschränkte Entwicklung in die Breite muss weiterhin möglich sein", meint Hutter. Dass Zug auf eine allzu dichte Bauweise verzichten will, hat seine guten Gründe. Der Kanton fürchtet, sonst keine zahlungskräftigen Steuerzahler mehr anziehen zu können.

Die Strategie von Zug passt zwar gut zum föderalistischen System der Schweiz. Doch sie zeigt exemplarisch das Dilemma auf, in dem sich die schweizerische Siedlungspolitik befindet. Obwohl Wirtschaftsgeographen, Städteplaner und Standortförderer schon lange von der "Greater Zurich Area" reden, definiert sich Zug offenbar nicht als Teil des Grossraums Zürich und stellt sich daher auch nicht die Frage, wie es zur Attraktivität der Metropolitanregion beitragen könnte. Vielmehr versucht der kleine Kanton, als Konkurrent der Zürcher Goldküste die Zukunft zu bewältigen.

Zu hohe Dichte wird bestraft

Und in diesem Wettbewerb der Steueroasen ist städtische Dichte kein Standortvorteil. "Gerade bei den besser Verdienenden wird das verdichtete Bauen nur bis zu einem gewissen Punkt akzeptiert", bestätigt Hannes Wüest von der Firma Wüest & Partner. "Im Eigentumswohnungsmarkt zeigt sich klar: allzu verdichtete Siedlungsräume werden mit einem Discount bestraft." In eine ähnliche Richtung zielt auch die Argumentation von Samuel Gartmann. Der Präsident des Verwaltungsrates und CEO der Maag Holding AG ist als Investor massgeblich an der geplanten Überbauung des Maag-Areals in Zürich beteiligt. "Dichte ist per se kein Qualitätsmerkmal. Nur die qualifizierte Dichte ist relevant." Er verstehe den Ruf, das Bauland möglichst optimal zu nutzen. Doch für ihn als Investor sei klar, dass am Schluss die Bilanz positiv ausfallen müsse. Deshalb könne er bei der Planung nicht nur statistische Kennziffern berücksichtigen, sondern müsse auch auf "weiche" Faktoren achten. "Wenn ein Projekt längerfristig rentieren soll, müssen sich die Menschen wohl fühlen. Und das ist bei einer zu dichten Überbauung nicht mehr der Fall."

Plädoyer für Kostenwahrheit

Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt sich dabei die Frage: welche Anreize müssen geschaffen werden, damit der Boden optimal genutzt wird. "Wenn in einem System Verzerrungen bestehen, ist es wenig wahrscheinlich, dass gute Entscheide getroffen werden", meint René Frey, Professor für Nationalökonomie an der Universität Basel. Gerade das könne man exemplarisch beim Immobilienmarkt beobachten. "Es gibt zahlreiche externe Kosten und so genannte 'Spillover'-Effekte, die nicht verrechnet werden und so den Markt verzerren." Frey setzt sich dezidiert für das Prinzip der Kostenwahrheit ein. "Das heisst zum Beispiel, dass die Infrastrukturkosten möglichst direkt den Verursachern angelastet werden." Frey räumt allerdings ein, dass bei der Bevölkerung und bei den Politikern zur Zeit die Bereitschaft nicht sehr gross ist, einen solchen Kurswechsel vorzunehmen.


Fussnoten:
(1) Homepage von Avenir Suisse: www.avenir-suisse.ch/
(2) Zu dieser Auseinandersetzung gehört auch das Buch "Stadtland Schweiz", das letzten Sommer veröffentlicht wurde. Siehe dazu den ETH Life Bericht "Weder Stadt noch Land": www.ethlife.ethz.ch/articles/StadtlandSchweiz.html
(3) Homepage des Instituts für Städtebau: www.isb.ethz.ch/



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