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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 14.02.2007 06:00

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer an der ETH Zürich
Österreich als Technologieexporteur

Der neue österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat auf seiner ersten Schweizer Reise die ETH Zürich besucht. Am 12. Februar hielt er im Auditorium Maximum einen öffentlichen Vortrag über Innovationspolitik. Einer Störaktion von Studierenden begegnete er gelassen.

Gabrielle Attinger

Konrad Osterwalder war sichtlich stolz: Dass der neue Bundeskanzler noch vor seinem ersten Besuch in Bern an die ETH käme, freue ihn ganz besonders und setze ein Zeichen, erklärte der Rektor und interimistische Präsident, als er am Montag gemeinsam mit dem ETH-Ratspräsidenten Alexander Zehnder und dem österreichischen Gast im Auditorium Maximum vor das Publikum trat. Gusenbauer erwiderte, dass er sich ebenso freue, weil er hier immer gerne studiert hätte.

Rund 350 Personen waren gekommen, um den neuen österreichischen Bundeskanzler live zu erleben und zu begrüssen, darunter Politiker wie Ständeratspräsident Peter Bieri und Nationalrätin Vreni Müller-Hemmi, Ernst Wohlwend, der Stadtpräsident von Winterthur, und SP-Präsident Hans-Jürg Fehr, der dem SPÖ-Kanzler besonders lange die Hand schüttelte. Von der ETH war die ganze Schulleitung anwesend sowie Nobelpreisträger Richard Ernst und etliche weitere Professoren und Dozierende. Die österreichische Gemeinde war bunt gemischt und reichte von Botschaftsvertretern über den kritischen Studierenden bis hin zur sechsjährigen Tirolerin Rosanna Gstrein, die mit ihrem Grossvater gekommen war.

Kurzes Intermezzo

„Innovation als Impuls für die Beschäftigung“ lautete der Titel von Alfred Gusenbauers Rede und sollte dem Publikum die ehrgeizigen bildungs- und sozialpolitischen Pläne der neuen österreichischen Regierung näher bringen. Zunächst wurden seine Ausführungen jedoch in eine andere Richtung gelenkt. Wenige Minuten nach Beginn seiner Rede kam ein Zwischenruf aus den hintersten Rängen des Auditoriums. „Herr Gusenbauer, eine kleine Aktion“, kündigte eine junge Frau an. Rund 20 Personen erhoben sich, streiften sich weisse T-Shirts über und gaben sich als Mitglieder des Verbands der Schweizer Studierendenschaften zu erkennen.

Sie wollten während rund zehn Minuten, wie die Sprecherin erklärte, ihre Sicht zu den Studiengebühren in Österreich darlegen. Der Kanzler hatte vor seiner Wahl versprochen, die Studiengebühren in Österreich abzuschaffen. Nach der Wahl krebste er zurück und stellte stattdessen ein Finanzierungsmodell in Aussicht, nach dem die Studierenden zu einem fiktiven Stundenlohn von 6 Euro Sozialdienst leisten und sich ihre Studiengebühr so verdienen könnten. Dies führte in Wien schon während seines Amtsantritts zu lautstarken Protesten.

Souveräne Reaktion

Der VSS kam jedoch nicht weiter zu Wort. Noch während Gusenbauer der Sprecherin antwortete, wurde die Gruppe von den Ordnungskräften aus dem Saal gebracht. Der Bundeskanzler wandte sich daher wieder dem Publikum zu, ging aber weiter auf das Thema der Protestierenden ein. Es sei in den Koalitionsverhandlungen leider nicht gelungen, die ursprüngliche Forderung nach Abschaffung der Studiengebühren durchzusetzen, erklärte er. Der nun vorliegende Vorschlag der Sozialarbeit sei keine Eigenerfindung, sondern würde in Israel seit über 30 Jahren erfolgreich praktiziert.

Es gehe darum, erläuterte er weiter, die bildungsnahen und bildungsfernen Schichten einander näher zu bringen. Um dies zu erreichen, sollen Studierende aus den privilegierten Schichten eine Patenschaft von Kindern übernehmen, die ohne Hilfe von Dritten keine Aussicht auf ein Studium haben. Gusenbauer nannte Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen als Beispiel. Wer mit einer solchen Patenschaft ein Kind fördert, dem sollten die Studiengebühren nach dem Satz von 6 Euro pro Einsatzstunde erlassen werden. „Wir haben schon bislang für 6 Euro arbeiten können“, warf ein österreichischer Student da ein. Gusenbauer gab ihm Recht – und erntete entschlossenen Applaus für seine ungeplanten Ausführungen. Dann leitete er auf sein ursprüngliches Thema über.

Zürcher Starthilfe

Über die Bildungs- und Innovationspolitik wollte Gusenbauer sprechen. Sie erfährt in Österreich zurzeit neue Impulse. Geplant ist die Schaffung einer Elite-Uni namens Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Sie soll helfen, die Attraktivität des Wissenschafts- und Forschungsstandorts Österreich zu steigern und dazu führen, dass der „brain drain“ in Österreich zu einem „brain gain“ wird. Als Modell dafür wurde wiederholt die ETH ins Feld geführt. Ihr ehemaliger Präsident Olaf Kübler sitzt im Planungskomitee.


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Wünscht sich radikale Innovationen: der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (Foto: Nathalie Guinand)

Die Österreicher möchten jedoch auch international eine grössere Rolle in Wissenschaft und Innovation spielen: Sie haben sich für den Sitz des European Institute of Technology beworben, das die Europäische Union ins Leben rufen will.

Rückblick auf 30 Jahre Wirtschaftswachstum

Wer gehofft hatte, neues zu diesen Projekten zu erfahren, wurde indes enttäuscht. Der Bundeskanzler hielt sich in seiner Rede an bereits Bekanntes, an die Mechanismen von technologischem Fortschritt und Wirtschaftswachstum, und blickte dabei bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Er ging von der schöpferischen Zerstörung, einem Begriff von Joseph Schumpeter, aus um zu erläutern, wie neue Technologien seit je alte verdrängen und Arbeitsplätze in alten, schrumpfenden Märkten dadurch verloren gehen.

Er erinnerte daran, wie stark die Arbeitslosenzahlen seit den 70er Jahren gewachsen sind und verlangte deshalb eine beschäftigungsfördernde Innovationspolitik. Die entscheidende Frage sei, wie sich Innovation und Beschäftigung positiv verflechten lassen, führte er aus. Denn es gebe keine Alternative zu permanenter Innovation, im Gegenteil: Der Innovationsdruck nehme ständig zu, die Innovationszyklen würden kürzer. Exportorientierte, rohstoffarme wie die Schweiz und Österreich würden Gefahr laufen, vom Wachstum der asiatischen Länder überholt zu werden.

Gusenbauer setzt auf eine radikale Innovationspolitik. Österreich habe traditionell Technologien importiert, jetzt müsse es zum Technologieentwickler und –exporteur werden, erklärte er. Dies soll mit einer markanten Erhöhung der Forschungsausgaben gelingen. Bereits heute liegen die Ausgaben bei 2,32 Prozent des Bruttoinlandprodukts und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Bis im Jahr 2010 sollen sie 3 Prozent erreichen. Die Bildung und Wissenschaft soll damit neu organisiert werden. Das wichtigste Glied in der Kette von Forschung, Innovation und Wachstum trage den Namen Ausbildung, meinte der Kanzler. Österreich müsse mehr Akademiker und Akademikerinnen generieren, aber auch die Ausbildung auf tieferen Ebenen verbessern.

Eine Lehre für alle

Im Übereinkommen der neuen Regierung wurde deshalb eine Bildungsgarantie bis zum 18. Lebensjahr festgelegt. In Österreich lebende Jugendliche sollen also künftig kostenfrei einen Beruf erlernen können, egal, zu welchem Zeitpunkt sie die Schulbildung beenden. Der Mindestlohn soll zudem erhöht, die soziale Sicherung generell gestärkt werden. Damit würde die "schöpferische Zerstörung“ Schumpeters in gesellschaftlicher Neuerung aufgehoben, meinte Gusenbauer. Konkreter wurde er nicht, erntete aber trotzdem anhaltenden Applaus für seine programmatische Rede.

Den österreichischen Status Quo rückte die anschliessende Fragerunde ins Visier. Die ETH-Angehörige Anette Freytag, die sich mit dem Forderung „Jetzt kommt noch eine Frau dran!“ Gehör verschaffte, erinnerte den Kanzler daran, dass die Berufschancen von Universitätsabsolventen in Österreich noch immer sehr schlecht seien. „Noch immer zählt nicht, was jemand zu sagen hat, sondern wer ihn schickt“, meinte sie. Das Beziehungsnetz sei wichtiger als die Leistung. Dem Bundeskanzler blieb nichts anderes übrig, als ihr zuzustimmen.


Literaturhinweise:
Pocast von Gusenbauers Auftritt: http://download.podcast.ethz.ch/media/SL-0002-00X/20070212.m4v



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