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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 01.09.2004 06:00

Jubiläums-Rückblicke der ETH-Technikgeschichte
Umstrittene Internationalität

Heute vor 150 Jahren, am 1. September 1854, erreichte den Schulrat das Bewerbungsschreiben eines österreichischen Privatdozenten für Mathematik, der sich „mit der Bitte um eine Professur“ an den Bundesrat wandte. Die Internationalität des Lehrpersonals, inzwischen eine Grundbedingung für konkurrenzfähige Wissensproduktion, war für das Polytechnikum lange Zeit keine Selbstverständlichkeit.

Von Monika Burri, Technikgeschichte der ETH Zürich

„Nachdem der ehrfurchtsvoll Unterzeichnete den Beschluss des hohen Bundesrathes in den Zeitungen gelesen, ein polytechnisches Institut in Zürich zu errichten, fühlt er sich von dem lebhaftesten Wunsche beseelt, dem hohen Bundesrathe seine Kräfte anzubiethen“, eröffnet Simon Spitzer, Assistent und Privatdozent für Mathematik am polytechnischen Institut in Wien, seinen oben erwähnten Bewerbungsbrief. Er würde es als „die schönste Aufgabe seines Lebens betrachten, von nun an seine Kräfte einem Institute zu widmen, das erst im Werden, und einem Lande, das durch seine weisen und gerechten Institutionen zu allen Zeiten das Asyl vieler edler Geister ist und war“.

Die Schweiz als geistreiches Asyl

Zwar blieben die Bemühungen des österreichischen Wissenschaftlers, sich dem im Entstehen begriffenen Polytechnikum als Professor anzudienen, ohne Erfolg. Doch grundsätzlich zeigte die in zahlreichen Evaluationen, Entwürfen und Vernehmlassungen auf schweizerische Bedürfnisse zugeschnittene Ingenieur-Hochschule ein grosses Interesse an ausländischem Lehrpersonal: Die nationale Eliteschule, die den noch jungen Bundesstaat mit technisch-wissenschaftlicher Intelligenz versorgen sollte, hatte hinsichtlich ihres Lehrkörpers von Anfang an ein Rekrutierungsproblem.

Zumindest in den ersten Jahrzehnten seines Betriebs erwies sich auch das Polytechnikum als eine der Institutionen, die den Ruf der Schweiz als „Asyl vieler edler Geister“ zu nutzen und zu festigen wusste. Bei den Berufungen der ersten Stunde profitierte die noch unbekannte polytechnische Schule von der repressiven Politik der deutschen Restaurationszeit, welche zahlreiche wissenschaftliche Kapazitäten ins Exil trieb und eine „spröde“ Kleinstadt wie Zürich zu einer valablen Wirkungsstätte erhob. Die Dominanz von Lehrkräften aus den nördlichen Nachbarländern, bis in die 1920er Jahre ein ungebrochenes Phänomen, war allerdings für die „vaterländische Anstalt“, die in ihrem Reglement ein Bekenntnis zum föderalistischen Sprachgebrauch abgelegt hatte, nicht ganz unproblematisch.


ETH-Geschichte multimedial

In Hinblick auf das 150-Jahr Jubiläum der ETH Zürich hat das Institut für Geschichte im Auftrag der Schulleitung das Projekt "ETHistory 1855-2005" lanciert. Ziel ist es, die lange und reiche Geschichte der Schule zu vergegenwärtigen und zeitgemäss zu präsentieren – die Basis für eine kritische und zukunftsgerichtete Reflexion über die Schule im Jubiläumsjahr 2005. Neben einer historischen Studie zur ETH in Buchform wird eine aufwendige, in Deutsch und Englisch verfügbare Website zur Geschichte der ETH realisiert. Diese wird im Frühjahr 2005 aufgeschaltet. Mehr Infos unter: www.tg.ethz.ch/forschung/




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Weltoffene Eliteschule mit nationalen Repräsentationspflichten? Kolorierte Ansichtskarte der ETH-Westfassade von 1902 (Bild: Bildarchiv ETH-Bibliothek). gross

Kampagne gegen „Deutschtum“

Die Parlamentsdebatten über die Chancen und Risiken einer eidgenössischen Universität, aus denen am 7. Februar 1854 der Gründungsbeschluss für eine in Zürich zu errichtende „eidgenössische polytechnische Schule in Verbindung mit einer Schule für das höhere Studium der exakten, politischen und humanistischen Wissenschaften“ hervorgegangen war, hatten teils heftige Kontroversen erzeugt. Insbesondere die Westschweiz und die ehemaligen Sonderbundsstände befürchteten von einer Zentralisierung des Hochschulwesens einen Verlust der kulturellen „Mannigfaltigkeit“.

Durch die Berufungen der ersten Jahrzehnte sahen sich die Skeptiker, welche wiederholt vor einer „Germanisierung“ des Polytechnikums gewarnt hatten, gleichzeitig bestätigt und betrogen. Die halb zufällige Erwähnung des Projekts einer „schweizerischen Gesamt-Universität“ in einer Rede von Nationalrat Alfred Escher genügte, um zu Beginn der 1860er Jahre eine publizistische Kampagne gegen die „Zürcher Eisenbahnbarone“ und ihr „Spekulationsgeschäft für deutsche Professoren“ loszutreten. „Kein bedeutenderes Fach ist da, das ein welscher Schweizer in seiner Muttersprache studieren kann“, klagte etwa die Genfer Presse. Selbst die „Schwyzer-Zeitung“ mokierte sich über die „Allmacht des Deutschtums am Polytechnikum“ und sah Zürich „mit dem Dunst deutschen Flüchtlingswesens angefüllt“.

Historischer Tiefpunkt in der Nachkriegszeit

Die aggressiven und selbstgenügsamen Diskurselemente des Nationalismus wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch verschärft. Die Bemühungen der ETH, sich zurzeit der „geistigen Landesverteidigung“ sozusagen selbstversorgerisch bei Kräften zu halten, fanden in der Berufungspolitik einen deutlichen Niederschlag. Die Zahl der Professoren ohne Schweizer Pass erreichte zwischen 1930 und 1970 einen historischen Tiefpunkt. Erst die Flexibilisierungszwänge der späten 1960er Jahre führten zu einer umfassenden Neuorientierung der Forschungsorganisation, welche Vernetzung, Interdisziplinarität und Internationalität zu unhinterfragten Qualitätsgaranten einer konkurrenzfähigen Wissensproduktion erhob.


Bisher erschienen

In der Serie von Jubiläums-Rückblicken der Technikgeschichte der ETH im Hinblick sind in "ETH Life" bisher erschienen:

auflistungszeichen "Gündungen und Gründe" (von David Gugerli): www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/ETHistory1.html
auflistungszeichen "Die Erste Schule des Landes" (von Daniela Zetti): www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/ETHistory2.html
auflistungszeichen "Zürich wird Mittelpunkt der industriellen Wissenschaften" (von Patrick Kupper):www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/ETHistory3.html
auflistungszeichen "Zugeschnitten und profiliert" (von Andrea Westermann):www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/ETHistory4.html






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