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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.01.2004 06:00

Archivgründung an der ETH
Fundus der Schweizer Kernkraft-Geschichte

Als Teil des ETH-Archivs ist vergangenen Donnerstag das Archiv zur Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie in der Schweiz (ARK) eingeweiht worden. Die beiden Initianten Patrick Kupper und Tobias Wildi sind kürzlich als Autoren stark beachteter Dissertationen zum selben Thema hervorgetreten. Das neue Archiv entstand mit Unterstützung Privater, der Schweizer Kernkraftindustrie, der ETH und des PSI.

Von Norbert Staub

Geschichtsträchtig ist sie auf jeden Fall, die an sich kurze Phase ab etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts, als in der Schweiz wie überall die Atom-Euphorie einsetzte, erste Kernkraftwerke geplant und gebaut wurden, dann aber bald auch Skepsis um sich griff, die in ebenso erbitterten wie vielgestaltigen Widerstand mündete sowie in einen raschen Imageverlust und schliesslich in einen Konsens, der den Bau neuer Kernkraftwerke verunmöglichte. „Kaiseraugst“ wurde zum Synonym dieses Umdenkens. Eine historische Gesamtschau dieses Themas fehlt, doch in den vergangenen Jahren haben sich die jungen Historiker Tobias Wildi und Patrick Kupper im Rahmen des Forschungsprojekts „Atomenergie und gespaltene Gesellschaft“ im Bereich Technikgeschichte der ETH seiner angenommen und erste wichtige Schritte getan. Entstanden sind im Jahr 2003 zwei viel beachtete Dissertationen, einerseits zum Schweizer Reaktorprojekt „Lucens“, das nach einem schweren Unfall 1969 scheiterte (Wildi); andererseits zum nie realisierten Kernkraftwerk „Kaiseraugst“ (Kupper) (1).

Gefährdetes Gedächtnis

Für ihre Fallstudien verwendeten die zwei Forscher Aktenmaterial aus verschiedensten Quellen. Vieles davon haben sie als erste erschlossen und historisch aufgearbeitet. Dabei wurde ihnen bewusst, dass es ohne professionelle Archivierung dieser Akten langfristig wohl kaum eine gesicherte Geschichte der Nutzung der Kernenergie in der Schweiz geben würde. Daraus entstand der Wunsch, eigens dafür ein Archiv aufzubauen. „Unsere Ziele waren die Zusammenführung, die physische Sicherung und Erschliessung dieser Quellen und die Gewährleistung, dass die historische Forschung weiterhin Zugang zu ihnen haben wird“, sagt Patrick Kupper.

Diese Idee stiess auf offene Ohren und den Willen, zur Umsetzung beizutragen. Eine der Schlüsselpersonen war Peter Tempus, ehemaliger Vizedirektor des Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung (EIR, heute PSI), ohne dessen wegweisende Sammeltätigkeit das Unternehmen nicht zustande gekommen wäre, wie Patrick Kupper sagte. Tempus konnte die Eröffnung des Archivs zur Geschichte der Kernenergie in der Schweiz (ARK) nicht mehr erleben: Er verstarb im Herbst 2003.

Im Schoss der ETH-Bibliothek

Die ETH-Bibliothek mit ihrem Bereich Spezialsammlungen, hier im besonderen das ETH-Archiv, bot Hand und Know-How, um dem Archiv eine Heimat zu geben, sprich: es ins ETH-Archiv einzugliedern. Die Bibliothek wird künftig die Kosten für den Betrieb und Erhalt des ARK tragen. Finanzierungsbeiträge leisteten daneben unter anderem die Professur für Technikgeschichte, das Paul Scherrer Institut und der Unterausschuss Kernenergie der Überlandwerke, also die führenden Schweizer Elektrizitätsunternehmen.


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Gaben den Anstoss zum nun gegründeten Archiv zur Kernkraft-Geschichte: die Historiker Tobias Wildi (l.) und Patrick Kupper. gross

Über Archivalien näher an die Akteure

David Gugerli ist ETH-Professor für Technikgeschichte und Verantwortlicher für das erwähnte Forschungsprojekt. Gegenüber „ETH Life“ erläutert er die technikgeschichtliche Bedeutung eines solchen Archivs: "Für das genauere Verständnis von erfolgreichen und gescheiterten Innovationsprozessen muss man wissen, was in den Köpfen der Beteiligten vorgegangen ist, welche Probleme sie sahen, welche Prioritäten sie setzten, auf welche Zukunft sie sich einstellten, und was ihnen auch ganz einfach und selbstverständlich erschienen ist“, so Gugerli.

Archivalien seien oft sehr viel näher an den Akteuren, als es die damaligen Publikationen, die Erinnerungen der durch Schaden klug Gewordenen, die Meinung der erfolgreichen Beteiligen oder ihrer damaligen Gegner sein können. „Archive erlauben ein kritisch-distanziertes Verhältnis zur Geschichte und sind Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Beschäftigung“, meint Gugerli. Das ARK biete so einen „weltweit einmaligen“ Einblick in die Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie.

Ein Schwerpunkt: Kaiseraugst

Die derzeitige Aktenmenge des ARK beträgt stattliche 214 Laufmeter. Die zwei grossen Sammlungen „Archiv Kaiseraugst“ (1959 bis 1989; 180 Laufmeter) und das Archiv „Kernenergie Schweiz“ (1941 bis 1998; 110 Laufmeter) machen den Löwenanteil des neuen Archivs aus. Kleinere Bestände umfassen unter anderem Akten zur internationalen Atomkonferenz 1964 in Genf, den Nachlass von Heinrich Gränicher, ehemals Direktor des EIR und Professor für Experimentalphysik, oder auch Vorlässe wie jenen von Michael Kohn, dem ehemaligen „Energiepapst“ und Verwaltungsratspräsidenten des KKW Gösgen.

Das ARK ist über das ETH-Archiv weitgehend öffentlich zugänglich. Restriktionen bestehen im Zusammenhang mit den üblichen Schutzfristen. Für Akten aus der Privatwirtschaft beträgt diese Frist internationalen Gepflogenheiten entsprechend 20 Jahre nach Abschluss eines Dossiers, bei Bundesakten ist sie gesetzlich auf 30 Jahre angesetzt. Sind personenbezogene Daten tangiert, erhöht sich hier die Frist auf 50 Jahre. 75 Prozent des aktuellen Archivbestandes seien heute bereits frei zugänglich, heisst es in einer ARK-Dokumentation. Die letzten Akten des momentanen Bestandes können 2028 freigegeben werden.


Literaturhinweise:
Weitere Informationen zum Archiv zur Geschichte der Kernenergie in der Schweiz finden Sie unter: www.ethbib.ethz.ch/eth-archiv

Fussnoten:
(1) Vgl. Tobias Wildi: Der Traum vom eigenen Reaktor: Die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945-1969. Chronos-Verlag, Zürich 2003 (Rezensionen unter: www.tg.ethz.ch/forschung/produkte/interferenzen/Interferenzen4.htm) Patrick Kupper: Atomenergie und gespaltene Gesellschaft: Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst. Chronos-Verlag Zürich 2003 (Rezensionen unter: www.tg.ethz.ch/forschung/produkte/interferenzen/Interferenzen3.htm).



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