ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 18.10.2002 06:00

Die Heilpflanzen der Popoluca von Mexiko
Der Geschmack der Arzneipflanzen

Unterscheiden sich Arznei- und Nicht-Arzneipflanzen im Geruch und Geschmack voneinander? Ein ETH Doktorand hat mit seiner Forschung basierend auf Befragungen herausgefunden, dass Arzneipflanzen einen intensiveren Geschmack und Geruch haben als Pflanzen ohne Heilwirkung.

Von Regina Ryser

"Mit den Frauen darf man den Tag nie alleine verbringen", erzählt Marco Leonti, Doktorand am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften (1), über seine Forschungsarbeit in Südostmexiko. In der Arbeit ging es unter anderem darum, die geschmacklichen und geruchlichen Eigenschaften von Arznei- und Nicht-Arzneipflanzen der Popoluca im südlichen Veracruz zu definieren. Die Studie dauerte sechzehn Monate und wurde in der Zeit vom März 1999 bis Juli 2000 bei der 30'000 Mitglieder zählenden Ethnie durchgeführt. Insgesamt 72 Informanten halfen Marco Leonti bei seiner Arbeit. Die Gruppe setzte sich aus 27 Frauen und 45 Männern im Alter zwischen 22 und 85 Jahren zusammen. Um seine Informationen von den einheimischen Pflanzenkennern zu erhalten, musste Leonti auch etwas von sich preisgeben.

Arzneipflanze oder Nicht-Arzneipflanze

Woher er komme, was er denn mache und ob er selbst etwas über Heilpflanzen wisse, wurde der ETH Doktorand gefragt. Mit der Diskussion über bekannte Arzneipflanzen und Krankheiten konnte er das Interesse der einheimischen Heiler an einer Zusammenarbeit wecken. Mit Personen, welche sich besonders gut in der Medizinalpflanzenkunde auskannten wie zum Beispiel Curanderos, Hebammen oder Schlangenbissheiler, machte der ETH Doktorand einen Spaziergang und liess sich die Pflanzen zeigen. "Ich habe von jeder Pflanze sieben Exemplare eingesammelt." Er habe sich aber nicht alle einheimischen Namen der Pflanzen sowie ihren Nutzen merken können. Deshalb habe er die Informanten noch einmal aufgesucht, um die Namen der Pflanzen sowie ihren Nutzen in Erfahrung zu bringen.

Eine Frau der Popoluca in Mexiko, die traditionelles Wissen über Heilpflanzen praktisch anwendet (Bild: Marco Leonti). gross

Danach wollte er herausfinden, ob sich Geschmack und Geruch von Arznei- und Nicht-Arzneipflanzen wesentlich unterscheiden. Er bat zehn Informanten darum, ihm Pflanzen, die für alle der zehn Heiler als Arzneipflanzen gelten und solche, die für alle Informanten als Nicht-Arzneipflanze gelten, zu zeigen. Nach der Sammlung dieser Daten besuchte Marco Leonti jeden der zehn Heiler einzeln. Bei diesem persönlichen Besuch liess der ETH Doktorand Geschmack und Geruch der unterschiedlichen Pflanzen durch Riechen und Schmecken bestimmen, um Unterschiede zwischen den beiden Gruppen detektieren zu können.


weitermehr

Traditionelle Behandlung eines Knieleidens bei den Popoluca in Mexiko (Bild: Marco Leonti). gross

Dank dieser Untersuchung konnte der ETH-Forscher zeigen, dass die Arzneipflanzen für die zehn Heiler einen intensiveren Geschmack und Geruch aufwiesen als Nicht-Arzneipflanzen. Den Arzneipflanzen wurden also vermehrt die Geruchs- und Geschmackseigenschaften wie "aromatisch", "süss", "adstringierend" oder "bitter" zugewiesen als Pflanzen ohne heilenden Effekt.

Die Kraft der Ähnlichkeit

Leonti folgerte daraus, dass Geruchs- und Geschmackseigenschaften zentrale Selektionskriterien darstellen. Im Einzelfall fand er heraus, dass etwas Bitteres von den Popoluca gegen Magenbeschwerden benutzt wird, Adstringierendes gegen Durchfall. Zudem stellte sich heraus, dass die Signaturlehre bei den Popoluca eine wesentliche Rolle spielt. Diese sucht nach Eigenschaften der Arzneipflanzen, die dem Krankheitssymptom oder dem kranken Organ gleichen. Wenn zum Beispiel eine Blüte einer Pflanze einem Auge gleicht, so ist nach dieser Theorie der Absud gut gegen Augenleiden. Gelber Absud ist demnach gut gegen Gelbsucht, roter Absud wird von den Popoluca gegen Menstruationsbeschwerden eingesetzt.

Seine Arbeit hat Marco Leonti in zwei Berichten einerseits im "Journal of Ethnoparmacology" und anderseits im "Journal of Pharmacy and Pharmacology" festgehalten. Das Wissen über die Arzneipflanzen wird von den Popoluca mündlich weitergegeben und ist nirgends niedergeschrieben. Aus diesem Grunde besteht die Gefahr, dass mit dem zunehmenden Akkulturierungsprozess das Wissen um den Gebrauch von traditionellen Arzneipflanzen verloren geht. Eine Ausbeutung des Wissens durch private Firmen sei in diesem Fall eher unwahrscheinlich, meint Marco Leonti. Er habe eine der viele Pflanzen zwar phytochemisch und biologisch untersucht, jedoch keine Ergebnisse erhalten, die von unmittelbarem wirtschaftlichem Interesse sind. Theoretisch ist die finanzielle Ausbeutung von traditionellem Wissen gesetzlich geregelt, der Missbrauch ist jedoch schwer verfolgbar. Um eine Pflanzen zu exportieren, brauche es zudem eine Genehmigung der staatlichen Behörden.

Einen Teil seiner Forschungsresultate wird Marco Leonti in einer Arzneipflanzen-Broschüre publizieren, die in den Dörfern der Popoluca verteilt werden soll. In dieser Broschüre werden die wichtigsten Arzneipflanzen, wie etwa die "Hamelia patens", welche die Blutung von Wunden stoppt, zusammen mit der Anwendung und der Zubereitung aufgelistet. Zudem zeige die Broschüre auf, welche Pflanzen akut giftig oder krebserzeugend sind und daher eher nicht zu verwenden seien. Eine dieser giftigen Pflanzen ist die Kermesbeere, die übrigens auch in Zürich zu finden ist.


Literaturhinweise:
Signaturlehre: http://www.natura-naturans.de/artikel/signatur.htm
Das Volk Popoluca: http://emuseum.mnsu.edu/cultural/mesoamerica/popoluca.html
Leonti M, Sticher O, Heinrich M.: Medicinal plants of the Popoluca, Mexico: organoleptic properties as indigenous selection criteria; Journal of Ethnopharmacology 81 (2002) 307-315
Leonti M, Vibrans H, Sticher O, Heinrich M.: Ethnopharmacology of the Popoluca, Mexico: an evaluation; Journal of Pharmacy and Pharmacology 2001, 53: 1653-1669

Fussnoten:
(1) Institut für Pharmazeutische Wissenschaften: http://www.pharma.ethz.ch/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!