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Rubrik: Tagesberichte |
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Forderung nach umfassender Energiediskussion ETH-Stimmen zur Atomdebatte |
Die Energiekonzerne haben wieder Mut gefasst. Nach dem deutlichen Entscheid gegen das Atommoratorium der Schweizer Bevölkerung im Jahr 2003 signalisieren verschiedene Unternehmen ihr Interesse am Bau neuer Atomkraftwerke. Wie können AKWs zur Lösung unserer Energieprobleme beitragen? Die Frage hat "ETH Life" mit ETH-Experten erörtert. Von Samuel Brandner Der Schweiz droht in absehbarer Zukunft eine Unterversorgung mit Strom. Importverträge mit ausländischen Stromproduzenten im Umfang zweier Kernkraftwerke laufen im Jahr 2020 aus. Zur etwa gleichen Zeit müssen die ältesten AKWs der Schweiz vom Netz genommen werden. Dies teilte die Axpo kürzlich mit. Reagieren will der Energiekonzern mit einem 5 Milliarden Franken schweren Investitionspaket, das unter anderem den Bau eines neuen Kernkraftwerks vorsieht. Wie weit ein solches aber zur gänzlichen Lösung der Engergieprobleme beiträgt, ist unklar. Die aktuelle Energiedebatte findet also auf einem Nebenschauplatz statt. Die Komplexität des Energieproblems wird in der öffentlich geführten Debatte unterschätzt und lässt einige Faktoren ausser Acht. Seit der Diskussion um den Bau des Atomkraftwerkes Kaiseraugst vor 30 Jahren hat sich wenig verändert, sagt der ETH-Historiker Patrick Kupper, spricht man ihn auf die neu lancierte Debatte um den Neubau von Atomkraftwerken an. Der Forscher hat sich mit der Frage, weshalb der Bau des AKW Kaiseraugst gescheitert ist, eingehend befasst (1). Allerdings sei sich die Öffentlichkeit heute der Zusammenhänge der verschiedenen Probleme rund um die Energiefrage weit mehr bewusst. So könne heute nicht über Atomenergie gesprochen werden, ohne neue energiesparende Technologien wie die Minergie-Technologie zu berücksichtigen. Die Ankündigung der Axpo, in den nächsten zwanzig Jahren ein neues Kernkraftwerk bauen zu wollen, wertet Kupper erst als Stimmungsballon, mit dem geprüft werden soll, welche Einstellung die Bevölkerung zum Atomstrom hat. Die Elektrizitätswirtschaft habe spätestens seit Kaiseraugst gelernt, dass Entscheide zum Bau eines neuen Atomkraftwerkes über eine breit abgestützte Mehrheit in der Bevölkerung verfügen müssen. Eine Diskussion, bevor es zu spät ist Wie weit die Atomenergie heute die Gesellschaft spaltet, ist ungewiss. Sicher aber ist das Vorhaben, einen Atomreaktor zu bauen, von aussergewöhnlicher politischer Brisanz. Dies erschwert eine vernünftige Diskussion des Energieproblems, wie Daniel Spreng, Professor am „Center for Energy Policy and Economics“ (CEPE) der ETH bedauert. Neben Spreng tritt auch Eberhard Jochem, ETH-Professor für Nationalökonomie und Energiewirtschaft für eine dringend notwendige Energiediskussion ein. Diese müsse aber nicht nur alle Energieträger mit einschliessen, sondern insbesondere auch die Möglichkeiten der Energie- und Materialeffizienz. Er schildert die Diskussion als Konflikt zwischen einer Klima- und einer Preisproblematik. Das Ende der Ölressourcen, die heute noch den wichtigsten Energieträger darstellen, sei seit einigen Jahren absehbar und führe in nächster Zukunft zu Preissteigerungen. Da Erdöl Preissetzer für zahlreiche weitere Produkte ist, bleibe diese Entwicklung nicht ohne volkswirtschaftliche Folgen.(2).
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Zusammen mit dem Bau eines AKW will Jochem Massnahmen zur effizienteren Nutzung der vorhandenen Energieressourcen diskutieren. „Heute erlaubt die Technologie Energieeinsparungen, die bei konsequenter Umsetzung den Bedarf nach einem neuen AKW um rund fünf Jahre in die Zukunft verschiebt.“ Bislang sei aber zu wenig geschehen. Enttäuscht zeigt sich Jochem besonders von der Entwicklung des Strassenverkehrs, denn hier ortet er besonderes Einsparungspotential. Mit einer Erhöhung der Brennstoffeffizienz bei Gebäuden und dem Bau leichterer Fahrzeuge könnten CO2-Kontingente von allen Endenergiesektoren für den Betrieb eines Gas-und Dampfkraftwerkes und industrielle Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen freigestellt werden, stellt Jochem die die Verbindung zum Strommarkt her. 2 kW pro Person und Jahr Punkto Energienutzung gibt es verschiedene Experten, die Vorschläge zu effizienter Energienutzung machen. Führende kommen aus der ETH. Unter dem Schlagwort „2000-Watt-Gesellschaft“, zu der der ETH angeregt hat, werden seit einigen Jahren Möglichkeiten diskutiert, den Energieverbrauch in der Schweiz zu verringern. Die Vision, den Energieverbrauch pro Person und Jahr von heute 6000 auf 2000 Watt im Jahr 2050 zu verringern, hält die Eidgenössische Energieforschungskommission (CORE) jedenfalls für realisierbar, wie sie in ihrem jüngsten Jahresbericht bestätigt (3). Das Ziel eines effizienteren Umgangs mit den vorhandenen Energieressourcen will die CORE über ein ehrgeiziges Massnahmepaket erreichen. So soll etwa auf fossile Brennstoffe für Gebäudeheizungen verzichtet und der Energieverbrauch in Gebäuden halbiert, die Biomassenutzung verdreifacht oder der durchschnittliche PKW-Flottenverbrauch auf 3 Liter pro 100 Kilometer gesenkt werden. Umgesetzt werden diese Vorgaben bereits an der ETH Zürich. Der Kraftstoffverbrauch sei in den letzten fünf Jahren bei steigenden Fahrtenzahlen halbiert und brennstoffarme Hybridfahrzeuge angeschafft worden, wie Hans-Rudolf Frey vom Fahrzeugwesen der ETH erklärt. Trotzdem gibt es auch an der ETH weiterhin noch Handlungsbedarf, um die Energieeffizienz zu erhöhen. Kein Verzicht auf Kernenergie Über den Bau eines neuen Atomkraftwerkes wird man aber trotz dieser Massnahmen früher oder später diskutieren müssen. Jochem stellt die Atomenergie denn auch nicht vollkommen in Frage, sondern wirft vielmehr die Frage auf, wann der richtige Zeitpunkt für den Bau eines neuen Reaktors sei. Bevor über den Bau eines neuen Atomreaktors diskutiert werde, sollte die Debatte zur Erhöhung der Energieeffizienz geführt werden, fordert Jochem. Mit Verweis auf die laufenden Entwicklungsprogramme will er sich auch nicht auf die Wahl eines bestimmten Reaktortyps festlegen. Ungewisse Zukunft der Atomindustrie Dem Planungsprozess für ein neues Kernkraftwerk stehen noch sehr viele politische Hürden im Weg. Sowohl Kupper als auch Jochem sind sich der langen Planungszeit bewusst und fragen sich daher, ob ein Unternehmen heute wirklich noch bereit ist, das damit verbundene unternehmerische Risiko einzugehen. Klar scheint, dass die brennenden Fragen der Energiediskussion von der Politik in naher Zukunft angepackt und gelöst werden müssen. |
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Fussnoten:
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