ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 19.03.2001 06:00

Tagung: Universitäre Lehre im Wandel
Der digitale Professor

Erstmals hatten sich das Didaktikzentrum der ETH und die Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich zusammengetan, um über die Hochschullehre der Zukunft nachzudenken. Am Symposium vom vergangenen Freitag zeichnete sich ab: der Einsatz von Informationstechnologien wird stark zunehmen. Und das prozess- und problemorientierte Lernen wird dem rein lösungsorientierten den Rang ablaufen.

Von Norbert Staub

Das Provokante kam am Ende: in ihrem Workshop sei ganz unverblümt über die "Abschaffung der Vorlesung" diskutiert worden, berichtete die Didaktikerin Regula Kyburz-Graber vom Höheren Lehramt der Uni Zürich. Für Wolf Blankenhorn vom Zoologischen Museum der Universität ist die Vorlesung "eine veraltete Lehrform von anno dazumal." Sie verzichte auf Interaktion sowie Lernzielkontrolle und fördere die Bedienungsmentalität. Darum gehöre sie "am besten begraben".

Professoren abschaffen?

ETH-Professor René Schwarzenbach doppelte nach, auch die Semesterstruktur sei eigentlich fragwürdig geworden. Denn die Eigenaktivität der Studierenden sei traditionsgemäss in die vorlesungsfreie Zeit verlegt worden; das gehe heute nicht mehr an. Studierende seien ständig, einzeln oder im Team, aktiv am Lehrprozess beteiligt.

Und zuletzt werde auch Verkünden von Wahrheiten ex cathedra den Anforderungen zeitgemässer Hochschulbildung nicht mehr gerecht, war in der Plenumsdiskussion zu hören. Müsste man heute nicht auch alte universitäre Hierarchien, also den Status des Professors etwa, in Frage stellen? "Dozierende und Studierende müssen sich in erster Linie gut kennen und mögen", sagte René Schwarzenbach dazu, "wenn aber nur der Nobelpreis zählt, hat man den Konflikt."

Sekt statt graue Theorie

Der Dortmunder Mathematikdidaktiker Erich Wittmann hatte in seinem Impulsreferat über die Lernwirksamkeit von Vorlesungen gesprochen und sich gleich selbst zum Exempel genommen: Von schleichender Unzufriedenheit über seine eigenen Veranstaltungen erfasst, entschloss Wittmann sich vor einigen Jahren zu einem radikalen Wechsel. Die Studierenden sollten besser aktiviert werden - bei 500 bis 600 Vorlesungsteilnehmern keine leichte Aufgabe.

Anstatt eine "fertige" Vorlesung abzuliefern, definierte sich Wittmann nurmehr als "Lernorganisator". Die erste Hälfte der Vorlesung über die Theorie der Natürlichen Zahlen diente der Darstellung von konkreten Problemen - und nicht ihrer Lösung. "Ich wollte den Blick auf die Phänomene, nicht auf die Theorie lenken", so Wittmann. Zum Auftakt brachte er eine Flasche Sekt und zehn Gläser mit: es sollte auf das Gelingen der Veranstaltung angestossen werden. Nicht ohne didaktischen Hintersinn natürlich: die Frage, wieviel Mal die Gläser geklungen haben, diente als anschauliches Ausgangsproblem. Im zweiten Veranstaltungsteil sollten die Studierenden die Formalisierung dann weitgehend selbst vornehmen. Das von ihnen erstellte Skript diente als Zusatzqualifikation.

Spannung muss sein

"Mit dieser Lehrform war der normale didaktische Kontrakt aufgekündigt; am Anfang hatten manche Leute Entzugserscheinungen: ihnen fehlte der Stoff", sagte Wittmann. Das Resultat war allerdings ermutigend: Geschafft wurde dasselbe Pensum wie beim Frontalunterricht; drei Viertel der Studierenden begrüssten die Aktivierungsmethode, die Durchfallquote blieb etwa gleich.

Einen gewissen Kontrapunkt dazu setzte Gottfried Schatz, Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates: Gerade die Naturwissenschaften könnten nie die Endgültigkeit eines mathematischen Beweises beanspruchen. In Vorlesungen würden sie dennoch oft so dargestellt. Wenn der oder die Vortragende es schaffe, naturwissenschaftliche Entdeckungen als das zu schildern, "was sie stets sind: eine spannende Geschichte", dann sei der alte Vorlesungsstil immer noch gerechtfertigt: nämlich durch die Persönlichkeit des Dozierenden.


weitermehr

Gerd Folkers, Erich Wittmann
Impulse für eine Lehre der Zukunft: Gerd Folkers, ETH-Professor für Pharmzeutische Wissenschaften (links) und Erich Wittmann, Mathematik-Didaktiker an der Universität Dortmund. gross

Gemeinsamer Hörsaal für Zürich und Basel

Dies wurde von ETH-Pharmazieprofessor Gerd Folkers ausdrücklich bestätigt. Mit dem Unterschied, dass beim von ihm mitinitiierten, schon weit gediehenen Projekt der Lehrvortrag mit den Möglichkeiten des Internet verbunden wird: das kürzlich angelaufene "Telepoly" verbindet erstmals in der Schweiz zwei Hochschulstandorte - Zürich und Basel - mittels TV-Direktübertragung sozusagen zu einem gemeinsamen Hörsaal: Studierende der Pharmazie in Zürich und Basel teilen sich auf diese Weise eine Vorlesung.

Folkers selbst bezeichnete den technischen Aufwand dafür als "riesig". Nur schon die Koordination bereite Kopfzerbrechen: Sechseläuten und Basler Fasnacht bildeten für Telepoly schier unüberwindliche Hürden. Es werde denn auch ständig geprüft, was das Unternehmen den Studierenden bringe. Das überraschendste Feedback laute: mit dem Medium kommt man problemlos zurecht - die physische Päsenz von Dozierenden wird nicht als notwendig erachtet. Worauf es den Studierenden ankomme, sei guter Vortrags- und anschaulicher Päsentationsstil. - Und das war eigentlich schon immer so.

Virtuell und trotzdem real

Noch einen Schritt weiter geht Folkers mit dem von ETH World unterstützten Projekt des "virealen Laboratoriums". Hier gehe es um den Aufbau einer virtuellen Bibliothek, die komplexe Sachverhalte der Pharmazie für Studierende überall und jederzeit "richtig" darstellen soll; das heisst: multimedial. Text und Ton ermöglichen das Rekapitulieren von Vorlesungen, mittels Bildern in 3-D-Qualität können die Studierenden am Computer ganze Experimente am Molekularmodell simulieren.

Ob bei dem Aufwand nicht die Interaktion Studierende-Dozierende zu kurz komme, wurde gefragt. "Im Gegenteil", so Folkers. "Durch die Verlagerung von Lehrbuchinhalten in den virtuellen Raum wird mehr Dozierenden-Kapazität für die direkten Kontakt mit Studierenden frei". Allerdings: ein Teil der Studierenden habe eine "technische Beisshemmung" und verschlechtere sich laut den Erhebungen leistungsmässig. Wer mit der neuen Lernumgebung umgehen kann, steigere hingegen die Leistung. Das "vireale Laboratorium" sei, so Folkers, auch eine Antwort auf bauliche Unzeitgemässheiten: die meisten Hochschulräumlichkeiten seien für grosse Frontalveranstaltungen ausgelegt. "Die dadurch uns auferlegte Kommunikationsform ist aber nicht mehr jene, die wir heute in der Lehre brauchen."

Didaktischer Auwand wächst

Wenn ein Fazit dieser Tagung gezogen werden kann, dann dieses: der Einzug der Informationstechnologien in die Hörsäle und das digitale, multimediale Lehrbuch verlangen nicht weniger, sondern mehr didaktischen Aufwand. Und eher noch stärker wird in Zukunft hinter dem smarten Vermittlungsapparat eine überzeugende Lehrerpersönlichkeit aus Fleisch und Blut stehen müssen. Genau das hatte ETH-Rektor Konrad Osterwalder bereits bei der Begrüssung betont: "Gute Lehre lebt von der Faszination und der Begeisterung von Lehrenden und Lernenden".


Literaturhinweise:
Homepage des Didaktikzentrums der ETH: www.diz.ethz.ch/index.html
Homepage der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich: www.diz.ethz.ch/index.html



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!