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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 05.11.2002 06:00

Emeriti am Laboratorium für organische Chemie
Stumpfe Altersguillotine

Den Nobelpreis bekommen und trotzdem ins Exil. Die Schweizer "Altersguillotine", der sich Kurt Wüthrich gemäss gewissen Medien nur durch Flucht in die USA entziehen kann, ist vielleicht doch nicht so scharf, wie das Beispiel des ETH-Laboratoriums für organische Chemie zeigt.

Von Christoph Meier

In mehr oder weniger fetten Lettern wies die Presse darauf hin, dass der neu gekürte Nobelpreisträger Kurt Wüthrich mit seiner Pensionierung in die USA auswandern müsse. Denn in der Schweiz gebe es keine Chance für forschende Rentner (Walliser Bote). Somit würde der Einzelfall ein Schlaglicht auf ein Symptom werfen. Gefordert wurde ein Auffanggesellschaft für alternde Genies (SonntagsZeitung) oder ein Auffangnetz für Top-Wissenschaftler (LuzernerZeitung). Doch fallen die Wissenschaftler mit ihrer Pensionierung wirklich durch alle Maschen?

Die Lösung des LOC

Zumindest für das Laboratorium für organische Chemie (LOC) (1)kann diese Frage verneint werden, ist der gegenwärtige Vorsteher desselben, Renato Zenobi, überzeugt. Will ein Professor nach seiner Emeritierung an der ETH bleiben, so werde am LOC dafür gesorgt, dass er Büro und Labor im Haus erhalte. Das ist schon einiges mehr, als das von der ETH den Emeriti grundsätzlich zugestandene Büro. Natürlich verlieren auch in der organischen Chemie die pensionierten Wissenschaftler ihren offiziellen Professorenstatus, doch haben sie die Möglichkeit, vergleichbar einem Postdoktoranden, sich an eine bestehende Gruppe anzuschliessen. Deren Leiter sorgt dafür, dass die durch den renommierten "Postdoktoranden" anfallenden administrativen Kosten intern gedeckt werden.

96 Semester an der ETH

Zenobi gesteht ein, dass diese Lösung vielleicht nicht ganz das ist, was man sich zuerst vorstellt. Doch so unattraktiv scheint dies wiederum auch nicht zu sein. So wird zum Beispiel der mehrfach ausgezeichnete Dieter Seebach auch nach seiner Pensionierung im nächsten Jahr an der ETH weiterforschen. Mit diesem Entschluss ist er aber nicht der Erste. So haben zum Beispiel bereits vor ihm Duilio Arigoni, Jack Dunitz oder Albert Eschenmoser mindestens zum Teil ihre Arbeit an der ETH fortführen können. Ja, auch der "wissenschaftliche Grossvater" des LOC, der Nobelpreisträger Vladimir Prelog, blieb weit über seine Pensionierung hinaus am Institut. Er schrieb sich nach der Emeritierung als Fachhörer ein und verbrachte insgesamt 96 Semester an der ETH.

Keine Datenguillotine

Hat aber das LOC mit seiner Lösung einfach das Beste aus einer schlechten Situation gemacht, und das amerikanische Modell, wo der Forscher so lange forschen kann, wie er Geld auftreibt, wäre grundsätzlich besser?


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Für ihn ist die Forschungssituation in der Schweiz verbesserungsfähig aber nicht dramatisch: Renato Zenobi, Vorsteher des Laboratoriums für organische Chemie. gross

Ganz so einfach stellt sich die Situation für Zenobi nicht dar. Er sieht zum Beispiel beim Schweizer Modell den riesigen Vorteil, dass langfristige, risikoreiche Projekte möglich bleiben, da der Druck auf Resultate, die man präsentieren kann, weniger gross sei. Der LOC-Vorsteher begrüsst auch den Schritt der ETH, dass die ETH in Zukunft Forscher und Institute, die besonders erfolgreich Drittmittel einwerben, speziell honorieren wollen. Der Drittmittel-Anteil ist im LOC mit seiner Nähe zur Industrie traditionell schon sehr hoch. Grundsätzlich glaubt der Chemiker aber, dass die Schweiz zu klein sei für die Anwendung des amerikanischen Modells. Zudem sei es auch immer noch so, dass die Erfolgsquote bei der Forschungsförderung in den USA kleiner sei als in der Schweiz.

Gefahr der Stagnation

Insgesamt präsentiert sich die Situation des Forschungsplatz Schweiz für Zenobi nicht dramatisch. Doch bedeute bereits Stagnation schon einen Rückschritt. Der LOC-Vorsteher findet es darum wichtig, dass weiterhin Lösungen für emeritierte Professoren gesucht werden. Um intellektuelles Potenzial zu binden, wäre es für den Chemiker auch wichtig, dass zum Beispiel die ETH das Dual-Career-Problem für jüngere Akademiker endlich anpacken würde. Zudem müssten auch emigrierten Jungforschern mehr Anreize für eine Rückkehr geschaffen werden. Da aber Spitzenforscher kaum ohne neue Mittel zurückzugewinnen sind, hofft Zenobi, dass das Parlament einer nennenswerten Erhöhung der Forschungsgelder zustimmen wird.

Im Parlament können die Politiker beweisen, ob ihnen der Forschungsplatz Schweiz mehr wert ist, als einen medienwirksamen Aufschrei bei der Nobelpreisverleihung an einen Spitzenforscher, dessen Abgang sich schon länger abzeichnete.


Literaturhinweise:
Kurt Wüthrich im "ETH Life"-Interview u.a. auch zur Pensionierung: www.ethlife.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Laboratorium für organische Chemie: http://infosee.ethz.ch/LOC/locpage.html



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