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Rubrik: Tagesberichte |
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Der Umgang der ETH mit wissenschaftlichem Fehlverhalten Forschung auf Abwegen |
Wo Menschen sind, da wird betrogen. Das gilt auch für die Wissenschaft. Die ETH reagiert auf diesen Umstand mit verschiedenen Massnahmen, darunter einer neuen Verfahrensordnung. Ein ETH-Soziologe äussert sich zum Betrug in der Wissenschaft und seinen Folgen. Von Christoph Meier Täuschen zeugt von Intelligenz. In einem grösseren Masse ist darum nur der Mensch zur absichtlichen Irreführung befähigt, wobei er sich diese Fähigkeit auch erst nach einigen Jahren aneignet. Bei Tieren gibt es nur anekdotische Evidenz für Täuschung. Trotzdem ist natürlich das Betrügen in der Wissenschaft, die gemeinhin als Hort der Intelligenz gilt, verpönt und wird keineswegs als Höhenflug des Geistes betrachtet. Fall Schön als Auslöser Auch an der ETH sorgt man sich um die Integrität der hier betriebenen Forschung. Ein Grund dafür war die Kontroverse um die Fälschungen des Physikers Jan Hendrik Schön im Bereich der Mikroelektronik und der Nanotechnologie, die im Jahre 2002 aufflogen. Auf vielen Artikeln, die gefälschte Daten enthielten, stand der Name des mittlerweile an der ETH tätigen Physikers Bertram Batlogg, des ehemaligen Gruppenleiters von Schön. Obwohl eine unabhängige Expertenkommission anerkannte, dass der ETH-Forscher angemessen reagiert und seine Verantwortung als Koautor übernommen habe, stellte sie auch die Frage, ob ein angesehener Forschungsleiter wie Batlogg eine genug kritische Haltung zur fraglichen Forschung eingenommen habe. Für die ETH-Leitung war der Fall Anlass genug, um im Jahre 2003 eine Arbeitsgruppe unter anderem mit dem Nobelpreisträger Richard Ernst zu beauftragen, Leitlinien zum wissenschaftlichen Arbeiten an der ETH Zürich und Richtlinien für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten zu formulieren. Die neue Verfahrensverordnung ist in der Zwischenzeit von der Schulleitung verabschiedet worden und tritt auf den 1. Mai 2004 in Kraft (1). Eine weitere Massnahme war, dass an der Schule an alle Forschenden das Dokument „Forschungskultur an der ETH Zürich“ und die Broschüre „On being a scientist“ verteilt wurde. Zudem begann das Collegium Helveticum letzten Herbst die Veranstaltungsreihe „Wissenschaft kontrovers“(2), in der sich die Wissenschaftler einer kritischen Selbstbefragung unterziehen sollen und die bis Ende dieses Semesters dauert. Hauptproblem Vertrauensverlust „Fälschungen in der Wissenschaft“ heisst die nächste Veranstaltung von „Wissenschaft kontrovers“ am 26. April, an der auch Bertram Batlogg und Andreas Diekmann teilnehmen werden. Diekmann ist ETH-Professor für Soziologie und fiel durch den Titel seiner Antrittsvorlesung auf, die er im letzten Semester hielt: „Betrug und Täuschung in der Wissenschaft“. Als Hauptproblem der Fälschungen für die Wissenschaft ortete der Soziologe in seinem Vortrag den dadurch entstandenen Vertrauensverlust nach innen und nach aussen. Fragt man den Forscher nach Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte, die das illustrieren, kommt ihm als erstes Friedhelm Herrmann in den Sinn. Die Fälschungen des deutschen Krebsforschers, die 1997 publik wurden, hätten zu heftigen Reaktionen bei den Wissenschaftsorganisationen und den Medien geführt. Wo beginnt die Täuschung? Doch sind die Fälle von Schön und Herrmann nicht einfach Ausnahmen, welche die Wissenschaft als ganzes nicht erschüttern? Diekmann ist skeptisch. Ein erster Grund für diese Haltung ist, dass jeder neue Betrugsfall zu einem Vertrauensverlust führe. „Wenn eine Airline drei Abstürze im letzten Jahr hatte, wird der Passagier kein Ticket mehr bei dieser Gesellschaft kaufen, auch wenn er weiss, dass es bei jeder Fluggesellschaft zu Abstürzen kommen kann.“ Vorsicht ist für den Soziologen auch geboten, da die Häufigkeit von wissenschaftlichem Fehlverhalten unklar ist. Das hänge damit zusammen, dass Fälschungen in der Wissenschaft häufig schwerer erkennbar seien als Normverletzungen im Verkehr. Zudem gebe es eine Grauzone, wo nicht so klar sei, ob man schon von Betrug sprechen soll. „Beispiel statistische Datenanalyse: Test x ist nicht signifikant, Test y liefert das gewünschte signifikante Ergebnis. Also wird das Ergebnis von Test y berichtet“, erläutert Diekmann. Das führe schliesslich auch dazu, dass ehrliche Manuskripte mit vielen „Wenn“ und „Aber“ schlechtere Chancen hätten in die Journals zu kommen. Bisher praktizierte Kontrolle genügt nicht Doch trotz Grauzone und schwerer zu erkennender Normverletzung in der Wissenschaft sieht der ETH-Forscher in der neuen, oben erwähnten Verfahrungsordnung einen Fortschritt. „Auch wenn kein Radarmessgerät oder einen Promille-Test für Fälschungen gibt, tut es Not, „Verkehrsregeln“ für wissenschaftliches Arbeiten zu entwickeln.“ Es habe sich gezeigt, dass die bisher praktizierte Selbstkontrolle nicht genüge. Darum seien neue institutionelle Regelungen durchaus sinnvoll. Diekmann würde es auch begrüssen, wenn wissenschaftliche Arbeiten in Bereichen, in denen Replikationen eher selten sind, auf Fälschungen und grobe methodische Mängel anhand von Stichproben überprüft würden. Dies könnte durchaus im Rahmen wissenschaftlicher Selbstkontrolle geschehen. Denn dass Wissenschaftler bessere Menschen sind, glaubt er nicht.
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Das heisst für den Soziologen wiederum nicht, dass man auf Wissenschaftsmoral und die Einübung redlicher Arbeitsweisen verzichten kann: „Es gibt ja nicht wenige, die korrekt arbeiten, obwohl Betrug materielle wie auch Karrierevorteile brächte.“ Selber widmet sich Diekmann dem Thema Betrug, indem er nach Methoden sucht, die Hinweise auf Fälschungen bestimmter Daten und Statistiken liefern. Unter bestimmten Bedingungen könnte sich die so genannte Benford-Verteilung als geeignet erweisen, um Indizien für Unregelmässigkeiten zu finden. Dabei ist aber klar, dass ein solches Verfahren nie Aufschluss über einen Betrüger liefern kann wie beispielsweise ein Fingerabdruck. Wie weit traut aber der ETH-Forscher nach all seiner Beschäftigung mit Fälschungen noch seinen Wissenschaftskollegen? Andreas Diekmann antwortet, dass er den Menschen, die er kennen lerne oder mit denen er arbeite, einen Vertrauensvorschuss gebe, und fährt fort: „Wenn ich aber in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von einem neuen Befund lese, glaube ich erst daran, wenn dieser unabhängig repliziert wurde.“ Wem diese vorsichtige Haltung des ETH-Forschers nicht genügt, kann sich immer noch an Mark Twain halten. Dieser schlug als Methode der Wahrheitsfindung folgendes vor: „Es gibt nur einen Weg herauszufinden, ob ein Mann ehrlich ist – man fragt ihn. Sagt er ja, so weiss man, dass er unehrlich ist.“
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Fussnoten:
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