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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 20.10.2004 06:00

Im Fokus der Politikwissenschaft: Lebensmittel aus Gentech-Pflanzen
„Die Amerikaner sind risikofreudiger“

Vor zehn Jahren kam in den USA das erste gentechnisch veränderte Lebensmittel auf den Markt, die Flavr-Savr-Tomate. Bald darauf folgten Soja und Mais. In der Schweiz und der EU regt sich seither Protest. Das Gegenteil ist in den USA der Fall. Thomas Bernauer, ETH-Professor für Politikwissenschaft (1), hat das Umfeld unter die Lupe genommen und beschreibt es im kürzlich erschienenen Buch „Genes, Trade, and Regulation. The Seeds of Conflict in Food Biotechnology“ (2).

Interview: Michael Breu

Die Gentechnologie wird in Europa zur Glaubensfrage hochstilisiert: Gentechnik zu betreiben gilt als unethisch. In Nordamerika und einigen Drittewelt-Staaten hingegen wird sie akzeptiert und gefördert. Weshalb diese grossen Unterschiede?

Thomas Bernauer: Zwischen den USA und Europa gibt es zwei sehr verschiedene Regulierungskulturen. In den USA wird gefordert, dass man bei einer Einschränkung des Marktes den Nachweis erbringen muss, dass durch die Regulierung ein tatsächlicher Schaden verhindert werden kann. In Europa hingegen wird nach dem Vorsorgeprinzip reguliert; es geht also um eine mögliche Schadensvermeidung.

Sie haben in Ihrem Buch „Genes, Trade, and Regulation“ verschiedene Akteure analysiert und versucht, die Konflikte herauszuschälen. Beginnen wir bei den Interessenvertretern. Weshalb gelingt es Unternehmen wie Monsanto nicht, ihre Produkte auf dem EU-Markt zu verkaufen?

Bernauer: Genau das hat mit dem Regulierungssystem zu tun. In den USA kennt man drei voneinander unabhängige Amtsstellen, die Gesundheitsbehörde FDA, das Landwirtschaftsministerium USDA und die Umweltbehörde EPA. In der EU hingegen ist das System viel komplexer: Da regulieren die EU, die einzelnen Nationalstaaten und zum Teil sogar Regionen in den einzelnen Ländern. Gentech-Gegner haben deshalb viel mehr Möglichkeiten, zu agieren; für Greenpeace ist das europäische Regulierungssystem deshalb sicher ein Vorteil.

Was heisst das konkret: Ist unser System gut oder schlecht?

Bernauer: Wenn man die Risiken der Gentechnologie als hoch einschätzt, ist unser System ein gutes System. Es ist risikoavers, weil man viele Hürden überwinden muss um auf den Markt zu kommen. Aus Sicht von Monsanto oder Syngenta ist unser System schlecht, weil es nicht risikofreudig ist; es bremst Innovationen aus.

Haben die Unternehmen etwas falsch gemacht? Wo und weshalb haben sie versagt?

Bernauer: In Europa hat man den Fehler gemacht, dass man die Gentechnologie sehr breit ins System einbringen wollte. Zum Beispiel mit Mais oder Soja, die in sehr vielen Lebensmitteln enthalten sind. Besser wäre gewesen, einzelne, spezialisierte Nischen zu suchen und dort Produkte zu platzieren, zum Beispiel mit der Gentech-Tomate.

Allerdings waren die Europäer schon 1996, bevor die ersten Produkte auf den Markt kamen, kritischer gegenüber der Gentechnologie eingestellt als die Amerikaner. Die amerikanischen Konsumenten sind risikofreudiger und haben weniger Probleme mit der Gentechnologie.

Was ist der Grund dafür?

Bernauer: Ein wichtiger Grund ist das Labelling, die Deklaration „enthält GVO“. In der Schweiz haben wir sie 1996/97 eingeführt, als die Politiker auf Druck der Konsumenten gekippt sind. Es gibt viele Leute die sagen: Hätten wir sie nicht eingeführt, wäre der Protest langsam verpufft. Die USA kennen kein Labelling.

Organisationen wie Greenpeace und Friends of the Earth machen in Europa erfolgreich Stimmung gegen Produkte der Grünen Gentechnologie – teilweise mit Argumenten, die fachlich eindeutig falsch sind. Weshalb werden diese Argumente trotzdem akzeptiert?

Bernauer: In den USA haben die staatlichen Behörden – FDA, USDA und EPA – bei den Konsumenten eine viel grössere Glaubwürdigkeit als in der EU. In Europa werden die Nichtregierungsorganisationen verglichen mit Politik und Industrie als glaubwürdiger angesehen.

Eine Ursache dafür sind sicher die vielen Lebensmittelskandale, die Europa in den vergangenen Jahren durchlebte. Ein anderer, wichtiger Punkt ist: Der durchschnittliche EU-Staat importiert etwa 50 Prozent der Lebensmittel aus dem Ausland. Und Ausland ist Ausland. Aus den Konsumentenbefragungen weiss man, dass die Leute mehr Vertrauen haben in Lebensmittel, die im eigenen Land produziert werden. Hinzu kommt, dass zum Beispiel Greenpeace sehr opportunistisch denkt und auf der öffentlichen Empörungswelle mitreitet um Stimmung für die eigenen Anliegen zu machen.

Auf dem Lebensmittelmarkt wurden schon vor einiger Zeit Produkte aus gentechnologisch veränderten Pflanzen zugelassen – Lezithin aus Soja zum Beispiel. Auch gibt es mehrere Produkte, die von gentechnologisch veränderten Bakterien stammen: Enzyme, Vitamine. Dagegen gibt es kaum Proteste. Weshalb die ungleiche Gewichtung, hier die „böse“ Polenta aus Gentech-Mais, dort die „gute“ Vitamin-B-Brausetablette?

Bernauer: Wenn man für Gentech-Produkte die Nulltoleranz einführen würde, käme die Lebensmittelkette zum Stillstand. Man müsste überall eine separate Lebensmittelverarbeitung für Gentech und nicht-Gentech Produkte einführen. Das würde bedeuten, dass die Kosten extrem ansteigen würden. Dann wäre für Greenpeace schnell die Grenze ihrer Popularität erreicht. Deshalb glaube ich, dass es zwischen Nichtregierungsorganisationen und Gentech-Gegnern eine unausgesprochene Form von Stillhalteabkommen gibt.


„Genes, Trade, and Regulation. The Seeds of Conflict in Food Biotechnology“: ETH-Professor Thomas Bernauer hat in seinem neusten Buch den Markt von Gentech-Lebensmittel unter die Lupe genommen. gross

Oder liegt es daran, dass die KonsumentInnen kaum Bescheid wissen über die Gentechnologie? Immerhin zeigt die aktuelle Eurobarometer-Befragung, dass in der EU und in der Schweiz sechs von zehn Personen glauben: „Bio-Tomaten besitzen keine Gene“.

Bernauer: Ich glaube nicht an die These, dass die Aversion auf einem Informationsdefizit beruht. Bei den Eurobarometer-Daten gibt es keine solche Korrelation. Ich glaube auch nicht, dass die Aversion etwas mit Risikowahrnehmung zu tun haben. Viel eher sind es diffuse, moralische Argumente, die eine Rolle spielen, zum Beispiel „mit der Natur spielt man nicht“ oder „Gott pfuscht man nicht ins Handwerk“.

Eine Befragung des GfS-Forschungsinstituts zeigte kürzlich auf, dass in der Schweiz nur jeder Fünfte Gentech-Lebensmittel konsumieren würden. Die Unterstützung liegt damit gleich tief wie zur Zeit (1998) der Genschutz-Initiative, als die Schweizer Bevölkerung der Gentechnologie per Volksabstimmung sehr enge Grenzen setzte. Weshalb konnten die Befürworter in der Zwischenzeit nicht mehr Vertrauen für ihre Produkte schaffen?

Bernauer: Die Konsumenten sind noch sehr skeptisch. Das hat aber sicher nicht damit zu tun, dass die Konsumenten zuwenig informiert wurden; der Kenntnisstand ist immer noch gleich gut oder gleich schlecht.

Auf Druck der WTO lässt nun die EU nach einem mehrjährigen Moratorium Gentech-Produkte zu; die Einfuhr von Mais der Firma Syngenta wurde bereits bewilligt. Kommt es zu einer Harmonisierung der Handelsbestimmungen? Oder hat die EU einfach nur dem Druck nachgegeben?

Bernauer: Ich glaube nicht, dass sich die EU dem amerikanischen System angleichen wird, die Regulierungsstrukturen der EU werden sich in den nächsten zehn Jahren kaum verändern. Trotzdem hat die EU versucht zu harmonisieren, zum Beispiel bei der Zulassung einzelner Gentech-Pflanzen. Aber die einzelnen Staaten scheren immer wieder aus und sperren sich. Das hat mit der Landwirtschaftspolitik zu tun: Bei vielen Produkten gibt es in der EU eine Überproduktion, und das bei immer weniger werdenden Landwirtschaftsbetrieben. Da hat man wenig Interesse, eine Technologie einzuführen, die die Produktivität steigern würde. Man setzt eher auf Biolandwirtschaft. Da gibt es einerseits eine Nachfrage der Konsumenten, andererseits aber auch einen Weg, die extrem intensive Produktion zu drosseln.

Doch zurück zur Frage: Der Konflikt mit der WTO und den USA ist nach wie vor da, im Wesentlichen hat sich nichts geändert. Und ich glaube auch nicht, dass die EU mehr Konzessionen machen wird.

Nun wurden in der EU neue strikte und komplizierte Regeln über die Kennzeichnungspflicht von GVO eingeführt. Wird damit nicht der bereits schwelende Konflikt mit der WTO und den USA zementiert?

Bernauer: Im Handelskonflikt mit den USA geht es im Moment nur um Zulassungsbestimmungen von Gentech-Produkten. Das Labelling ist formell noch nicht Thema des Konflikts. Ich glaube aber, dass für die Amerikaner die wirkliche Barriere die Deklarationspflicht sein wird.

Hohe Wachstumsraten hat die Grüne Gentechnologie in einigen Drittewelt-Staaten. An einer Tagung des CIS und des Zentrums für Internationale Landwirtschaft der ETH Zürich wurde kürzlich betont, dass Gentech-Produkte eine mögliche Waffe gegen den Hunger seien. Was ist Ihre Meinung?

Bernauer: Diese Art von Debatte gefällt mir nicht. Das ist Schwarzweiss-Malerei. Die grössten Hungerprobleme gibt es in Ländern, wo es Krieg gibt oder in Ländern an klimatischen Randzonen. Aktuelle Beispiele sind Somalia und Sudan.

Wenn Industrie und Forschung die Erlösung vor dem Welthunger propagieren, dann vertreten sie ein starkes Eigeninteresse. Das gleiche gilt aber auch für Greenpeace, die sich als Retterin der Drittewelt-Länder aufspielt, als Retterin vor den „bösen“ Gentech-Produkten. Was es braucht, ist ein goldener Mittelweg; Gentech-Produkte können sicher in einzelnen Fällen hilfreich sein.

Was ist Ihre Prognose für die Grüne Gentechnologie, findet Sie Akzeptanz?

Bernauer: Für die EU und die Schweiz bin ich skeptisch.

Kaum diskutiert wird die Rote Gentechnologie, also Produkte für den Medizinalmarkt wie Medikamente oder Diagnostika. Weshalb schenken die Gentech-Kritiker diesem Bereich keine oder nur geringe Beachtung?

Bernauer: Die Rote Gentechnologie hat ein klares Nutzerprofil: Der Nutzen ist nachweisbar. Für die Grüne Gentechnologie trifft dies bisher nur sehr begrenzt zu.


Fussnoten:
(1) Center for Comparative and International Studies, ETH Zürich, Group Bernauer: www.t-bernauer.org/
(2) Thomas Bernauer: „Genes, Trade, and Regulation. The Seeds of Conflict in Food Biotechnology“, Princeton University Press, Princeton 2003 (224 Seiten, geb., $39.50): www.pup.princeton.edu/titles/7665.html



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