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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 11.09.2001 06:00

ETH-Studie zu Erdbeben in der Innerschweiz
Spuren eines Bebens

Wie die Menschen das Beben von 1601 erlebt haben, ist dank den Auszeichnungen des Ausgenzeugen Renward Cysat, des damaligen Luzerner Stadtschreibers, historisch gut dokumentiert. - ETH-Geologen liefern jetzt vom Grund des Vierwaldstättersees den genauen Befund über die Seerutschungen, die das Beben zur Folge hatte. Die Forscher weisen zudem nach, dass es in der Innerschweiz im Laufe der Jahrtausende mehrere weitere starke Erdstösse gab.

Von Norbert Staub

"Zinstags den 18 tag Septembris dess 1601 ten jars erhuobe sich nach mittnacht (...) ein starcker vnd fürwar erschrockenlicher erdbidem allhie by vns zuo Lucern, wie ouch anderstwo" - so hebt die Schilderung des Luzerner Stadtschreibers Renward Cysat (1545-1614) an, der dieses letzte grosse Innerschweizer Beben im schwyzerischen Arth erlebt und anschliessend in einem ausführlichen Bericht festgehalten hat.

Trockenen Fusses durch die Reuss

Cysats Aufzeichnungen ergeben das Bild eines starken Erdstosses, der an jenem Tag um etwa 1 Uhr 45 die Schweiz und die Nachbarstaaten erschütterte. Das Epizentrum lag in Unterwalden, wo viele Häuser, Ställe und Kirchen sowie die meisten Öfen beschädigt wurden. In der Folge lösten sich verschiedene Hangrutschungen und Bergstürze, vor allem am Bürgenstock. Grosse Felsmassen stürzten in den Vierwaldstättersee; Seerutschungen mobilisierten Millionen von Kubikmetern Schlamm. Dies wiederum löste eine Flutwelle aus, die die Reuss in der selben Nacht sechs Mal zurückfliessen liess, so dass das Flussbett in der mondhellen Nacht freigelegt wurde: " ... das man schier trochens fuosses von dem büchsenhuss zuo den mülinen herüber hette gan mögen, wie es dann ettliche junge lütt zur gedächtnuss söllent gethan haben." Bei Beckenried wurden etliche Häuser und Ställe von der Flutwelle erfasst und zerstört - in diesem Gebiet waren einige Tote zu beklagen.

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Hat die Rutschungen im Vierwaldstättersee kartiert: ETH-Geologiedoktorand Michael Schnellmann mit einem Bohrkern. gross

Der Seegrund als Archiv

Kaum jemand kennt den Seegrund des Vierwaldstättersees wohl so gut wie der 27-jährige ETH-Geologe Michael Schnellmann. In seiner Doktorarbeit spürt er Seerutschungen nach, die unter anderem durch Erdbeben ausgelöst worden sind. Woher kommt sein Interesse an Erdbeben?


Neue Erkenntnisse zur Basler Katastrophe

Am Abend des 18. Oktober 1356 legte ein gewaltiger Erdstoss Basel in Trümmer. Das Münster und weitere Kirchen stürzten ein, ebenso zahlreiche Häuser sowie Abschnitte der Stadtmauer. Im Umkreis von vier Meilen wurden um die 40 Schlösser, Burgen und Dörfer zerstört. Selbst in dem gut 100 Kilometer entfernten Strassburg stürzten Schornsteine ein. Was die mittelalterlichen Chronisten mit Entsetzen registrierten, war das stärkste Erdbeben nördlich der Alpen seit Menschengedenken - und auch heute eine latente Gefahr. Wie präsentiert sich jenes Ereignis aus wissenschaftlicher Sicht, und wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Basel eines Tages wieder von einem solchen Beben heimgesucht wird? Neue Erkenntnisse hierzu präsentiert übermorgen Donnerstag in Basel anlässlich einer Medienkonferenz unter anderen Domenico Giardini, ETH-Professor für Seismologie, zusammen mit dem US-Wissenschaftsmagazin "Science".




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seerutschung
Im Profil oben rechts deutlich zu erkennen: Rutschung des Bebens von 1601 im Vierwaldstättersee. gross

"Im Spätsommer 1999 arbeitete ich im Rahmen eines Praktikums in einer türkischen Borax-Mine. Als das grosse Erbeben kam, war ich zum Glück nicht im Zentrum des Geschehens; aber es hat mich gehörig durchgeschüttelt." Das Erlebnis hat ihn stark beeindruckt. - "Kann sein," so Schnellmann, "dass meine heutige Beschäftigung mit dem Phänomen unter anderem auch darauf zurückzuführen ist."

Dass im See Rutschkörper zu finden sind, die mit diesen historischen Aufzeichnungen zusammenpassen, hat man zwar schon 1987 erkannt. "Meine Forschung trägt dazu bei, solche Elemetarereignisse in ihren geologischen Auswirkungen noch genauer zu rekonstruieren", erklärt Schnellmann.

Nachweis weiterer Beben

Mit Hilfe des ETH-Forschungsschiffs "Thetys" hat Schnellmann mit Schallwellen ein dichtes Netz von seismischen Linien über den See gelegt und die verschiedenen Sedimentschichten sichtbar gemacht. Entstanden ist so eine eigentliche Karte der Seerutschungen bis weit in prähistorische Zeiten. Für die nähere Datierung mittels der radiometrischen C-14-Methode wurden dem Seegrund gut zehn Meter lange Sedimentkerne entnommen.

Die aufgeschnittenen Bohrkerne lagern in Plastikfolie verpackt in einem Kühlraum des Geologischen Instituts, wo sie möglichst lange vor dem Austrocknen bewahrt werden sollen. Auch ein ungeschultes Auge erkennt beim Blick auf einen solchen Kern ein breites Schlammpaket, das sich deutlich von den schmalen, farblich abgestuften Sedimentebenen abhebt. "Dies ist das Material, das beim Beben von 1601 abgerutscht ist", sagt der ETH-Geologe. Doch längst nicht jede Rutschung wird von einem Erdbeben ausgelöst: So weiss man, dass 1687 das Muotadelta durch die grosse Zufuhr von Geschiebe spontan zusammenbrach und ebenfalls eine Flutwelle auslöste. In Brunnen und dem gegenüber liegenden Treib wurden damals erhebliche Schäden angerichtet.

Wenn aber an mehreren Stellen gleichzeitig massive Rutschungen niedergingen, ist das ein sicheres Zeichen für ein Erdbeben. Die Bohrungen ermöglichen es den Forschern, noch tiefer in die Vergangenheit zu blicken: "Wir haben auf diese Weise Spuren von vier weiteren starke Beben gefunden", sagt Michael Schnellmann. Diese Erschütterungen müssen sich vor ungefähr 2‘200, 8‘500, 11'000 und 13'000 Jahren abgespielt haben. Das etwa 2‘000 Jahre zurückliegende Beben muss den Ablagerungen zufolge noch einiges stärker als jenes von 1601 gewesen sein. Doch mit einem historischen Korrelat von der Anschaulichkeit eines Renward Cysat ist, wenn überhaupt, hier natürlich nicht zu rechnen...

Abbild der Zivilisation

Aus dem mathematischen Durchschnitt von 2‘500 Jahren abzuleiten, dass am Vierwaldstättersee zum Beispiel erst wieder in etwa 2'000 Jahren mit einem solchen Beben zu rechnen sei, ist trügerisch – zu unregelmässig sind die Abstände. Fest steht nur, dass dies irgendwann der Fall sein wird. ETH-Geologe Michael Schnellmann hält sich lieber an das Nachweisbare, sei es prähistorisch oder auch sehr aktuell: "Die Bohrkerne, die ich aus dem Vierwaldstättersee gezogen habe, sind im obersten Teil statt braun fast schwarz - ein Abbild des zivilisatorischen Einflusses der letzten hundert Jahre."




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