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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.03.2006 06:00

Zertifikate für Flächennutzung
Landverschleiss bremsen

Planer, Wissenschaftler und Umweltschützer setzen grosse Hoffnungen in handelbare Flächenzertifikate, um den hemmungslosen Landverbrauch in der Schweiz besser zu lenken und zu bremsen. Doch ein Workshop von Fachleuten an der ETH Zürich machte es nur zu deutlich: die Politik ist für diesen Schritt noch längst nicht bereit.

Peter Rüegg

Der sprichwörtliche Quadratmeter Land, der pro Sekunde in der Schweiz verbraucht wird, ist nicht passé. Ungebremst wird Land umgestaltet, überbaut, zugepflastert. Und keine Planung, weder die kommunalen Zonenpläne noch die kantonalen Richtpläne, hat es bisher fertig gebracht, den in der schweizerischen Bundesverfassung verankerten „haushälterischen Umgang“ mit dem Boden zu gewährleisten. Das Resultat ist eine zersiedelte Landschaft, ein Häuserbrei vom Boden- bis zum Genfersee.

Die grossen Bauzonen-Reserven hierzulande lassen zudem nichts Gutes erahnen. Ende 2004 waren in der Schweiz 15'000 Hektaren langfristige Baugebietsreserve und 45'000 Hektaren innerhalb von fünf Jahren nutzbares Bauland ausgeschieden, verteilt auf die 2700 Gemeinden des Landes – alles Mini-Universen mit Planungshoheit und je einem vollständigen Satz an Zonen. In 340 Jahren ist in der Schweiz der letzte Quadratmeter landwirtschaftliche Nutzfläche überbaut, wenn mit der jetzigen Geschwindigkeit weiter gebaut wird.

Auswüchse mit Zertifikatssystem dämpfen

Spätestens der Fall Galmiz hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie Raumordnung und –planung demontiert werden. In dieser Seeländer Gemeinde zonte der Kanton Freiburg im Eilverfahren 55 Hektaren Landwirtschaftsgebiet in eine isolierte Industriezone um, um damit einen amerikanischen Grosskonzern ins Dorf zu holen. Um solche Auswüchse - und nicht nur diese - in den Griff zu bekommen, sind sich die Experten einig, dass es neue Instrumente braucht. Eines davon wurde am Workshop „Steuerung der Flächeninanspruchnahme mit Markt und Staat“, vom ETH-Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung (IRL), dem Bundesamt für Raumentwicklung und der WSL am letzten Donnerstag organisiert, eifrig diskutiert: handelbare Flächenzertifikate. (1)

Die Grundidee dieser Flächenzertifikate ist relativ einfach. Die gesamte Fläche, die überbaut werden soll, legt der Staat fest. Die Grundeigentümer erhalten für ihre rechtskräftig eingezonten Bauflächen Nutzungszertifikate. Diese lösen sie ein, wenn sie selbst bauen. Sie können diese Wertpapiere aber auch an andere Grundeigentümer in Gemeinden verkaufen, die neu Bauland einzonen. . Gebaut werden kann nur noch dort, wo Einzonung und Zertifikat vorliegen. Damit beschränkt sich das Baugebiet „automatisch“ auf den zu Beginn festgelegten Maximalwert und die Zertifikate sorgen für eine räumliche Steuerung der Bautätigkeit.

Börse für Zertifikatshandel

In den USA sind solche Programme, die den Abtausch von Flächen parzellenübergreifend ermöglichen, bereits erprobt. Im Montgomery County im Bundesstaat Maryland etwa, wo damit eine Schutzzone für den ländlichen Raum geschaffen wurde, um den Charakter der Landschaft zu erhalten und den „urban sprawl“ zu unterbinden. Das scheint den Amerikanern gelungen zu sein. Gleichzeitig wurden bestehende Siedlungsgebiete besser genutzt.(2)

Auch im deutschen Bundesland Baden-Württemberg sind solche Vorschläge auf dem Tisch. Die Landesregierung denkt laut darüber nach, Flächenausweisungszertifikate einzuführen, um den Flächen-Neuverbrauch zu bremsen. Gemeinden müssten demnach zwingend Zertifikate vorweisen können, um ihre neue Flächen einzonen zu können. Die Gesamtmenge der Zertifikate wäre kontingentiert, die Kommunen erhielten diese Wertpapiere entsprechend ihrer Einwohnerzahl kostenlos. Für den Handel der Zertifikate würde eine Börse eingerichtet.

Abfuhr im Kanton Aargau

Von einem solchen oder ähnlichen Zertifikatssystem erwarten die Raumplanungs-Experten, dass sich ein Markt etablieren wird, der gemäss ökonomischen Gesetzen die Nachfrage und das Angebot von überbaubaren Flächen steuert und endlosen Hunger nach neuen Baugründen stillt.


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Der Haustraum von Herrn und Frau Schweizer frisst in grossem Stil Freiflächen. gross

Fritz Zollinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der WSL, rechnet damit, dass im Kanton Aargau ohne Massnahmen jedes Jahr 40 Hektaren der langfristigen Bauzonen-Reserve überbaut werden. Mit einem Zertifikatssystem würden nach 2020 nur noch 12 Hektaren Land geopfert. Voraussetzung dafür ist, dass die Bauzonen auf einem gewissen Niveau eingefroren werden.

In der Schweiz stehen die Vorzeichen für die Einführung eines solchen Zertifikathandels im Moment schlecht. Das zeigen erste Vorstösse des Raumplanungsamts des Kantons Aargau, das eine entsprechende Idee bei Regierung und Gemeindeexekutiven in Vernehmlassung geschickt hat. Das Resultat war ernüchternd. Der Regierungsrat wollte nichts davon wissen. Mit den Schlagworten „kein Dirigismus, kein Interventionismus und keine neuen Planungsinstrumente“ fegten Dorfkönige in den Gemeinden die Idee der handelbaren Flächenzertifikate vom Tisch. Jetzt hoffen nicht nur die Aargauer Raumentwickler auf den Einsatz des Bundes.

„Von Appellen an die Freiwilligkeit halte ich gar nichts. Druck von oben muss in diesem Fall sein“, machte am Workshop Fritz Wegelin vom ARE klar, wo der Bund steht. Wegelin lobte Effizienz, Flexibilität und Dynamik der Flächennutzungszertifikate, strich aber auch hervor, dass es bei diesem System Gewinner und Verlierer gebe, die Steuerung nur grob ablaufen könne und dass es einem Ablasshandel gleichkomme.

Wirtschaftlich machbar

Das ARE hat dennoch eine Studie in Auftrag gegeben, welche sich mit den Auswirkungen von solchen Zertifikaten auf die Flächennutzung befasst. Die Autoren dieser Studie kommen zum Schluss, dass Flächennutzungszertifikate wirksam, tragbar und volkswirtschaftlich günstig sind. Positiv würde sich dieses System auf die Schweizer Grosszentren auswirken, wo eine Verdichtung zu erwarten ist. In ländlich geprägten Gegenden zeigen die Modelle hingegen einen Rückgang des Bauzonenverbrauchs um die Hälfte gegenüber dem aktuellen Trend – eine Entwicklung, die aus Gründen des Landschaftsschutzes und der Infrastruktur-Effizienz eigentlich erwünscht wäre. Zu den Verlierern des Systems zählt die Studie unter anderem die Grundeigentümer, die Rentenverluste auf ihren Flächen hinnehmen müssten.

Das ARE will deshalb das Thema der Flächennutzungszertifikate (politisch) nicht forcieren. Wegelin plädierte am Workshop dafür, die Zeit für dieses System arbeiten zu lassen und ein „Window of opportunity“ abzuwarten, um es einzuführen. „Das ist wie seinerzeit bei der Einführung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe“, sagte er. Man habe 20 Jahre warten müssen, bis die Verhandlungen über die Bilateralen Abkommen mit der EU dieses Fenster geöffnet hätten.


Literaturhinweise:
Zollinger, F. & I. Seidl (2005): Flächenzertifikate für eine nachhaltige Raumentwicklung? Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4/5. www.wsl.ch/wald/abteilungen/oekonomie/downloads/10

Fussnoten:
(1) Unterlagen zum Workshop unter: www.wsl.ch/forest/economics/tagung/FlyerWorkshop.pdf
(2) Mehr Informationen zum Montgomery County: www.montgomerycountrysidealliance.org/hanson.htm



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