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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.11.2004 06:01

Zum Jahr des Reises 2004
Karriere einer Forschung

Reis ist weltweit das wichtigste Nahrungsmittel: mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung nehmen bis 70 Prozent der benötigten Kalorien aus Reisprodukten zu sich. Der „Golden Rice“, eine mit Hilfe der Gentechnik an der ETH entwickelte Reissorte, kann noch mehr: er verhindert Vitamin-A-Mangel. Asien zeigt sich offen für diese Innovation, in Europa stösst sie jedoch auf Widerstand.

Von Michael Breu

Die Welternährungsorganisation FAO hat das 2004 zum Internationalen Jahr des Reises erklärt. Weil Reis nur wenige Mikronährstoffe enthält, leiden 400 Millionen Menschen an Vitamin-A-Mangel und 1,2 Milliarden Menschen an Anämie, verursacht durch ein Eisen- oder Zinkdefizit. Diesen Mangel beheben könnte der „Goldene Reis“ – eine von Ingo Potrykus, seit 1999 emeritierter ETH-Professor für Pflanzenwissenschaften, mit Hilfe der Gentechnik entwickelte Sorte. Doch spricht man in Europa kaum mehr über diese bahnbrechende Erfindung – eine Pflanze, die in ihren Körnern eine Vorstufe von Vitamin A erzeugt, ein Betacarotin, das dem Korn die gelbliche Farbe gibt. Sogar der für die Gentechnologie stets optimistische Arbeitskreis für Forschung und Ernährung, InterNutrition, ist zurückhaltend und schreibt: „Provitamin-A-Reis: Kleines, aber positives Echo“. Das hat der „Golden Rice“ nicht verdient.

Misstrauen in Europa

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen davon aus, dass rund 6’000 Mädchen und Knaben täglich an den Folgen des Vitamin-A-Mangels sterben. Das wäre vermeidbar. Doch der Anbau des Golden Rice wird seit mittlerweile fünf Jahren behindert: Angeführt von Greenpeace, fordern Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen aus Prinzip jeglichen Verzicht auf Grüne Gentechnologie. Der Golden Rice sei das Produkt einer breit angelegten Propaganda-Kampagne der Gentech-Lobby, heisst es bei Greenpeace Schweiz. Der Provitamin-A-haltige Reis werde als „Allheilmittel“ angepriesen, als „Wunderlösung“ gegen Blindheit und Tod. Die Organisation setzt auch im Jahr des Reises auf Protest – wie etwa jüngst vor den Toren des Saatgutherstellers Syngenta in Basel.

Agrarfunktionäre meinen, dass zuerst nachgewiesen werden muss, dass der Reis tatsächlich im menschlichen Körper wirkt. Erst dann werde die „Freisetzung“ erlaubt; und Konsumentenorganisationen wollen den Reis für den Konsum erst zulassen, wenn er von den Agrarfunktionären bewilligt wird. Ein Teufelskreis.

Nun bringen die US-amerikanischen National Institutes of Health Licht ins Dunkel: In einer speziellen Pflanzenwuchskammer der Texas A&M University wird Golden Rice mit schwerem Wasser herangezogen. Das Deuterium aus dem schweren Wasser lässt sich später im Provitamin nachweisen, die Wechselwirkungen im Körper können untersucht, die Auflagen der Agrarfunktionäre erfüllt werden. Das Problem ist: die Versuchskammer ist sehr klein, der Reisproduktion sind Grenzen gesetzt. „Vier Ernten sind nötig. Dafür brauchen wir zwei Jahre“, sagt Ingo Potrykus, Miterfinder des Reises und Präsident des Golden Rice Humanitarian Board. Ende kommenden Jahres, so hofft er, sollen bereits erste Resultate vorliegen: die Bestätigung, dass 200 Gramm Reis mit einem Provitamin-A-Gehalt von mindestens 1,6 Mikrogramm pro Gramm ausreichen um einer Mangelerkrankung vorzubeugen. „Trotzdem sind wir daran, den Gehalt noch weiter zu erhöhen“, sagt Potrykus.


"Golden Rice"

Ingo Potrykus und Peter Beyer ( Uni Freiburg i.Br.) gelang es, zwei Gene aus der Osterglocke und eines aus dem Bakterium Erwinia uredovora auf einem Konstrukt zusammenzuführen und dieses mit Hilfe des Agrobacterium tumefaciens in das Erbgut der Reispflanze Indica variety IR 64 einzuschleusen. Finanziert wurden die Arbeiten von der ETH Zürich, der Rockefeller-Stiftung, dem Biotech-Programm der Europäischen Union und vom Schweizerischen Nationalfonds mit insgesamt 2,6 Millionen US-Dollar. "Das Projekt sah von Anfang an vor, dass der Provitamin-A-Reis den Bauern in den Entwicklungsländern unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden soll", sagt Ingo Potrykus. Die beiden Forscher haben dies erreicht. Im Januar 2001 wurde der Golden Rice dem Internationalen Reisforschungsinstitut (IRRI) auf den Philippinen überreicht; dort und an anderen Institutionen wird er weiterentwickelt.




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Nur zurückhaltendes Echo in Europa - in Asien jedoch als Chance wahrgenommen: der goldgelbe Provitamin-A-Reis, mitentwickelt von ETH-Pflanzenwissenschaftler Ingo Potrykus. gross

Regionale Varianten

Daran arbeiten Pflanzenwissenschafter aus dem renommierten Internationalen Reisforschungsinstitut (IRRI) im philippinischen Los Baņos, dem Cuu Long Delta Rice Research Institute im vietnamesischen Cantho, dem Indian Agriculture Research Institute in Delhi und dreizehn anderen Institutionen. Sie zielen darauf, die Eigenschaften des Golden Rice in sorgfältig ausgewählte, nationale Reissorten einzukreuzen. „So entstehen viele lokal angepasste Golden-Rice-Sorten“, sagt Potrykus. „Ein Vorteil für die Bauern, weil jeder Reis genau auf die entsprechende Region abgestimmt ist.“

Auch haben Forscher mit Umfragen herausgefunden, dass der Vitamin-A-haltige Reis bei der Bevölkerung der philippinischen Provinzen Laguna und Nueva Ecija auf Akzeptanz stösst – entgegen den Behauptungen von Greenpeace, dass niemand den Reis wolle: „Die Konsumenten waren prinzipiell sehr interessiert an mikronährstoffreichem Reis, und es wurden keine Bedenken bezüglich der Farbe geäußert“, fassen Roukayatou Zimmermann, Alexander Stein und Matin Quaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Uni Bonn in einem kürzlich erschienenen Fachaufsatz zusammen (1). Dem Autorenteam ist es in ihrem Bericht vor allem um die gesundheitsökonomische Bewertung von Golden Rice gegangen.

Kein Allheilmittel

Die Erkenntnisse der ex ante Fallstudie geben dem Reis beste Noten: Der Nutzen der Technologie liege zwischen 16 und 88 Millionen US-Dollar pro Jahr, die sozialen Renditen zwischen 66 und 133 Prozent. „Der erwartete Nutzen ist beträchtlich“, trotzdem werde der goldene Reis die Probleme nicht vollständig beseitigen. Eine ähnliche Studie wird derzeit in Indien durchgeführt, eine weitere ist für Vietnam und Bangladesh geplant – denn immerhin sei der goldene Reis, gemäss einem Kommentar im Wissenschaftsmagazin Science das Beste, was die Biotechnologie im Landwirtschaftsbereich zu bieten habe (2).

Nun fehlen nur noch die Feldversuche, bzw. der kommerzielle Anbau. In vielen Ländern ist die Situation blockiert (siehe oben), die Stimmung negativ angeheizt. Trotzdem hat das nationale Komitee für Biosicherheit der Philippinen inzwischen den begrenzten kommerziellen Anbau erlaubt, und in Indien sind die ersten Feldversuche vor Jahresende geplant. Andere Länder werden folgen – China, Vietnam und Bangladesh zum Beispiel. „Ich bin zuversichtlich“, sagt Ingo Potrykus, „wenn die Regierungen den Nutzen sehen, werden sie den Anbau unterstützen.“ Dafür ist jedoch noch viel Lobbyarbeit nötig.

Jahr des Reises: Was bringts?

Mitte März 2004 sprach Potrykus an der vatikanischen Universität über die Zukunft der Biotechnologie und überreichte anschliessend dem Papst ein Dossier über die gegenwärtige Situation und die mittelfristige Planung mit dem Golden Rice. Auch sonst ist er viel unterwegs und hält Vorträge - vor allem in Asien. Allerdings nicht zum Internationalen Jahr des Reises, dafür wurde er noch nicht angefragt. „Wenn die Vereinten Nationen ein Jahr des Reises für sinnvoll halten, dann spricht eigentlich nichts dagegen. Es werden viele Reden gehalten, es wird viel Papier produziert werden – ob das weiterhelfen wird, wage ich zu bezweifeln“, meinte der Pflanzenwissenschafter gegenüber der Berner Zeitung und bedauert im Gespräch, dass es in Europa aufgrund des Protestes weiterhin still um den goldenen Reis bleiben wird.


Fussnoten:
(1) Agrarwirtschaft, 2004, 53(2): 67-76.
(2) Science, 2000, 287: 241-243.



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