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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.04.2004 06:00

Der Umgang der ETH mit wissenschaftlichem Fehlverhalten
Forschung auf Abwegen

Wo Menschen sind, da wird betrogen. Das gilt auch für die Wissenschaft. Die ETH reagiert auf diesen Umstand mit verschiedenen Massnahmen, darunter einer neuen Verfahrensordnung. Ein ETH-Soziologe äussert sich zum Betrug in der Wissenschaft und seinen Folgen.

Von Christoph Meier

Täuschen zeugt von Intelligenz. In einem grösseren Masse ist darum nur der Mensch zur absichtlichen Irreführung befähigt, wobei er sich diese Fähigkeit auch erst nach einigen Jahren aneignet. Bei Tieren gibt es nur anekdotische Evidenz für Täuschung. Trotzdem ist natürlich das Betrügen in der Wissenschaft, die gemeinhin als Hort der Intelligenz gilt, verpönt und wird keineswegs als Höhenflug des Geistes betrachtet.

Fall Schön als Auslöser

Auch an der ETH sorgt man sich um die Integrität der hier betriebenen Forschung. Ein Grund dafür war die Kontroverse um die Fälschungen des Physikers Jan Hendrik Schön im Bereich der Mikroelektronik und der Nanotechnologie, die im Jahre 2002 aufflogen. Auf vielen Artikeln, die gefälschte Daten enthielten, stand der Name des mittlerweile an der ETH tätigen Physikers Bertram Batlogg, des ehemaligen Gruppenleiters von Schön. Obwohl eine unabhängige Expertenkommission anerkannte, dass der ETH-Forscher angemessen reagiert und seine Verantwortung als Koautor übernommen habe, stellte sie auch die Frage, ob ein angesehener Forschungsleiter wie Batlogg eine genug kritische Haltung zur fraglichen Forschung eingenommen habe.

Für die ETH-Leitung war der Fall Anlass genug, um im Jahre 2003 eine Arbeitsgruppe unter anderem mit dem Nobelpreisträger Richard Ernst zu beauftragen, Leitlinien zum wissenschaftlichen Arbeiten an der ETH Zürich und Richtlinien für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten zu formulieren. Die neue Verfahrensverordnung ist in der Zwischenzeit von der Schulleitung verabschiedet worden und tritt auf den 1. Mai 2004 in Kraft (1). Eine weitere Massnahme war, dass an der Schule an alle Forschenden das Dokument „Forschungskultur an der ETH Zürich“ und die Broschüre „On being a scientist“ verteilt wurde. Zudem begann das Collegium Helveticum letzten Herbst die Veranstaltungsreihe „Wissenschaft kontrovers“(2), in der sich die Wissenschaftler einer kritischen Selbstbefragung unterziehen sollen und die bis Ende dieses Semesters dauert.

Hauptproblem Vertrauensverlust

„Fälschungen in der Wissenschaft“ heisst die nächste Veranstaltung von „Wissenschaft kontrovers“ am 26. April, an der auch Bertram Batlogg und Andreas Diekmann teilnehmen werden. Diekmann ist ETH-Professor für Soziologie und fiel durch den Titel seiner Antrittsvorlesung auf, die er im letzten Semester hielt: „Betrug und Täuschung in der Wissenschaft“. Als Hauptproblem der Fälschungen für die Wissenschaft ortete der Soziologe in seinem Vortrag den dadurch entstandenen Vertrauensverlust nach innen und nach aussen. Fragt man den Forscher nach Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte, die das illustrieren, kommt ihm als erstes Friedhelm Herrmann in den Sinn. Die Fälschungen des deutschen Krebsforschers, die 1997 publik wurden, hätten zu heftigen Reaktionen bei den Wissenschaftsorganisationen und den Medien geführt.

Wo beginnt die Täuschung?

Doch sind die Fälle von Schön und Herrmann nicht einfach Ausnahmen, welche die Wissenschaft als ganzes nicht erschüttern? Diekmann ist skeptisch. Ein erster Grund für diese Haltung ist, dass jeder neue Betrugsfall zu einem Vertrauensverlust führe. „Wenn eine Airline drei Abstürze im letzten Jahr hatte, wird der Passagier kein Ticket mehr bei dieser Gesellschaft kaufen, auch wenn er weiss, dass es bei jeder Fluggesellschaft zu Abstürzen kommen kann.“ Vorsicht ist für den Soziologen auch geboten, da die Häufigkeit von wissenschaftlichem Fehlverhalten unklar ist. Das hänge damit zusammen, dass Fälschungen in der Wissenschaft häufig schwerer erkennbar seien als Normverletzungen im Verkehr. Zudem gebe es eine Grauzone, wo nicht so klar sei, ob man schon von Betrug sprechen soll. „Beispiel statistische Datenanalyse: Test x ist nicht signifikant, Test y liefert das gewünschte signifikante Ergebnis. Also wird das Ergebnis von Test y berichtet“, erläutert Diekmann. Das führe schliesslich auch dazu, dass ehrliche Manuskripte mit vielen „Wenn“ und „Aber“ schlechtere Chancen hätten in die Journals zu kommen.

Bisher praktizierte Kontrolle genügt nicht

Doch trotz Grauzone und schwerer zu erkennender Normverletzung in der Wissenschaft sieht der ETH-Forscher in der neuen, oben erwähnten Verfahrungsordnung einen Fortschritt. „Auch wenn kein Radarmessgerät oder einen Promille-Test für Fälschungen gibt, tut es Not, „Verkehrsregeln“ für wissenschaftliches Arbeiten zu entwickeln.“ Es habe sich gezeigt, dass die bisher praktizierte Selbstkontrolle nicht genüge. Darum seien neue institutionelle Regelungen durchaus sinnvoll. Diekmann würde es auch begrüssen, wenn wissenschaftliche Arbeiten in Bereichen, in denen Replikationen eher selten sind, auf Fälschungen und grobe methodische Mängel anhand von Stichproben überprüft würden. Dies könnte durchaus im Rahmen wissenschaftlicher Selbstkontrolle geschehen. Denn dass Wissenschaftler bessere Menschen sind, glaubt er nicht.


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Auch in den Fachmedien erregten die Fälschungen des Physikers Jan Hendrik Schön grosse Aufmerksamkeit. gross

Das heisst für den Soziologen wiederum nicht, dass man auf Wissenschaftsmoral und die Einübung redlicher Arbeitsweisen verzichten kann: „Es gibt ja nicht wenige, die korrekt arbeiten, obwohl Betrug materielle wie auch Karrierevorteile brächte.“

Selber widmet sich Diekmann dem Thema Betrug, indem er nach Methoden sucht, die Hinweise auf Fälschungen bestimmter Daten und Statistiken liefern. Unter bestimmten Bedingungen könnte sich die so genannte Benford-Verteilung als geeignet erweisen, um Indizien für Unregelmässigkeiten zu finden. Dabei ist aber klar, dass ein solches Verfahren nie Aufschluss über einen Betrüger liefern kann wie beispielsweise ein Fingerabdruck.

Wie weit traut aber der ETH-Forscher nach all seiner Beschäftigung mit Fälschungen noch seinen Wissenschaftskollegen? Andreas Diekmann antwortet, dass er den Menschen, die er kennen lerne oder mit denen er arbeite, einen Vertrauensvorschuss gebe, und fährt fort: „Wenn ich aber in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von einem neuen Befund lese, glaube ich erst daran, wenn dieser unabhängig repliziert wurde.“ Wem diese vorsichtige Haltung des ETH-Forschers nicht genügt, kann sich immer noch an Mark Twain halten. Dieser schlug als Methode der Wahrheitsfindung folgendes vor: „Es gibt nur einen Weg herauszufinden, ob ein Mann ehrlich ist – man fragt ihn. Sagt er ja, so weiss man, dass er unehrlich ist.“


„Fälscher, Schwindler, Scharlatane“

(mib) Wahrscheinlich als erster Wissenschafter befasste sich der Mathematiker Charles Babbage systematisch mit dem Thema Betrug. Später wurde das Thema von mehreren Autoren aufgegriffen, kürzlich von Heinrich Zankl in „Fälscher, Schwindler, Scharlatane“ (Wiley-VCH). Beispiele von prominenten Forschern, die gerne als Betrüger zitiert werden:

- Albert Einstein führte 1915 zusammen mit Johannes de Haas Experimente zum Magnetismus von Eisen durch. Nach den damaligen Berechnungen zum gyromagnetischen Faktor hätte beim Versuch der Wert 1 herauskommen sollen. Nach zwei Messreihen erhielten die Forscher 1,45 und 1,02. Einstein und de Haas veröffentlichten jedoch nur den zweiten Wert. Später stellte sich heraus, dass der richtige Wert bei 2 liegt.

- Galileo Galilei hat sich erst gar nicht die Mühe genommen, seine These von der „schiefen Ebene“ im Experiment zu überprüfen. Da der Naturforscher daraus Schlüsse über die beschleunigte Bewegung von frei fallenden Körpern zog, ist mehr als fraglich, ob er diese These überprüfte. Schreibtischtäter war auch Bruno Bettelheim. Der gebürtige Wiener gilt als einer der bedeutendsten Kinder- und Jugendpsychologen des 20. Jahrhunderts. Nur: Der ordentliche Professor auf Lebzeiten der Universität Chicago hatte weder Psychologie studiert noch entwickelte er seine „Milieu-Therapie“ aus eigenen Erfahrungen.

- Abgeschrieben? Das musste sich 1972 die Nobelstiftung fragen, als der italienische Physiker Oreste Piccioni Schadenersatz forderte. Grund: Er habe das Experiment erdacht, das von Emilio Segré und Owen Chamberlain durchgeführt wurde und zur Entdeckung des Antiprotons führte. Segré und Chamberlain wurden dafür mit dem Physik-Nobelpreis geehrt. Auch beim Nobelpreis von 1923 ging nicht alles mit rechten Dingen zu: Allerdings fiel erst 70 Jahre später auf, dass es Robert A. Millikan bei der Bestimmung der Ladung des Elektrons nicht so genau nahm.

- Zu schön wären die Resultate von Martin Fleischmann und Stanley Pons von der Universität Utah gewesen. Die beiden Chemiker behaupteten im Frühjahr 1989, dass ihnen auf elektrochemischem Weg eine Kernfusion gelungen sei. Nur konnten die Resultate von niemandem wiederholt werden. Auch Victor Ninov vom Lawrence Berkeley Laboratory entdeckte etwas, das niemand ausser ihm je wieder sehen konnte: die Elemente 116 und 118. Später stellte sich heraus, dass Ninov die Daten gefälscht hatte.

- Ebenfalls ins Reich der Märchen gehört der Wirkungsnachweis für Homöopathie von Jacques Benveniste. Auch wenn die in „Nature“ veröffentlichten Resultate immer wieder auftauchen: IgE-Antikörper tauschen in hoher Verdünnung keine Informationen mit Wassermolekülen aus. Ebenso falsch sind die Weizen-Wachstumsversuche von Trofim Desinowitsch Lyssenko, die Kristallbilder der t-RNA von Hasko Paradies, und die Tuberkulose-Impfstudien von Friedrich F. Friedmann.




Fussnoten:
(1) ETH Verfahrensverordnung zu wissenschaftlichem Verhalten: www.rechtssammlung.ethz.ch/pdf/415_fehlverhalten_forschung.pdf
(2) Wissenschaft kontrovers: www.kontrovers.ethz.ch/



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