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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.08.2005 06:00

ETH-Projekt "House of Science" in Bamiyan (Afghanistan)
Bauen unter schwierigen Bedingungen

Das „Luftschloss“ hat einen Boden aus Beton erhalten, und bald sollen auch die Mauern hochgezogen werden. Doch wie weit die Arbeiten am "ETH House of Science" in Bamiyan gedeihen, hängt davon ab, wann der Winter in Zentral-Afghanistan einzieht.

Peter Rüegg

Heiser spricht Asef Alemyar am Telefon. Eine Grippe hat den Bauleiter des ETH-Jubiläumsprojekts "House of Science" erwischt, just in der Woche, in der er die Schweiz besucht, um über den Baufortschritt in Bamiyan zu informieren und sich mit den Architekten über den Fortgang des Projekts unterhalten wollte. Gestern Donnerstag flog Alemyar bereits wieder nach Afghanistan.

Grund für die Eile ist der kurze Sommer in Zentralafghanistan. Schon bald, vielleicht Mitte September, bricht der Winter über die Hochtäler herein, denn Bamiyan liegt immerhin auf 2'500 Meter über Meer. Strassen und Pässe werden unpassierbar, die Temperaturen sinken weit unter den Gefrierpunkt. Die Arbeiten auf der Baustelle für das "House of Science", das Begegnungszentrum der Universität Bamiyan, werden ruhen müssen bis der Frühling kommt. Und der kommt spät. Frühestens Anfang April können die Arbeiter weiterbauen. In der kurzen Zeit, die noch bleibt, will Alemyar die Mauern des Erdgeschoss' und dessen Decke fertig stellen. Noch in diesem Herbst sollen die hoch isolierenden Fensterscheiben aus der Schweiz nach Bamiyan transporiert werden. Diese werden dort überwintern, eingebaut - oder nicht, je nach Wetter.

Nasser Frühling verzögerte Bau

Das Wetter hat dem Bauleiter seit Beginn der Arbeiten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aussergewöhnlich lange habe der Winter dieses Jahr gedauert, weshalb der Spatenstich erst Ende April erfolgte, sagt der afghanisch-schweizerische Doppelbürger. Bis Mitte Juni habe es fast zwei Monate lang ständig geregnet, was den Bau weiter verzögerte und schlimmer fast, eine wichtige Zubringerstrassen ins Bamiyantal wegspülte. Auch bautechnische Probleme machte Alemyar zu schaffen. Dort, wo das Fundament hinkommen sollte, entdeckten die Arbeiter unterirdische Vorratslager hiesiger Halbnomaden, 2,8 Meter unter Boden. Diese Lager mussten die Arbeiter erst mit Beton füllen, damit das Fundament nicht einstürzt. Alemyar: „Als Fachmann kann ich nicht auf Sand bauen.“ Doch dieses Fundament des "House of Science" ist nun gelegt. Ein Frostriegel wurde gebaut, Leitungen gelegt.

Schwierig ist auch die Beschaffung von Baumaterial, denn die traditionellen Lehmziegel aus der Umgebung kann Alemyar für das "House of Science" nicht brauchen. „In der Region bebt die Erde häufig. Der Bau muss jedoch erdbebensicher sein, deshalb verwenden wir Beton“, betont er. Das hat seine Nachteile. Das Baumaterial, wie Zement und Armierungseisen, stammt aus Pakistan und Iran, im besten Fall aus Kabul, und ist deshalb so teuer wie in der Schweiz. Die Strasse von Kabul nach Bamiyan ist überdies in einem so schlechten Zustand, dass ein Lastwagen zwei bis drei Tage braucht, um die 230 Kilometer zu überwinden. „Wir zittern jeweils, ob die Fracht auch ankommt, denn auf dieser Strecke passieren täglich schlimme Unfälle“, erzählt Alemyar.


Afghanisten zwischen Abgrund und Aufbruch

Afghanistan ist ein kriegsversehrtes und krisengeschütteltes Land. 26 Jahre Krieg, zuerst gegen die russischen Besatzer, dann gegen das Talibanregime, haben diesen zentralasiatischen Staat ruiniert. Heute fehlt es an allen Enden und Ecken. Das Bildungswesen liegt am Boden. 29'000 Lehrkräfte fehlen. 85 Prozent aller Frauen über 15 Jahren können weder Lesen noch Schreiben. Die Sicherheitslage ist vielerorts prekär. Drogenbarone und verstreute Taliban bedrohen Menschen an Leib und Leben. Auch die wirtschaftliche Basis ist zerstört. Dafür floriert der Opiumanbau und –handel. Die Produktion von Schlafmohn stieg zwischen 2002 und 2004 von 3400 auf 4200 Tonnen. Afghanistan deckt heute 95 Prozent des europäischen Heroinbedarfs und produziert 87 Prozent des weltweiten Opiums. (1)




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Eines der wenigen technischen Hilfsmittel auf der Baustelle in Bamiyan ist ein Betonvibrator mit Benzinmotor. (Bild: A. Alemyar) gross

Auf der Baustelle selbst steht kein Kran, kein Dumper, kein Betonmischer. „Alles, was auf einer Schweizer Baustelle Standard ist, gibt es im Bamiyantal nicht“, gibt der Bauingenieur zu verstehen, der in Afghanistan auch andere Bauten leitet. Niemand habe ein Interesse, hier zu bauen. Umso zahlreicher sind dafür die Bauarbeiter. Über 80 arbeiten am ETH-Projekt, mischen Beton, transportieren schwere Lasten, legen die Armierungseisen. Eine Tonne Beton rechnet sich um in 16 Schubkarrenladungen, von Hand abgefüllt, verteilt und ausgebracht.

Architekten sind zufrieden

An die Vorgänge in Bamiyan hätten sie sich erst gewöhnen müssen, sagen die drei jungen Architekten Wolfgang Rossbauer, Ivica Brnic und Florian Graf. Doch mit dem Fortschritt ihres Projekts sind sie - wie Bauleiter Alemyar auch - angesichts der schwierigen Umstände „einigermassen zufrieden“. Es sei zwar etwas schwierig zu akzeptieren, dass sie nicht die totale Kontrolle über den Bau hätten. Andererseits seien sie auch froh darüber, einen Bauleiter zu haben, der nicht nur die Arbeit vor Ort in ihrem Sinn erledige, sondern auch die Kultur des Landes verstehe. „Das ist die beste Lösung für alle. Wir würden die kulturellen Gegensätze wohl nicht begreifen“, sagen sie.

Für die drei ETH-Absolventen hat das "House of Science" Vorrang, auch wenn sie derzeit mit Schule und Arbeit stark belastet sind. Flexibel sein, heisst ihre Devise. Erst im nächsten Jahr werden sie wahrscheinlich Gelegenheit haben, ihr „Luftschloss“ in Bamiyan selbst zu begutachten. Konkret geplant ist das allerdings noch nicht, ausser dass sich ihre Reise mit Asef Alemyars Anwesenheit überlappen soll.


Aus Luftschloss wird Begegnungszentrum

Das Projekt „House of Science“ der ETH in Bamiyan geht auf einen Wettbewerb (2) zurück, den das Department Architektur und Bau, Umwelt und Geomatik aus Anlass des Jubiläums 150 Jahre ETH Zürich ausgeschrieben hatte. Siegreich war schliesslich das Projekt „Polynational“ der drei Architkekturstudenten Wolfgang Rossbauer, Ivica Brnic und Florian Graf. Geplant war zuerst, das Projekt als eine Art architektonisches Theater auf der Polyterrasse aufzuführen. Doch die Wettbewerbsgewinner hatten eine andere Idee: Sie wollten ihr Projekt in Afghanistan realisieren, um damit konkrete Aufbauhilfe in diesem kriegszerrütteten Land zu leisten. So konkretisierte sich das das "Luftschloss" zum „House of Science“, einem Begegnungszentrum für Studierende in Bamiyan. (3)




Fussnoten:
(1) Weitere Infos zu Afghanistan: Albert A. Stahel und Claudine Nick: Nation Building Afghanistan, Beilage zur ASMZ 7/8, Juli 2005. Bezug: Redaktionssekretariat ASMZ, Huber & Co. AG, Postfach, 8501 Frauenfeld, Tel. 052 723 56 22, redaktion@asmz.ch
(2) Bericht in ETH Life: www.ethlife.ethz.ch/articles/luftschlabschlwett.html
(3) Bericht in ETH Life: www.ethlife.ethz.ch/articles/bamiyanpodium.html



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