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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 01.10.2004 06:00

Die Gelenksflüssigkeit und die Reibung
Die Schmierung angeschaut

Die Hüftgelenke werden beim Menschen immer häufiger zu einem medizinischen Problem. Ein erfolgreicher künstlicher Ersatz benötigt ein grundlegendes Verständnis der Prozesse, die in einem Gelenk stattfinden. ETH-Forschende konnten zum ersten Mal zeigen, wie die Struktur der Proteine in der Gelenksflüssigkeit ihre Adsorptionsfähigkeit an Oberflächen beeinflusst. Das wiederum hat einen Effekt auf die Reibung. Die in „Biomaterials“ publizierte Arbeit wirft auch Fragen zu den gängigen Tests für künstliche Hüftgelenke auf.

Von Christoph Meier

Grundsätzlich läuft es geschmiert im Hüftgelenk. Doch der moderne Lebensstil mit Belastungen durch exzessiven Sport und Übergewicht sowie die zunehmende Lebenserwartung führen dazu, dass bei immer mehr Menschen das grösste Gelenk im Körper versagt. In Deutschland werden jährlich zwischen 150’000 und 180’000 künstliche Hüftgelenke implantiert, und eine Studie aus dem Jahre 1999 schätzt, dass in der westlichen Welt bei einem Drittel der Menschen früher oder später eine entsprechende Operation durchgeführt werden sollte.

Mit einem künstlichen Hüftgelenk, das oft aus einer Gelenkpfanne aus Polyethylen und einem Gelenkkopf aus Keramik oder Metall besteht, sind häufig aber nicht alle Probleme für das restliche Leben aus dem Weg geräumt. So ist nach 10 bis 15 Jahren meistens ein erneuter Ersatz nötig. Das grösste ungelöste Problem dabei ist der mechanische Abrieb von der Gelenkpfanne. Der Kunststoffabrieb kann das Immunsystems aktivieren und im umliegenden Gewebe abgelagert werden Das führt unter Umständen zu einer Knochenauflösung, was eine Lockerung des Gelenks zur Folge hat.

Gelenksflüssigkeit vernachlässigt

Um besser zu verstehen, was in einem künstlichen Hüftgelenk abläuft, sollte nicht nur die Beschaffenheit der Gelenkpfanne und des –kopfes betrachtet werden, sondern noch ein weiterer Faktor: die Gelenk- oder Schmierflüssigkeit. Diese trägt nämlich sowohl im natürlichen wie auch im künstlichen Gelenk entscheidend zu einem mehr oder weniger reibungslosen Ablauf bei. Erstaunlicherweise hat sich aber bis jetzt kaum jemand um die Schmierung gekümmert. Eine Ausnahme bilden ETH-Forscher aus der Gruppe von Nicholas Spencer, ETH-Professor für Oberflächentechnik am Departement Materialwissenschaft (1). In einer in der Zeitschrift „Biomaterials“ veröffentlichte Arbeit lieferen sie neue Grundlagen zur Schmierung im künstlichen Hüftgelenk (2). „Die Kombination von einer Analyse der Faltung von Proteinen in der Gelenksflüssigkeit, der Adsorption der Proteinen an der Polymeroberfläche und der damit verbundenen Reibung ist einmalig“, meint Manfred Heuberger, Oberassistent bei Spencer. Er bemerkt auch, dass diese Forschung erst durch die Zusammenarbeit mit dem ETH Institut für Molekularbiologie und Biophysik unter der Leitung von Professor Rudolf Glockshuber möglich wurde.

Struktur der Eiweisse beeinflusst Reibung

Im Fokus der Arbeit der ETH-Forscher stand Albumin, das häufigste Protein der Gelenksflüssigkeit und des Körpers überhaupt. Es zeigte sich, dass dieses Eiweiss im gefalteten Zustand bevorzugt an hydrophile Oberflächen aus speziell modifiziertem Polyethylen bindet, im ungefalteten also denaturiert an die hydrophobe unmodifizierte Oberfläche.


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Mit diesem Gerät kann die Reibung, die beispielsweise in einem Hüftgelenk auftritt, gemessen werden: Manfred Heuberger demonstriert den Gebrauch eines Tribometers. gross

In der Wasser abstossenden Form bildet Albumin zudem eine kompakte Schicht an der adsorbierenden Oberfläche. Das hatte zur Folge, dass die Gleitreibung höher wird. Die entsprechenden Daten lieferten Analysen mit einem Tribometer. Bei diesem drückt ein Stift mit einer Polymeroberfläche auf eine sich drehende Scheibe aus Keramik. In diesem an einen Plattenspieler erinnernden Gerät, wird dann anhand des Drehmomentes die Reibungskraft bestimmt. Im Weiteren zeigten die Forscher auch, dass das Albumin in der Gelenksflüssigkeit bei einer Temperaturerhöhung auf über 70 Celsius praktisch nur noch in denaturierter Form vorkommt, was erwartungsgemäss einen Einfluss auf das Adsorptionsverhalten hat.

„Dieser letzte Befund hat ganz klar Implikationen auf die gängigen Tests von künstlichen Hüftgelenken“, ist Heuberger überzeugt. In diesen würden häufig Temperaturen bis zu 90 Grad Celsius erreicht, was natürlich nicht der Situation im menschlichen Körper entspreche. In den Tests sollte gemäss dem ETH-Forscher auch darauf geachtet werden, was für eine Reibungsflüssigkeit eingesetzt wird: „Man kann jetzt nicht mehr so tun, als habe es keinen Einfluss, ob man Wasser, Wasser mit Salz oder eine Proteinlösung nimmt.“

Weitere Grundlagen nötig

Fragt man Heuberger nach den idealen Oberflächen für ein künstliches Hüftgelenk, will er sich noch nicht festlegen. Da brauche man noch mehr Forschung. Beispielsweise sei noch nicht klar, wie die Reibung mit dem Abrieb zusammenhänge. Entgegen der naiven Annahme, dass höhere Reibung mehr Abrieb zur Folge habe, könne es sein, dass sich hydrophobe Oberflächen mit der erwähnten erhöhten Reibung besser als Oberfläche eignen. Denn dabei bilde sich eine kompaktere Schutzschicht, sodass weniger direkter Kontakt zwischen Keramik und Polyethylen entsteht und möglicherweise auch weniger Abrieb. Heuberger selbst wird sich aber als nächstes nicht dem Abrieb beschäftigen. Denn erstens hat er keinen Hüftgelenkssimulator zur Verfügung und zweitens möchte er zuerst noch abklären, inwiefern Lipide neben den Proteinen die Reibung zwischen Keramik und Polyethylen beeinflussen.


Fussnoten:
(1) Laboratory for Surface Science and Technology (LSST): www.surface.mat.ethz.ch/
(2) M. P. Heuberger, M. R. Widmer, E. Zobeley, R. Glockshuber and N. D. Spencer: “Protein-mediated boundary lubrication in arthroplasty”, Biomaterials 1.10.2004 (published online)



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