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Rubrik: Tagesberichte

Öffentliches Seminar von "Society in Science"
Es braucht die gesellschaftliche Dimension

Published: 25.01.2007 06:00
Modified: 24.01.2007 15:30
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Am 29. Januar 2007 findet an der ETH Zürich unter dem Titel „Society meets Science: Avenues for research and interaction (www.society-in-science.ethz.ch/) “ ein öffentliches Seminar des Fellowship-Programms „Society in Science“ statt (1) . Ein Gespräch mit Professor Olaf Kübler, dem Direktor des Programms, über das problematische Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, was ihn heute antreibt und was erfolgreiche Fellows ausmacht.



Mit Olaf Kübler sprach Daniele Waldburger

Wie muss man sich das Leben eines ehemaligen ETH-Präsidenten vorstellen? Geruhsam und beschaulich?

Als unglaublich interessant. Es werden viele Anfragen an mich herangetragen, mich zu engagieren und die Erfahrungen aus meiner Zeit an der ETH Zürich nutzbar zu machen.

Was zum Beispiel?

Ich bin Mitglied des Board of Trustees der Nationaluniversität in Singapur. Diese verfolgt das ehrgeizige Ziel, eine der besten Hochschulen der Welt zu werden. Hier kann ich unter anderem meine Erfahrung bei Berufungen einbringen. Oder ich leite das Scientific Committee des kürzlich gegründeten Institute for Science and Technology Austria (ISTA), Österreichs künftiges Spitzeninstitut. Oder ich bin Mitglied im Senat und Forschungsausschuss der Max-Planck-Gesellschaft. Und dann bin ich seit 1. Januar 2006 natürlich auch Direktor von „Society in Science: The Branco Weiss Fellowship“.

Das hört sich fast interessanter an als das Amt des ETH-Präsidenten. Vermissen sie Ihre alte Tätigkeit überhaupt nicht?

(Lacht) Gute Frage... Doch schon, vor allem den regen Kontakt mit ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vermisse ich manchmal. Früher machte ich pro Jahr fast dreissig Berufungen. Vieles vermisse ich aber auch nicht.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Mandate aus?

Die Mandate müssen spannend sein; sie müssen mir neue Einsichten vermitteln können. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich gemerkt, dass mich rein informative Tätigkeiten weniger interessieren. Ich will selber umsetzen oder zumindest Einfluss auf die Umsetzung nehmen können.

Bei Society in Science haben Sie als Direktor ja sehr direkten Einfluss auf die Umsetzung. Worum geht es in diesem Fellowship-Programm?

Immer wieder kommt in Gesprächen mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Wunsch auf, etwas zu tun, was nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich relevant ist. Society in Science nimmt dieses Bedürfnis auf und bietet diesen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, wichtige Themen an den vielfältigen Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu erforschen.

Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen?

Eine unserer Fellows ist eine junge Assistenzprofessorin am Haverford College in Pennsylvania (USA), die ursprünglich aus Nigeria kommt. Sie beschäftigt sich als Biologin mit dem wichtigen Thema „diagnostic insufficiency“ in Westafrika. Sie untersucht, welche infrastrukturellen Voraussetzungen vorhanden sein müssen, damit zum Beispiel die Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Keimen unterbunden werden kann. Gleichzeitig untersucht sie auf wissenschaftlicher Ebene, wie Resistenzen entstehen und wie eine gute Diagnostik sowie rechtzeitiges Eingreifen bereits der Entstehung von Resistenzen entgegenwirken. Dies ist für mich eine fast prototypisch schöne wissenschaftliche Arbeit, die ganz unmittelbar auch Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.

Gibt es noch andere Beispiele?

Die Bandbreite der Themen, von denen einige am eintägigen Seminar (www.society-in-science.ethz.ch/) nächsten Montag vorgestellt werden, ist ausserordentlich gross. So untersucht einer unserer Fellows die genetischen Grundlagen von eineiigen Zwillingen. Er geht dabei unter anderem der Frage nach, wie in der Natur „Klone“ entstehen. Ein anderer beschäftigt sich damit, wie die Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums – die Intellectual Property Laws – ausgestaltet sein müssen, damit sie wissenschaftliche und gesellschaftliche Innovation fördern statt hemmen. Ein dritter ist mit der Entwicklung einer Plattform beschäftigt, die global verfügbare Informationen zu Genen öffentlich zugänglich macht. Eine Art Wikipedia für Gene.


“Society in Science: The Branco Weiss Fellowship”

“Society in Science: The Branco Weiss Fellowship” ist ein einzigartiges Experiment im Bereich Forschung und Ausbildung. Das an der ETH Zürich angesiedelte Stipendienprogramm unterstützt ausserordentlich talentierte, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorwiegend aus den „life sciences“, die die vielfältigen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft ausloten und neue Bereiche und Themen an den Schnittstellen erforschen möchten. Das Stipendienprogramm ist eine Antwort auf das wachsende Bedürfnis, wissenschaftliche Forschung und Praxis besser in den sozialen Kontext zu integrieren. Zudem fördert es einen offenen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Gegründet wurde „Society in Science“ 2002, die ersten Stipendiatinnen und Stipendiaten nahmen ihre Arbeit 2003 auf.

„Society in Science” fördert einen integrativen Forschungsansatz. Es richtet sich an Forschende auf Post-doc-Niveau und gibt ihnen die Freiheit, Grenzen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen zu durchbrechen und unkonventionelle Forschungsvorhaben während bis zu fünf Jahren zu verwirklichen. Erfolgreiche Kandidaten und Kandidatinnen müssen in der Lage sein, konkrete, anspruchsvolle und wissenschaftlich fundierte Forschungsprojekte zu entwickeln, die im Idealfall neue Wege beschreiten. Gleichzeitig müssen sie die Fähigkeit und den Willen mitbringen, im wissenschaftlichen wie im gesellschaftlichen Umfeld über ihre Aktivitäten einen konstruktiven Dialog zu führen.

„Society in Science“ wird vom ehemaligen Präsidenten der ETH, Prof. Olaf Kübler, geleitet. Ihm zur Seite steht ein wissenschaftlicher Beirat, der sich aus international renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammensetzt.


’"Nur Mutige und Talentierte sind bereit, ihre Wissenschaft der öffentlichen Kritik auszusetzen." Olaf Kübler, Direktor des Fellowship-Programms Society in Science.

Welche Voraussetzungen muss ein potenzieller Fellow von Society in Science erfüllen, um ausgewählt zu werden?

Wichtigste Voraussetzung ist sicherlich die Erstklassigkeit der wissenschaftlichen Arbeit. Aber ohne eine gesellschaftliche Dimension in der eigenen Forschung wird man in der Endausscheidung nicht erfolgreich sein.

Gesellschaft und Wissenschaft stehen ja schon immer in einer sehr engen Verbindung. Was hat sich in den letzten Jahren verändert, dass es dieses Fellowship-Programm überhaupt braucht?

Alte Postulate und Fragestellungen gewinnen immer wieder neu an Brisanz. Ich muss sagen, dass ich selbst in den Gesprächen mit unseren Fellowship-Kandidaten immer wieder überrascht bin, wie wenig die Frage der wissenschaftlichen Thematik mit dem gesellschaftlichen Leben in Verbindung gebracht wird. Vielfach kommen junge Forscher und Forscherinnen über ihre Doktorarbeit in eine Thematik hinein oder übernehmen das Thema von ihrem Doktorvater, ohne es je zu hinterfragen.

Warum ist es so schwierig, über Disziplinen hinweg fruchtbar miteinander zu kommunizieren?

Schon die Beherrschung eines einzigen wissenschaftlichen Themas erfordert sehr viel Arbeit. Dazu kommt, dass sich viele junge Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler von Anfang an in ihrer eigenen „Community“ bewegen, sich dort wohl fühlen und auch Anerkennung bekommen. Die Erarbeitung benachbarter Themen erfordert nochmals diesen ganzen Lernprozess. Zudem erkennt man schnell, dass grosse Themen alleine gar nicht bearbeitet werden können, sondern nur zusammen mit Experten aus anderen Gebieten. Aber auch diese Kommunikation verlangt nach einem Grundverständnis der Arbeit der anderen. Das ist eine Herausforderung, der sich viele nicht stellen wollen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Fähigkeit, die für gute Wissenschaft immer wichtiger wird.

Besteht für einen jungen Wissenschaftler oder eine junge Wissenschaftlerin nicht auch eine gewisse Gefahr, sich auf diese Weise zu verzetteln und damit unter Umständen der eigenen Karriere mehr zu schaden als zu nützen?

Das ist die eigentliche Gewissensfrage. Man muss zuerst Tiefe gewinnen, bevor man versucht Breite zu schaffen. Bei Society in Science führen wir mit all unseren Stipendiaten jedes Jahr ein Standortgespräch und achten dabei speziell darauf, ob die beruflichen Ziele erreicht werden oder ob eine Verflachung stattfindet.

Wie viel Freiraum geniessen die Fellows in ihrer Arbeit?

Initiative, selbständige und gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen Freiraum haben – auch bei Society in Science. Unsere Standortgespräche führen dazu, dass wir uns überlegen, in welche Richtung es gehen soll. Aber ich denke, wir haben Fellows, denen wir die Initiative nicht nur zutrauen dürfen, sondern zutrauen müssen. Das sind wirklich aussergewöhnlich begabte Leute, die ein Thema für sich ausbauen wollen und können.

Society in Science richtet sich vor allem an Forschende aus den „life sciences“. Liegt der Grund darin, dass die „life sciences“ die ambivalenteste oder politisch brisanteste Wirkung auf die Gesellschaft haben?

Ich habe natürlich noch Zeiten im Kopf, wo die Physik diesen Platz einnahm. Denken Sie nur an die Physiker von Friedrich Dürrenmatt oder an die Rolle von Robert Oppenheimer. Man konnte seinerzeit in den sechziger Jahren nicht zu erkennen geben, dass man Physikstudent ist, ohne dass man angegriffen oder zumindest herausgefordert wurde. Heute scheint sich das auf die „life sciences“ verlagert zu haben.

Ist Society in Science notwendig, weil die bestehenden Bildungsinstitutionen ihren Vermittlungsauftrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nicht genügend wahrnehmen?

Die Wissenschaft macht das zwar schon auch immer wieder. Aber wir stehen doch alle auf den Schultern von unseren Vorgängern. Es sind immer nur wenige, die bereit sind, ihre Wissenschaft und ihre Themenstellung freimütig und mutig der eigenen und fremder Kritik auszusetzen.

In welchem Verhältnis steht Society in Science zur ETH?

Society in Science ist an der ETH beheimatet. Wir haben unsere Büros im Gebäude des ETH-Rates, die ganze Administration läuft über die ETH. Bis jetzt haben wir allerdings erst einen Fellow, der seine wissenschaftlichen Wurzeln an der ETH hat. Wir hoffen, dass sich das in Zukunft ändert.

Footnotes:
(1 Weitere Informationen zu Society in Science und zur Tagung vom 29. Januar 2007: www.society-in-science.ethz.ch


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