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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 19.02.2004 06:00

Erdbebenserie in Italien im Herbst 1997
Risse in der Dichtung

Bis jetzt war nicht ganz klar, warum im Herbst 1997 eine derart langen Serie von Erdbeben die italienische Region Umbrien heimsuchte. Geophysiker der ETH Zürich haben nun eine plausible Erklärung: Unter hohem Druck stehende Gase lösten damals über Wochen hinweg immer neue Erschütterungen aus.

Von Felix Würsten

Es war eine der schwersten Erdbebenserien, die Italien je heimsuchte. Im Herbst 1997 erschütterten mehrere grosse und tausende kleinere Nachbeben die Provinz Umbrien und verbreiteten während Wochen Angst und Schrecken. Zwölf Menschen verloren ihr Leben, zahlreiche Gebäude – darunter auch die berühmte Basilika von Assisi - wurden schwer beschädigt. Eine Gruppe um Stephen A. Miller vom Institut für Geophysik der ETH Zürich (1) zeigt nun in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Nature" (2), warum es damals zu dieser ungewöhnlichen Serie von Erschütterungen kam. Auslöser waren unter hohem Druck stehende Gase, welche durch das Hauptbeben freigesetzt wurden.

Aufgestaute Mantelgase

Wie die Auswertung der seismischen Signale ergab, wurde das erste grosse Beben am 26. September 1997 in einer Tiefe von 5 bis 6 Kilometer ausgelöst. Genau dort befindet sich eine undurchlässige Anhydritschicht, die für den weiteren Verlauf eine entscheidende Rolle spielen sollte. Wenige Duzend Kilometer von der Erdbebenregion entfernt stiess man bei einer früheren Bohrung in dieser Schicht auf Kohlendioxid, das unter hohem Druck steht. Das Kohlendioxid, das sehr wahrscheinlich aus dem Erdmantel stammt, konnte wegen der dichtenden Anhydritschicht nicht bis an die Erdoberfläche aufsteigen, sondern wurde in der Tiefe aufgehalten.

Mit dem ersten Hauptbeben brach diese Anhydritschicht nun auf. Plötzlich wurden zwei Bereiche der Erdkruste miteinander verbunden, in denen ganz unterschiedliche Verhältnisse herrschten. In den Karbonatgesteinen über der Anhydritschicht war der Porendruck viel geringer als unterhalb der Anhydritschicht. Das aufgestaute Kohlendioxid entwich deshalb nach dem Hauptbeben entlang der neu aufgerissenen Bruchzone in die oberen Gesteinschichten. "Es war, als hätte man eine Flasche Coca Cola geschüttelt und dann den Deckel weggenommen", vergleicht Miller den Vorgang.

Beim zweiten schweren Beben neun Stunden nach dem Hauptbeben stürzte die Decke der Basilika von Assisi ein. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. gross


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Bei den Erdbeben in Umbrien im Jahre 1997 wurde auch der Glockenturm in Foligno schwer beschädigt. (Bild: inItali@OnLine)

Kaskade von neuen Rissen

Mit Hilfe einer numerischen Simulation konnte Millers Gruppe nun zeigen, wie sich die Gase genau ausbreiteten. "Die Durchlässigkeit der Gesteine nahm plötzlich um mehrere Grössenordnungen zu. Das Kohlendioxid drang schockartig in die höheren Gesteinschichten ein; es bildete sich eine Druckwelle, die sich relativ schnell ausbreitete", erklärt Miller.

Dort, wo das Kohlendioxid eindrang, nahm der Porendruck markant zu und die Spannungsverhältnisse veränderten sich grundlegend. Laufend wurden so neue Erdbeben ausgelöst, die wiederum an verschiedenen Stellen die Anhydritschicht aufrissen. Auf diese Wiese konnten nach und nach weitere Druckwellen aufsteigen. Über Wochen hinweg entstand so ein komplexes Muster von neuen Störungszonen.

Umbrien kein Einzelfall?

Im Gegensatz zu früheren Modellen lassen sich mit diesem Ansatz die Vorgänge in Umbrien plausibel erklären. "Bisher ging man davon aus, dass die Nachbeben durch mechanische Anpassungen der Erdkruste ausgelöst wurden. Doch diese Interpretation greift zu kurz", ist Miller überzeugt. "Die geometrische Verteilung und die lange Dauer der Nachbeben kann man so nicht erklären. Unser Modell zeigt, dass die Verteilung der Nachbeben genau mit der Ausbreitung des Kohlendioxids übereinstimmt."

Möglicherweise lösen solche Druckwellen auch in anderen Regionen schwere Nachbeben aus, vermutet Miller. "Überall dort, wo über Wochen hinweg Erschütterungen registriert werden, könnten solche fluide Phasen involviert sein." Der Geophysiker möchte diese These nun an einem weitere Fallbeispiel prüfen. Bei der Erdbebenserie, die vor etwa drei Jahren die Türkei heimsuchte, könnte dieser Mechanismus ebenfalls eine bedeutende Rolle gespielt haben.


Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts für Geophysik: www.geophys.ethz.ch/
(2) Nature, Vol. 427, S. 724-727, 19. Februar 2004.



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