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Rubrik: Tagesberichte |
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Brain Fair 2006 Noch mehr Futter fürs Gehirn |
„Brain Fair“ erlebt dieser Tage die sechste Auflage. Und der Zuspruch des Publikums ist ungebrochen gross. Ein Augenschein am Forum über die Grundlagen des Lernens und des Gedächtnis’. Das Hirn interessiert: Die 370 Plätze des Hörsaals F180 an der Uni Zürich waren alle besetzt, viele mussten deshalb stehen oder sassen auf den Treppen. Der zweite Forumsabend im Rahmen des „Brain Fair 2006“ stand auf dem Programm und geboten wurde nichts weniger als die Grundlagen des Lernens und des Gedächtnis. Den Auftrag, an diesem Abend das notwendige Grundlagen-Wissen zu vermitteln, hatten die Professorinnen Isabelle Mansuy von der ETH und der Universität Zürich, Katharina Henke Westerholt von der Universität Bern sowie Psychologe Peter Klaver vom Kinderspital Zürich. Kurze Intermezzi des Theaters Colori zwischen den Vorträgen machten die wissenschaftlichen Beiträge greifbar und vor allem be-greifbar. Kleiner Hirnteil kommt gross heraus Die kurzen Theater-Szenen blieben, der Natur des Gehirns entsprechend, am besten im Gedächtnis haften. Die Theaterschaffenden spielten unter anderem die Rolle des Hippocampus, jenes Gehirnareals, das für das Speichern von bewussten und, wie die Forschungsarbeiten von Katharina Henke und ihrer Arbeitsgruppe zeigten, auch nichtbewussten Inhalten wichtig sind. Nichtbewusst heisst: Jemand stolpert aus dem Tram, fällt hin. Diese Information wird unbewusst aufgenommen und trotzdem gespeichert. Sie lässt sich auch lange bewusst abrufen. Bewusstes Lernen hingegen ist das Büffeln von Fremdwörtern oder medizinischen Fachbegriffen. Als würden sie ihren eigenen Forschungsergebnissen nicht ganz trauen, war die nicht-theatralische Wissensvermittlung ein wenig ereignisarm. Von Katharina Henke lernten die Zuhörerinnen und Zuhörer, dass das Erinnern von erlebten Ereignissen davon abhängig sei, während des Ereignisses in Sekundenschnelle Zusammenhänge zwischen den Sinneseindrücken und den räumlichen, zeitlichen sowie semantischen Aspekten des Erlebten herzustellen und abzuspeichern. Unbewusstes Lernen stört bewusstes Abrufen Dieses rasche Abspeichern von Zusammenhängen werde über den Hippocampus vermittelt, einer seepferdchenförmigen Hirnstruktur im Schläfenlappen. Die Forscher in Henkes Arbeitsgruppe konnten mit Hirnaktivierungsmessungen zeigen, dass der Hippocampus solche neuen Bedeutungs-Zusammenhänge nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst herstellt, abspeichert und abrufen kann. Während des Lernens und Erinnerns sei der Hippocampus aktiviert, so die Berner Forscherin.
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Weitere Versuche hätten aber auch gezeigt, dass das rasche nichtbewusste Lernen von neuen Zusammenhängen das darauf folgende bewusste Lernen von gleichen, ähnlichen, sogar aber auch ganz verschiedenen Inhalten erschwerte. Das unbewusste Lernen verminderte zudem das Erinnern an bewusst gelernte Dinge. „Dies zeigt, dass der Hippocampus auch am unbewussten Lernen mit verknüpften Begriffen beteiligt ist. So ist unbewusstes Lernen von Episoden über diese Hirnregion möglich“, erklärte die Henke. Dies erweitere das Modell für die Funktion des menschlichen Gedächtnis’. Lernprozesse sind vielfältig Noch grundlegenderes Wissen versuchte Isabelle Mansuy zu vermitteln. Es gebe ein explizites und ein implizites Gedächtnis, sagte die ETH-Professorin. Ersteres speichere Fakten und Ereignisse. Das implizite Gedächtnis beziehe sich auf intuitives und motorisches Lernen, also das Erlernen eines Musikinstruments oder des Fahrradfahrens. Lernen könne auch über Assoziationen geschehen, zum Beispiel über einen bestimmten Geruch, einen Geschmack, über Klänge oder Gegenstände, die einem etwas in Erinnerung rufen können. Sehr stark ausgeprägt sei das emotionale Gedächtnis. „Wir erinnern uns besser an dramatische Ereignisse wie einen Autounfall. Solche Dinge geschehen nur einmal, trotzdem erinnern wir uns lange daran.“ Schliesslich gebe es das Reflex-Lernen, wie das rasche Wegziehen der Hand von einer heissen Herdplatte. Auch das werde in der Regel nur einmal gelernt. Mittels Tierversuchen seien die Forscher den Speicherprozessen im Gehirn auf der Spur. „Wir haben grosse Fortschritte erzielt, vieles liegt jedoch noch im Dunkeln“, schloss Mansuy. Mentale Vorstellung unterstützt Lernprozess „Bildhafte Wörter lassen sich leichter einprägen als nichtbildhafte“, sagte Peter Klaver, letzter im Bund der Referierenden. Sein Vortrag blieb wohl am schlechtesten im Gedächtnis haften und löste das Versprechen des Titels „Wie wir bewusst lernen und erinnern“ zu wenig ein. Bildhafte Wörter also, so Klavers Botschaft, seien leichter einzuspeichern als nichtbildhafte, weil erstere Hirnareale aktivieren würden, die mit der Bildverarbeitung zu tun haben. Würde man aber den visuellen Cortex ausschalten, zum Beispiel durch das Erzeugen von Schwindelgefühlen bei Testpersonen auf einem Drehstuhl, dann werde das Gleichgewichtsareal gestört, was wiederum die Bildverarbeitung im Hirn unterdrücke. „Die Drehung unterdrückt das Lernen durch mentale Vorstellung; bildhafte Wörter werden daher nur bei körperlicher Ruhe schneller verarbeitet als nichtbildhafte“, sagte der Psychologe. Auf dem Drehstuhl brauchten die Testpersonen für beides etwa gleich lang. Und so lautete der Tipp für den Hausgebrauch: „Wenn man die Möglichkeit hat, etwas beim ersten Mal in Ruhe zu lernen, dann sollte man mentale Vorstellung einsetzen.“ |
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