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Rubrik: Tagesberichte |
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Jubiläums-Rückblicke der ETH-Technikgeschichte Umstrittene Internationalität |
Heute vor 150 Jahren, am 1. September 1854, erreichte den Schulrat das Bewerbungsschreiben eines österreichischen Privatdozenten für Mathematik, der sich „mit der Bitte um eine Professur“ an den Bundesrat wandte. Die Internationalität des Lehrpersonals, inzwischen eine Grundbedingung für konkurrenzfähige Wissensproduktion, war für das Polytechnikum lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. Von Monika Burri, Technikgeschichte der ETH Zürich „Nachdem der ehrfurchtsvoll Unterzeichnete den Beschluss des hohen Bundesrathes in den Zeitungen gelesen, ein polytechnisches Institut in Zürich zu errichten, fühlt er sich von dem lebhaftesten Wunsche beseelt, dem hohen Bundesrathe seine Kräfte anzubiethen“, eröffnet Simon Spitzer, Assistent und Privatdozent für Mathematik am polytechnischen Institut in Wien, seinen oben erwähnten Bewerbungsbrief. Er würde es als „die schönste Aufgabe seines Lebens betrachten, von nun an seine Kräfte einem Institute zu widmen, das erst im Werden, und einem Lande, das durch seine weisen und gerechten Institutionen zu allen Zeiten das Asyl vieler edler Geister ist und war“. Die Schweiz als geistreiches Asyl Zwar blieben die Bemühungen des österreichischen Wissenschaftlers, sich dem im Entstehen begriffenen Polytechnikum als Professor anzudienen, ohne Erfolg. Doch grundsätzlich zeigte die in zahlreichen Evaluationen, Entwürfen und Vernehmlassungen auf schweizerische Bedürfnisse zugeschnittene Ingenieur-Hochschule ein grosses Interesse an ausländischem Lehrpersonal: Die nationale Eliteschule, die den noch jungen Bundesstaat mit technisch-wissenschaftlicher Intelligenz versorgen sollte, hatte hinsichtlich ihres Lehrkörpers von Anfang an ein Rekrutierungsproblem. Zumindest in den ersten Jahrzehnten seines Betriebs erwies sich auch das Polytechnikum als eine der Institutionen, die den Ruf der Schweiz als „Asyl vieler edler Geister“ zu nutzen und zu festigen wusste. Bei den Berufungen der ersten Stunde profitierte die noch unbekannte polytechnische Schule von der repressiven Politik der deutschen Restaurationszeit, welche zahlreiche wissenschaftliche Kapazitäten ins Exil trieb und eine „spröde“ Kleinstadt wie Zürich zu einer valablen Wirkungsstätte erhob. Die Dominanz von Lehrkräften aus den nördlichen Nachbarländern, bis in die 1920er Jahre ein ungebrochenes Phänomen, war allerdings für die „vaterländische Anstalt“, die in ihrem Reglement ein Bekenntnis zum föderalistischen Sprachgebrauch abgelegt hatte, nicht ganz unproblematisch.
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Kampagne gegen „Deutschtum“ Die Parlamentsdebatten über die Chancen und Risiken einer eidgenössischen Universität, aus denen am 7. Februar 1854 der Gründungsbeschluss für eine in Zürich zu errichtende „eidgenössische polytechnische Schule in Verbindung mit einer Schule für das höhere Studium der exakten, politischen und humanistischen Wissenschaften“ hervorgegangen war, hatten teils heftige Kontroversen erzeugt. Insbesondere die Westschweiz und die ehemaligen Sonderbundsstände befürchteten von einer Zentralisierung des Hochschulwesens einen Verlust der kulturellen „Mannigfaltigkeit“. Durch die Berufungen der ersten Jahrzehnte sahen sich die Skeptiker, welche wiederholt vor einer „Germanisierung“ des Polytechnikums gewarnt hatten, gleichzeitig bestätigt und betrogen. Die halb zufällige Erwähnung des Projekts einer „schweizerischen Gesamt-Universität“ in einer Rede von Nationalrat Alfred Escher genügte, um zu Beginn der 1860er Jahre eine publizistische Kampagne gegen die „Zürcher Eisenbahnbarone“ und ihr „Spekulationsgeschäft für deutsche Professoren“ loszutreten. „Kein bedeutenderes Fach ist da, das ein welscher Schweizer in seiner Muttersprache studieren kann“, klagte etwa die Genfer Presse. Selbst die „Schwyzer-Zeitung“ mokierte sich über die „Allmacht des Deutschtums am Polytechnikum“ und sah Zürich „mit dem Dunst deutschen Flüchtlingswesens angefüllt“. Historischer Tiefpunkt in der Nachkriegszeit Die aggressiven und selbstgenügsamen Diskurselemente des Nationalismus wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch verschärft. Die Bemühungen der ETH, sich zurzeit der „geistigen Landesverteidigung“ sozusagen selbstversorgerisch bei Kräften zu halten, fanden in der Berufungspolitik einen deutlichen Niederschlag. Die Zahl der Professoren ohne Schweizer Pass erreichte zwischen 1930 und 1970 einen historischen Tiefpunkt. Erst die Flexibilisierungszwänge der späten 1960er Jahre führten zu einer umfassenden Neuorientierung der Forschungsorganisation, welche Vernetzung, Interdisziplinarität und Internationalität zu unhinterfragten Qualitätsgaranten einer konkurrenzfähigen Wissensproduktion erhob.
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