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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 25.05.2004 06:00

Weltraumbiologie: Zwei ETH-Studenten forschen über Knorpelzellen
Zehn Tage schwerelos

Im schwerelosen Zustand wachsen Knorpelzellen in vitro gleichmässiger als auf der Erde. Das zeigen zwei ETH-Studenten mit einem Experiment, das sie Mitte Oktober 2003 Astronauten der Mission 7S auf die Raumstation ISS mitgaben. Die Resultate dieser Grundlagenforschung sind von Interesse für die Transplantationsmedizin. Ein Besuch bei Vlada Stamenkovic und Georg Keller.

Von Michael Breu

Einen Termin zu finden war nicht einfach. Entsprechend weit geht der elektronische Briefwechsel zurück. „Wir sind erst gestern Mittag müde und vollbeladen aus Zwezdny Gorodok, der russischen 'Star City’, zurückgekehrt“, hiess es im E-Mail vom 30. Oktober 2003 mit dem Hinweis, erste Daten lägen bereits in einer Woche vor. Mitte November folgte die nächste Botschaft: „Unsere Untersuchungen werden viel länger dauern als erwartet“, und Ende Januar hiess es, nochmals ein Monat Geduld sei nötig. Schliesslich klappte es.

Technopark im Neoindustriequartier Zürich-West, Pausenraum der ETH-Gruppe Weltraumbiologie (1). Vlada Stamenkovic und Georg Keller hantieren an einer Kaffeemaschine, die laute Geräusche von sich gibt. Danach setzt man sich ans Tischchen in der Raummitte. „Ja, das Universum. Das ist es“, findet Stamenkovic. „Natürlich könnte ich mir gut vorstellen, Astronaut zu werden“, sagt er. Doch zuerst brauche es Handfestes. Der Zürcher mit Niederwanger Wurzeln hat sich für das Physikstudium an der ETH entschieden und dort Georg Keller kennen gelernt. Ein Glücksfall. Denn wenn zwei vom gleichen träumen, scheint der Weg nur halb so weit.

Erste Etappe: Zero-G-Flug

Im August 2001 ist die erste Etappe geschafft, der erste Schritt in den Weltraum kann beginnen. Zusammen mit zwei weiteren Studenten reichen Vlada Stamenkovic und Georg Keller der europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) ein Experiment über das Mischverhalten von Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit ein; die ESA wählt das Projekt aus. Nun folgen erste Trainings für den so genannten Zero-G-Flug, ein Parabelflug mit einem Airbus-A-300, in dem die Schwerelosigkeit simuliert wird (2).

Baikonur: Im improvisierten Labor werden die Zellkulturen für den Flug präpariert. gross

Ein weiterer Preis winkt, ein Experiment im Weltraum. Erneut setzen Vlada Stamenkovic und Georg Keller ihre ganze Freizeit ein um ein Experiment mit einem russischen Satelliten für zwei Wochen auf eine Erdumlaufbahn zu bringen. Unterstützt werden sie von der Gruppe Weltraumbiologie und von Technikern des ETH-Instituts für Hochenergiephysik. Am 15. Oktober 2002 startet die unbemannte Foton-Rakete im nordrussischen Weltraumbahnhof Plesetsk – und explodiert nur 29 Sekunden nach dem Start. 800 Meter von den Studenten entfernt schlagen die Trümmer (sie kam an einem Stück runter) der Trägerrakete auf. „Die beiden Studenten sind geschockt und enttäuscht, dass nun die ganze Arbeit umsonst war“, kommentiert Marianne Cogoli von der Gruppe Weltraumbiologie einige Tage später im Gespräch mit „ETH Life“ (3).

Die Botschaft an Weihnachten

Doch die beiden angehenden Physiker bekommen eine zweite Chance. Am 25. Dezember 2002 – „ich erinnere mich noch genau an das Datum“ – bekommt Georg Keller von der ESA ein E-Mail und die Aufforderung, ein neues Konzept einzureichen. In Windeseile werden Daten zusammengetragen, denn bereits im März 2003 ist ein möglicher Flug geplant.


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Vlada Stamenkovic und Georg Keller (v.l.): Die beiden ETH-Studenten arbeiteten für ein Projekt mit der ESA zusammen. gross

Doch Unerwartetes kommt dazwischen: Die Explosion des Nasa-Shuttle „Columbia“ am 1. Februar 2003 erschüttert die Weltraumgemeinde; alle Flüge werden für unbestimmte Zeit gestrichen.

Schliesslich steht doch noch ein neuer Termin fest. Allerdings erwartet nun die ESA von den beiden Physikstudenten, dass sie das gesamte Experiment umbauen. Denn der Zellkultur-Reaktor soll nicht wie bis anhin geplant mit einer unbemannten Rakete starten sondern mit dem bemannten Taxiflug 7S. Konkret heisst dies für die beiden Studenten: Der Reaktor muss um den Faktor vier auf neu 500 Gramm abgespeckt und noch sicherer werden – „von 99-prozentiger Sicherheit auf 99,91 Prozent“, sagt Vlada Stamenkovic.

Zellen aus Schweineknochen

Die Zeit rast. Zwei Wochen vor Start ist der Reaktor fertig, die Knorpelzellen aus Schweineknochen sind aber noch nicht isoliert. „Es war eine stressige Zeit“, blickt Georg Keller zurück, „vor allem weil wir immer wieder ans Space Research and Technology Centre im holländischen Noordwijk reisen mussten.“ Schliesslich klappt alles: Die Proben werden via Moskau nach Baikonur geflogen, dort wird unter schwierigen Umständen die Nährlösung gewechselt, die Proben in den Inkubator eingefüllt und den Zuständigen übergeben. Schliesslich startet das Experiment am 18. Oktober um 9.38 Uhr in den Weltraum an Board einer Soyuz TMA-3 und erreichte zwei Tage später die internationale Raumstation (ISS). „Zuerst mussten die Batterien ersetzt werden“, sagt Vlada Stamenkovic, „das hat für uns der spanische ESA-Astronaut Pedro Duque erledigt.“ Acht Tage dauerte der Versuch auf der ISS: „Nach insgesamt zwölf Versuchstagen landete unser Experiment am 29. Oktober 2003 in der kasachischen Steppe.“

Mehr Collagen, bessere Vernetzung

„Nun musste das Wachstum der Proben sofort gestoppt werden. Dazu haben wir die neuen Knorpelzellen in ein Transportgefäss gefüllt, das einen Proteinase-Inhibitor enthielt“, erklärt Georg Keller. „Danach ging es zurück in die Schweiz – an die Universität Bern.“ Unter Leitung von Shawn Grogan von der Osteoarticular Research Group wurden die im Weltraum entstandenen Zellen sowie zwei Vergleichsgruppen untersucht, einerseits unter dem Mikroskop aus histologischer und immunhistologischer Sicht, andererseits mittels PCR-Reaktion auf die Genexpression. „Wir konnten feststellen, dass Knorpelzellen im schwerelosen Zustand gleichmässiger wachsen als auf der Erde“, sagt Georg Keller. „Sie haben deutlich mehr Collagen des Typs II produziert.“ Dieses ist für die Vernetzung des neuen Gewebes verantwortlich und ein Indikator dafür, wie stabil der neue Knorpel ist. Allerdings müssten die Resultate vorsichtig interpretiert werden, mahnen Vlada Stamenkovic und Georg Keller. „Viele Fragen sind noch offen. Zum Beispiel, weshalb unsere eigenen Knorpel trotz Erdanziehung regelmässig wachsen.“

Für die beiden Physikstudenten geht nun der Alltag weiter. Prüfungen stehen auf der Agenda, und die erforderlichen Praktika. Denn die Fähigkeiten, die sie während der aufwendigen Arbeit angeeignet haben, werden von der ETH nicht angerechnet. Die Resultate aus dem Weltraumversuch sollen demnächst in einer internen Publikation der ESA erscheinen.


Fussnoten:
(1) Gruppe Weltraumbiologie der ETH Zürich: www.spacebiol.ethz.ch/
(2) „Vier ETH-Studis schwerelos“ in ETH Life vom 20. August 2001: www.ethlife.ethz.ch/articles/ZeroGDruckkammer.html und “Plötzlich schwebte ich zur Decke“ in ETH Life vom 21. August 2001: www.ethlife.ethz.ch/articles/ZeroGIISchwerel.html
(3) „Raketenexplosion zerstörte ETH-Experiment“ in ETH Life vom 23. Oktober 2002: www.ethlife.ethz.ch/articles/Rakete.html und „Experiment im freien Fall“ in ETH Life vom 29. September 2003: www.ethlife.ethz.ch/articles/weltraum.html



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