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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 13.12.2004 06:00

Gespräch mit Greenpeace-Geschäftsleiter Kaspar Schuler
"Die ETH ist eine Getriebene"

Greenpeace Schweiz feierte dieses Jahr ihren 20. Geburtstag. Geschäftleiter Kaspar Schuler äussert sich im Gespräch mit ETH Life zur Geschichte der Umweltorganisation, dem ETH-Versuch mit Gentechweizen und seiner Vorstellung von Wissenschaft.

Interview:Christoph Meier

20 Jahre Greenpeace: Was ist der grösste Erfolg in der Schweiz?

Schuler: Die gentechfreie Schweiz ist ein herausragender Erfolg. Zusammen mit anderen Organisationen konnten wir bis jetzt eine von der Privatindustrie hochgradig geförderte Technologie von der Markteinführung fernhalten. Einen zweiten Erfolg stellt das neue Kernenergiegesetz dar. Obwohl wir die zwei Atomabstimmungen 2003 verloren hatten, wurde dank unserem Druck ein Moratorium für die Wiederaufbereitung der Schweizer Brennstäbe im Ausland sowie Abschaltkriterien für die bestehenden Atomkraftwerke verankert. Wenn diese jetzt auch noch griffig und klar formuliert werden, ist das weltweit einzigartig.

Was sind die Niederlagen von Greenpeace?

Die Atomgeschichte ist auch eine Niederlage. Wir haben es nicht geschafft, der Bevölkerung zu vermitteln, dass wir auf die fünf bestehenden AKW-„Öfen“ verzichten können.

Kann man das?

Und wie! Das wissen die ETH-Leute besser als wir. Wir müssten nur noch über den Ersatzmix für die Atomenergie diskutieren: wie viel Energie-Effizienz, Wärmekraftkopplung, Windkraft, geothermische und solare Energie, wie viel Übergangszeit?

Gab es bei Greenpeace auch Fehler?

Klar, der berühmteste ist der Messfehler auf der Ölplattform Brent Spar. Er ist bitter, da unsere Argumentation gar nicht auf bestimmten Messwerten und den verbliebenen Ölmengen in der Plattform beruhte, sondern weil wir den Anfängen der Versenkung der insgesamt über 400 Plattformen in der Nordsee wehrten, im Sinne von „eine leere Öldose wirft man nicht ins Wasser“.

Wie sieht es mit den Mitgliederzahlen aus, haben Sie da einen Erfolg?

Wir stagnieren in der Schweiz zurzeit bei 143'000 UnterstützerInnen. Das entspricht jener Basis, welche mehrere Organisationen in der hiesigen Umweltbewegung haben. Wir sind stolz darauf, dass wir keinen Rappen von der öffentlichen Hand, von Kapitalgesellschaften und internationalen Institutionen annehmen.

Wie messen Sie ihren Erfolg?

An der Erreichung unserer Kampagnenziele. Da sie langfristig und politisch sind, ist das nicht immer einfach. Die höchste Latte ist eine internationale Vereinbarung, ein neues Gesetz, eine Verordnung, die auch umgesetzt wird. Unter „Kyoto und Russland“ setzen wir darum einen stolzen Haken. Mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen wir realistische Zielvereinbarungen, die messbare Leistungen enthalten. Wenn jemand die Vereinbarung nicht erfüllt, wird analysiert und falls persönliches Versagen vorliegt, kann man auch bei uns entlassen werden.

Anprangern ist ein wichtiges Mittel von Greenpeace. Bereitet es Ihnen keine Mühe, dass dabei häufig nicht nur die Sache, sondern auch Personen angegriffen werden?

Es gab vor einigen Jahren die Dollinger-Kampagne (1), wo man fälschlicherweise eine Person angegriffen hat. Das geht nicht. Wir spielen auf die Sache.

"Wir spielen auf die Sache": Greenpeace-Cartoon zum ETH-Gentechweizenversuch.

Trotzdem: Sie haben mit einem Cartoon offensichtlich auf den ETH-Forscher Sautter gespielt?

Ich kann mich nicht erinnern, dass wir Herrn Sautter persönlich angegriffen haben. Dieser Cartoon enthielt allerdings, bei allem Freiraum für bissige Satire, einen Fehler, den ich sehr bedaure: Die Aussage mit dem einzukreuzenden blonden Gen darf nicht sein, das tönt nach Rassentheorien und somit auch nach latentem Faschismus. Wir haben seine Verwendung gestoppt. Ich möchte anfügen, dass ein jeder Forscher nicht nur experimentieren kann, mit einer Begründung im Stile „die Fragen der Umsetzung und Anwendung entziehen sich meiner Verantwortung.“ Der Freisetzungsversuch an sich war für uns ein guter Anlass, um grundsätzlich darüber zu diskutieren, ob eine Landwirtschaft mit Gentechnik in der Schweiz mehr Chancen oder Risiken birgt.

Und wie beurteilen sie diese Diskussion?

Mit unserer mehrwöchignen Infotour durch die Schweiz als sehr erfolgreich. Es ist schade, dass der Versuch durchgeführt wurde. Wir wären aber froh, wenn die Bevölkerung und als Teil davon die ETH sich bewusst geworden ist, wie heikel Freisetzungen per se sind.

Ist die Gefahr durch Freisetzungen so klar?

Für uns ist sie zu gross.

Woran machen Sie das fest?

Anhand unserer gesamten naturwissenschaftlichen Überlegungen zu Gefährdungen durch ungesteuerte Auskreuzungen, zur Kleinräumigkeit der Schweizer Landwirtschaft und zu den entstandenen Schäden, beispielsweise in Nordamerika. Wir haben dabei die Rolle, auf die offenen Fragen und Gefahren aufmerksam zu machen. Es ist ja ein Diskurs.

Dass es für Sie ein Diskurs ist, merkt man als Aussenstehender nicht. Greenpeace stellt die Gefahr als real dar.

Das ist unsere Aufgabe, aufgrund der Realität. Dazu kommt die Ethik. Wir weisen in der gesamten Diskussion auf zwei über die Anwendung der Technik hinausführende Sachlagen hin: Gentechnik in der Landwirtschaft löst das Hungerproblem nicht und sie führt zur Monopolisierung des Saatgutes und damit zu Abhängigkeit und Entdemokratisierung. Es ist von uns aus gesehen amoralisch, eine solche Entwicklung zu stützen.


Sieht die gentechfreie Schweiz als herausragenden Erfolg an: Greenpeace Geschäftsleiter Kaspar Schuler gross

Stützt denn der ETH-Versuch diese Entwicklung?

Ja, wir können belegen, dass die ETH nicht Grundlagenforschung betreiben möchte, sondern nach einer markttauglichen Sorte sucht.

Was sind die Belege?

Das weiss ich nicht im Detail. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belegten, dass es unter anderem darum ging eine markttaugliche Weizensorte für Indien zu züchten. Der springende Punkt: Es ist eine Technologie, die Millionen von Landwirten in eine einseitige Abhängigkeit führt.

Dann kann es für Sie keine sinnvollen Versuche geben?

Gegenüber der Zivilgesellschaft ist es eine normale Strategie, salamitaktisch vorzugehen und Sachzwänge zu schaffen. Das kennen wir vom Autobahnbau und gilt auch für die Gentechnik. Wer etwas prinzipiell nicht will, argumentiert im Grossen und Grundsätzlichen, jemand, der etwas unbedingt will, argumentiert im Kleinen, mit schrittweisem Vorgehen. Es ist der Streit zwischen Prinzipienethik und Situationsethik. Die ETH sagt, dieser Schritt tut nicht weh. Doch wir sprechen über das Ganze.

Im Zusammenhang mit dem Freisetzungsversuch behaupte ich, dass die ETH eine Getriebene ist, sie ist beileibe kein Elfenbeinturm, wo unbedarft geforscht und selbst bestimmt werden kann, welche interessanten Projekte durchgeführt werden. Es gibt einen harten Kampf, wofür es Geld gibt und wofür nicht.

Die meisten Gelder kommen aber immer noch vom Bund.

Nur ist auch der Bund kein Neutrum, sondern gespickt mit Interessenvertretern.

Wie wichtig ist Ihnen die Wissenschaftlichkeit?

Sehr wichtig. Auch was wir machen, ist wissenschaftlich fundiert. Nach der Grundlagenerhebung kommt der zweite Schritt, und damit der Unterschied zur ETH: Wir verkaufen es anders. Wir machen Realpolitik. So sagen wir aufgrund der vorhandenen Indizien in der Klimaforschung: Es reicht, wir müssen den CO2-Ausstoss verringern.

Es gibt auch das Gründungsmitglied Patrick Moore, der sagt, Greenpeace habe sich von Logik und Wissenschaft verabschiedet.

Moore kenne ich leider nicht. Doch nehmen wir Björn Lomborg aus Dänemark, der erklärt, die Umweltbewegung mache Fehler, sie dramatisiere. Natürlich dramatisieren und pointieren wir, das ist die Aufgabe zur Thematisierung in der Öffentlichkeit. Lomborg selbst macht auch Fehler. So liefert er Statistiken, die belegen, dass die Wäldflächen zugenommen haben. Dabei unterschlägt er, dass die Primärwälder abnehmen.

Was ist, wenn man eine Entwicklung in den nächsten 10 Jahren verpasst, aufgrund falscher Indizien?

Ich beziehe Ihre Aussage auf die Gentechnik und betrachte es als naiv zu sagen, man verpasse hier etwas in den nächsten zehn Jahren. Die wichtigen Erkenntnisse und Entwicklungen brauchen vor der Anwendung Zeit zur Beurteilung. Je mächtiger der menschliche Verstand, umso grösser ist das Risiko. Ich erinnere nur an die riesigen Folgeschäden der grünen Revolution. Zudem muss jeweils geklärt werden, was an Gewinnen privatisiert und was an Verlusten sozialisiert wird.

Welche Rolle hätten dabei für Sie die Hochschulen?

Die tragende Säule der Hochschule muss die Unabhängigkeit sein. Zudem sollten die Hochschulen intern einen permanenten, ethischen Diskurs führen: Wozu dient unsere Forschung? Was machen wir mit der gewonnenen Erkenntnis? Nicht jede Erkenntnis beinhaltet einen zwingend umzusetzenden Fortschritt.

Wie sieht die Zukunft von Greenpeace aus?

Es ist klar, dass die Umweltproblematik, im speziellen in Westeuropa, nicht mehr an Einzelverursachern festzumachen ist. Einen Abwasserauslauf einer Chemiefabrik zu verschliessen ist hier nicht mehr Thema. Komplexe und im Wechselspiel von Verursachern und Auswirkungen vernetzte Systeme sind die heutige Herausforderung. So können wir uns nicht an Bundesrat Leuenberger ketten und warten, bis er die CO2-Abgabe beschliesst. Bei den Kampagnenmitteln sind wir gefordert, dieser Komplexität zu begegnen und kreativer zu werden.

Inhaltlich haben wir uns unter den 27 Greenpeace-Organisationen weltweit zum ersten Mal auf grosse Themen geeinigt: Erneuerbare Energien, gerade für die ärmste Bevölkerung in den südlichen Ländern, ökologische statt gentechnische Landwirtschaft, eine möglichst vergiftungsfreie Zukunft, der Schutz der Ozeane vor Überfischung, die nukleare Abrüstung und die Verhinderung der Abholzung der letzten Primärwälder. National ist Waldplitik auch ein Thema, ebenso die Gentechnik in der Landwirtschaft, aber auch die proklamierte Renaissance der AKW und die grossen Altlasten der Basler Chemieindustrie, die Mensch und Grundwasser bedrohen.


Fussnoten:
(1) Vergleiche Medienmitteilung des Bundesamtes für Veterinärwesen zum Gerichtsentscheid bei Dollinger: http://www.admin.ch/cp/d/33E98618.6AD0@bvet.admin.ch.html und Greenpeace zum Jahre 1997. http://info.greenpeace.ch/de/satelliten/20jahresatellit/index/index_satellit



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