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Rubrik: Tagesberichte |
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75 Jahre Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch Spurensuche in dünner Luft |
Die Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch feiert ihr 75-jähriges Bestehen. In dieser Zeit hat sie sich von einem Zentrum für Astronomie und Höhenkrankheit zu einem modernen Umweltforschungslabor entwickelt. Zahlreiche Institutionen des ETH-Bereichs nutzen die aussergewöhnliche Lage der Station für ihre Forschungsvorhaben. Auf der Sphinx bläst der Wind. Und jede Böe bläst einem Eiskristalle ins Gesicht. Nur kurz gibt der Nebel den Blick frei auf den Aletschgletscher. An den Messgeräten hängen dicke Bärte aus Raureif. Kein Ort, an dem man sich freiwillig lange aufhält. Nur: Die Wissenschaft sieht das anders. Vor 75 Jahren wurde die Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch eingeweiht und hat sich in dieser Zeit zu einer weltweit anerkannten Einrichtung entwickelt. (1) Unverdorbene Lage inmitten einer Industrienation Dass das Interesse der Wissenschaft am hochalpinen Forschungsplatz ungebrochen ist, liegt an der buchstäblich herausragenden Lage des Jungfraujochs. Lokal ist die Luft sehr rein. Und dennoch liegt der Ort mitten in einer belasteten Industrielandschaft. Auch die grosse Höhe ist entscheidend. Mit ihren über 3500 Metern über Meer liegt die Station in der freien Troposphäre. Fast jeden zweiten Tag ist sie in Wolken gehüllt – Bedingungen, wie sie sich Forscher wie Urs Baltensperger vom Paul Scherrer Institut (PSI) wünschen. Aerosole beeinflussen Tröpfchengrösse Vor 20 Jahren begann der ETH-Dozent auf dem Jungfraujoch seine Forschungen über Aerosole, kleinste in der Atmosphäre schwebende Teilchen, auch Feinstaub genannt. Mit seiner Forschung will er herausfinden, wie stark Aerosole den Treibhauseffekt maskieren. Denn die Aerosol-Partikel werfen einerseits einstrahlendes Sonnenlicht zurück ins All, andererseits beeinflussen sie die Wolkenbildung und damit indirekt die Einstrahlung. Im Laufe der Jahre hat sich herausgestellt, dass Aerosole die Eigenschaften von Wolkentröpfchen verändern.(2) In der Atmosphäre sei immer gleich viel Wasser vorhanden, sagt der Wissenschaftler. An Aerosolen würden Wassertröpfchen kondensieren. Je mehr Aerosole, desto mehr Kondensationskerne sind vorhanden. Das wiederum heisst, dass sich gleich viel Wasser auf mehr Tröpfchen verteilt. Die Tröpfchen werden daher immer kleiner. Kleinere Tröpfchen werfen aber die Strahlung stärker zurück als grosse, was die Atmosphäre abkühlt.
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Überwachung und Frühwarnung Auch die Empa betreibt auf dem Jungfraujoch seit längerem ein umfassendes Messprogramm. Gegenwärtig misst und analysiert die Gruppe von Brigitte Buchmann 30 Treibhausgase und 20 reaktive Gase. (3) Mit den feinen Messinstrumenten kann die Empa-Forscherin Mensch gemachte Emissionen aus ganz Europa einfangen und analysieren. Im Fokus hat sie besonders die Substanzen, die im Montreal- und Kyoto-Protokoll als Ozonkiller oder als Klimagase aufgelistet sind. So zeigen die Daten vom Jungfraujoch, dass die Konzentration der fluorierten Chlorkohlenwasserstoffe (FCKW), welche die Ozonschicht abbauten und deshalb weltweit verboten wurden, abnehmen. Dagegen steigen die Mengen von neuen Substanzen, die FCKW ersetzen, etwa Kühlmittel für Auto-Klimaanlagen, stark an. Am Beispiel eines seit 2004 verwendeten Schäumungsmittels kann Buchmann zeigen, wie Wind und Wetter solche Spurengase über ganz Europa verteilen. Die Forscherin ist in der Lage, mittels meteorologischen Modellen und Spurengasmessungen die regionale Herkunft von diesen Schäumungsmitteln zurück zu verfolgen. Der einzige Produktionsstandort in Frankreich und die Region, wo das Mittel verarbeitet wird, lassen sich ziemlich genau lokalisieren. Als in Europa Produktion und Verarbeitung für einmal stillstanden, massen die Empa-Wissenschaftler eine vergleichbare Substanz, die aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung aus den USA stammen musste. Ein Teilchen aus einer Billion „Unsere Messinstrumente sind derart fein, dass wir Konzentrationen im Bereich ein Teilchen Substanz auf eine Billion anderer Luftteilchen feststellen können“, sagt Buchmann. Damit dienen diese Messungen auch der Früherkennung von neuen Spurengasen in der Atmosphäre. Die Empa ist derzeit daran, das Messsystem weiterzuentwickeln um noch tiefere Konzentrationen nachweisen zu können. Die Forschung interessiert sich aber nicht nur für die Troposphäre. Hubert van den Bergh von der EPFL etwa geht bei der Bestimmung der Partikel bis in Höhen von 50, teilweise sogar 80 Kilometern. Mit einem Lichtradar, der in der astronomischen Kuppel der Sphinx sitzt, sendet van den Bergh gepulstes Laserlicht in den Nachthimmel. Die vorhandenen Partikel reflektieren einen Teil des Lichts, welches mit einem Parabolspiegel wieder aufgefangen wird. Aus diesen sehr schwachen Signalen können die Forscher die Art und die Höhenverteilung der Teilchen erkennen. Saharastaub etwa kann das Lichtradar bis auf eine Höhe von 80 Kilometer erkennen, Ozon bis in 50 Kilometer Höhe und Wasser bis in 10 Kilometer Höhe. Mit dem Lichtradar ermitteln die Forscher auch die Temperaturen bis in Höhen von 20 Kilometern. Langsamkeit zahlt sich aus „Forschen und arbeiten auf dieser Höhe hat es in sich“, betont Erwin Flückiger, der Direktor der Hochalpinen Forschungsstation, und mahnt bei jeder Treppe zu Langsamkeit. Tatsächlich lohnt sich Eile hier oben nicht. Die Höhenluft bringt einen ausser Atem. Und fast könnte man glauben, die Langsamkeit übertrage sich auch auf die Ergebnisse der Wissenschaft. Nach zehn Jahren habe er beim Verlauf der Aerosol-Konzentrationen erstmals einen signifikanten Trend erkennen können. Am deutlichsten zeige sich, dass der Aerosol-Lichtstreukoeffizient zwischen September und Dezember um zwei bis vier Prozent pro Jahr zugenommen habe, sagt Urs Baltensperger. Auch die Werte für Rückstrahlung und Absorption nehmen zu. Signifikant gestiegen ist auch die Konzentration von Kondensationskernen. Um Erklärungen für dieses Phänomen zu finden, müssen Forscher wie Baltensperger aber mit Geduld gewappnet sein – und die Langsamkeit entdecken, an der in einer Forschungsstation auf 3'500 Metern naturgemäss niemand vorbei kommt. |
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