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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 14.01.2003 06:00

Das "Minimal Cell Project" von Pier Luigi Luisi
Vision der künstlichen Zelle

Was ist Leben? - Eine alte, aber auch aktuelle Frage. Ein Ansatz, sie zu beantworten, besteht im Versuch, eine lebende Zelle zu konstruieren. Der ETH-Professor Pier Luigi Luisi versucht dies mit Liposomen, mit denen er bereits einige charakteristische Eigenschaften von Lebewesen simulieren konnte.

Von Christoph Meier

Der Ursprung des Lebens - Der Begriff ist eng verknüpft mit den Fragen, was es alles braucht, damit wir von einer lebenden Entität sprechen können, und wie die dafür notwendigen Bestandteile überhaupt entstanden sind. Die zweite Frage beschäftigt sich im Kern damit, ob die für biologische Systeme typischen komplexen Makromoleküle wie Lipide, Kohlenhydrate, Nukleinsäuren und Proteine auch ohne die Hilfe von bereits bestehenden Lebewesen produziert werden können.

Stanley Miller: Erste Schritte

Bereits 1953 lieferten Stanley L. Miller and Harold C. Urey in ihrem berühmten Experiment den Beweis, dass zumindest einige Bausteine der Proteine ohne Hilfe von Lebewesen synthetisiert werden können (1). Sie nahmen Moleküle, von denen sie glaubten, dass sie in der frühen Erdatmosphäre vorkamen, und brachten sie in ein geschlossenes System. Danach liessen sie elektrische Ströme durch das System fliessen. Nach einer Woche bildeten zwei Prozent des im System vorhandenen Kohlenstoffs Aminosäuren. Obwohl 1961 Juan Oro auch zeigen konnte, dass in wässriger Lösung unter bestimmten Bedingungen auch Adenin, ein Bestandteil der Erbsubstanz, entsteht, klaffte seither trotz weiterer Forschungen immer noch eine grosse Lücke zu den Lebewesen. Denn die Synthese der Bausteine der Makromoleküle sagt noch nichts aus, wie es zu deren gezielten Aneinanderreihung zum Beispiel innerhalb der DNA oder Proteine gekommen ist.

Craig Venter: Reduktion als Methode

Anstatt daran herumzupröbeln, wie es zu den biologischen Makromolekülen kommt, kann man den Ursprung des Lebens auch verfolgen, indem eine bestehende Zelle auf ihre zum Überleben notwendige Ausrüstung reduziert wird. In diese Richtung zielt Craig Venters "Minimal Genome"-Projekt (2), das im Herbst 2002 gestartet wurde. Der US-Wissenschafter, der durch sein Konkurrenzprojekt das staatlich subventionierte Genomprojekt beim Menschen beschleunigt hat, will ein künstliches Chromosom entwickeln. Dieses soll nur gerade so viele Gene enthalten, dass der grundlegende Stoffwechsel und die Replikation stattfindet. Wirksam werden soll das vollständig synthetische Chromosom in einer Zelle ohne Erbgut des Bakteriums Mycoplasma genitalium. Das Bakterium ist das Lebewesen mit dem kleinsten bekannten Genom. Wenn alles nach Plan geht, will Venter in einem weiteren Schritt dem künstlichen Mycoplasma noch weiterer Gene beifügen, so dass es sich zum Beispiel verwenden lässt, um Wasserstoff herzustellen.

Pier Luigi Luisi: Die minimale Zelle

Zwischen Stanley Millers altem Approach und Craig Venters Projekt liegt vom Vorgehen her die Forschung des ETH-Professors für supramolekulare Chemie Pier Luigi Luisi. Beim schon seit Jahren verfolgten "Minimal Cell"-Projekt (3) (4) nimmt er vorhandene biologische Makromoleküle und versucht, sie zu einer lebenden Entität zusammen zu fügen. Um von "Leben" zu sprechen, müssen für den ETH-Forscher drei Eigenschaften simultan auftreten: Stoffwechsel anhand eines Fliessgleichgewichtes, Selbstvermehrung und Evolution. Ansatzweise konnte Luisi sein System mit diesen Eigenschaften ausstatten. So gelang es ihm und seinen Mitarbeitern, aus einer Lipid-Doppelschicht bestehende Teilchen, Liposomen bezeichnet, zur Teilung und somit Vermehrung anzuregen. Doch die Liposomen bewährten sich auch als Einheiten, in denen Synthesereaktionen möglich sind. Mittels der Q-Beta-Replikase wurde in den Liposomen zum Beispiel RNA hergestellt und mittels der PCR-Reaktion DNA vermehrt. Doch nicht nur diese Reaktionen konnten in dem künstlichen zellähnlichen System durchgeführt werden. Die ETH-Forscher konnten Ribosomen einschleusen, die in lebenden Zellen für die Proteinsynthese zuständig sind. Diese eingeführten Ribosomen waren fähig, kurze Proteinfragmente zu produzieren.


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Die Erbsubstanz in Liposomen zu vermehren, ist ein Teil von Pier Luigi Luisis "Minimal Cell Project". gross

Emergenz der Lebewesen beweisen

Luisi sieht bereits die nächsten Schritte, um eine noch bessere Simulation einer lebenden Zelle zu erreichen. So könnte man versuchen, dass ribosomale System zu vereinfachen und es auch soweit zu bringen, dass es die Q-Beta-Replikase selbst synthetisieren kann. Wie nahe er mit seinem System den lebenden Zellen kommen kann, weiss Luisi nicht. Er ist aber überzeugt, dass eine künstliche Zelle prinzipiell möglich ist. Gelänge das durch das Zusammenfügen der Makromoleküle, so wäre bewiesen, dass Leben eine emergente Eigenschaft ist. Denn die einzelnen Makromoleküle seien tote Moleküle, und erst durch das Zusammensetzen entstehen die neuen Eigenschaften. Da ist es dann nicht entscheidend, dass die Makromoleküle von Lebewesen stammen.

Leben beschränkt auf kleines Set von Makromolekülen

In diesem Zusammenhang weißt der ETH-Professor darauf hin, dass bei den biologischen Makromolekülen als höchste Errungenschaft wahrscheinlich nur deren prinzipielle Bildung bewiesen werden könne. Das Entstehen der in der Natur konkret vorkommenden Makromoleküle nachzuvollziehen, sei aber kaum möglich. Vergleicht man zum Beispiel bei einem Protein aus 60 Aminosäuren die Anzahl der möglichen Kombinationen mit der Anzahl der in der Natur realisierten Kombinationen, so entspricht dies dem Volumen eines Atoms zum Volumen des Universums. Das Set der vorhandenen Proteine zeichnet sich gemäss Luisi auch nicht dadurch aus, dass es aus energetisch günstigeren Verbindungen besteht, sondern ist das Produkt einer Evolution. Da aber bei der Evolution der Zufall eine wichtige Rolle spielt, lasse sich die lange Entwicklung im Detail nicht rekonstruieren. Ein moderner Stanley Miller könnte also, wenn er Erfolg hätte, vielleicht Makromoleküle hervorbringen. Doch die würden mit grosser Wahrscheinlichkeit in der Natur gar nicht vorkommen.

An der ETH bleibt die minimale Zelle eine Vision

Ausgehend von diesen Überlegungen ist der Ansatz des Zusammenfügens des Bestehenden oder die Reduktion auf das Notwendige der gangbarere Weg, um zur minimal lebensfähigen Einheit zu kommen. Wie Venter glaubt auch Luisi, dass solche Forschungen praktisch genutzt werden könnte. So wäre durchaus vorstellbar, dass vielleicht mit dem an der ETH entwickelten zellähnlichen System einmal zum Beispiel Insulin hergestellt werde könnte. Grundsätzlich fasziniert aber den ETH-Professor die Frage, wie viel Komplexität es braucht, damit man den Übergang von Unbelebtem zu Belebtem festlegen kann. Für Luisi als Forscher wird das aber eine Vision bleiben. Denn nächstes Jahr wird er pensioniert, und die ETH will trotz Luisis Anfragen, das "Minimal Cell Project" nicht weiter führen. Venter erhielt für seine um ein bis zwei Grössenordnungen kostspieligere Vision des "Minimal Genom Project" vom US Energie-Departement drei Millionen Dollar für die nächsten drei Jahre.


Fussnoten:
(1) Informationen zum Miler-Urey-Experiment: http://www.chem.duke.edu/~jds/cruise_chem/Exobiology/miller.html
(2) Minimal Genome Project: www.tigr.org
(3) Das "Minimal cell project" von Pier Luigi: www.plluisi.org
(4) Vgl. auch der Übersichtsartikel "Toward the Engineering of Minimal Living Cells" von P. L. Luisi (The Anatomical Record 268: 208-214 (2002): www3.interscience.wiley.com



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