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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 25.01.2006 06:00

Leistungskontrollen im Bologna-Zeitalter
Prüfungen auf dem Prüfstand

„Braucht es eine systematische Erneuerung der Prüfungen an der ETH?“ Dies war die Ausgangsfrage einer gut besuchten Veranstaltung des ETH-Didaktikzentrums (DIZ) vergangene Woche, die im Rahmen der Reihe „Exzellenz in der Lehre“ stattfand.

Norbert Staub

Hintergrund der Frage ist die Umstellung der ETH-Studiengänge auf das gestufte, international kompatible Modell mit Bachelor- und Masterabschluss. Um dahin zu gelangen, werden Studienleistungen mit Kreditpunkten nach ECTS-Standard quittiert, und ein zentraler Grundsatz dabei lautet: kein Kreditpunkt ohne Leistungskontrolle. Angesichts dessen ist im Vorfeld zu klären, wie diese Kontrollen adäquat gestaltet werden sollen. Dies sei umso nötiger, als Skeptiker Bologna ohnehin das Etikett der „Verschulungsreform“ anheften, wie DIZ-Leiter Leonard Lutz an der Veranstaltung sagte.

Tests für die Lehrarbeit

Mit Interesse verfolgt wurde sie übrigens auch von ETH-Präsident Ernst Hafen. Auf dessen Prioritätenliste stehe die Lehre bekanntlich ganz oben, rief ETH-Rektor Konrad Osterwalder in seiner Einführungsvotum in Erinnerung. Das nun vollends an der ETH angebrochene Bologna-Zeitalter biete die Chance, Lehrinhalte und -formen, aber auch deren Qualitätssicherung neu zu überdenken. Wichtig sei es, sich bewusst zu sein, dass Prüfungen den Zweck verfolgen herauszufinden, wie erfolgreich der Lernprozess verlaufen ist. „Es versteht sich, dass sich dabei ein Spannungsfeld öffnet zwischen dem verständlichen Anliegen der Studierenden, das System in ihrem Sinne zu optimieren und den Qualitätsanforderungen der Hochschule“, erklärte Osterwalder, und er ergänzte: „Prüfungen sind immer auch Prüfungen für die Lehrarbeit“.

Auch in einem System „alla Bolognese“ müsse es zentral darum gehen, funktions- und anforderungsgerecht zu prüfen, hielt Christoph Metzger fest. Er leitet das Institut für Wirtschaftspädagogik und das Hochschuldidaktische Zentrum an der Uni St. Gallen, wo bereits zwei Master-Generationen ihr Diplom erhalten haben. Funktionsgerecht heisse gemäss klassischer Testtheorie (1) zu bestimmen, ob die Prüfung den Lernenden unterstützen soll oder ob ihr Zweck eine Selektion ist. Nur in letzterem Fall sind Noten, sprich: Kreditpunkte zu vergeben, sagte Metzger.

Messen, was gemessen werden soll

Als entscheidende Anforderung an das Prüfen nannte Metzger neben Fairness, Zuverlässigkeit und adäquatem Prüfungsaufwand die Gültigkeit. Eine Prüfung muss demzufolge auch wirklich das messen, was sie zu messen vorgibt. Metzger illustrierte dies so:„Eine Multiple-Choice Prüfung kann wohl zuverlässig funktionieren, erzeugt bei einer abweichenden Lernzielsetzung aber ungültige Resultate.“ Ein weiterer wichtiger Punkt beim Prüfungsdesign sei die Orientierung an den angestrebten Kompetenzen der Geprüften. Wird zum Beispiel ein handlungsspezifischer Ansatz verfolgt, bei welchem die Studierenden spüren sollen, dass sie mit ihrem Wissen reale Probleme lösen können, so sind in Prüfungen authentische Kontexte zu wählen, sagte Metzger.

Welche Kompetenzen?

Ute Woschnack, die am Didaktikzentrum das Projekt „Leistungskontrolle an der ETH“ mitbetreut, stellte die Konsequenzen vor, die der seit Bologna veränderte Stellenwert der Leistungskontrollen mit sich bringt. Sie würden insbesondere zu einem integralen Bestandteil des Curriculums. Dass die Erteilung von Credits untrennbar an Leistungskontrollen geknüpft ist, könne jedoch zu einem Mengenproblem führen.


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Dürfte künftig an Bedeutung zunehmen: der Computer als Arbeitsbasis und Evaluationsplattform für (elektronische) Prüfungen (Bild: Susi Lindig). gross

Ein weiterer Knackpunkt sei die kumulative Natur des „European Credit Transfer Systems“ (ECTS): Ein einziger Prüfungs-Misserfolg könne fatal sein und den Studienabschluss gefährden. Eine Alternative dazu könne eine Leistungskontrolle darstellen, die blockweise stattfindet, so Ute Woschnack. Ein weiterer Vorschlag betrifft die Masterarbeit. Auf Masterstufe ist keine integrierende Schlussprüfung mehr vorgesehen. „Die Masterarbeit könnte der Ort sein, wo eine solche Integration stattfindet.“ Das aber bedinge, so Woschnack, dass die Anforderungen für die Masterarbeit entsprechend gestaltet werden.

Letztendlich bleibe es dabei: die Leistungskontrolle müsse zuverlässig über die Kompetenzen der Geprüften Auskunft geben. Doch welche Kompetenzen, darüber sei vorgängig Klarheit zu schaffen, gab ein Teilnehmer der Veranstaltung zu bedenken. Denn er stelle fest, dass nur schon im IDEA-League-Verbund für die gleichen Studienrichtungen unterschiedliche Kompetenzprofile bestehen.

Geprüft mit dem Computer

Zum Abschluss stellte ETH-Informatikprofessor Hans Hinterberger die ersten Erfahrungen mit Semesterende-Prüfungen und mit elektronischen Leistungskontrollen vor. Hinterberger betreut Informatik-Lehrveranstaltungen für Studierende in den Naturwissenschaften. Grundsätzlich würden mit dem neuen Termin wie gewünscht Zeitblöcke freigespielt. Er verursache den Studierenden im zweiten und dritten Jahr aber erheblich mehr Stress, da sie während des Semesters für die Prüfungen lernen müssen. „Der Workload im Unterricht sollte sinken“, folgerte Hinterberger.

In seinem Resumé zum Thema Leistungskontrolle in einer Basisveranstaltung für 500 bis 600 Naturwissenschaftler legte er zum Schluss überzeugend die Vorteile eines ausgefeilten elektronischen Multiple-Choice-Testverfahrens dar. Ziel wäre, dass die Prüfung individuell und zeitlich unabhängig absolviert sowie automatisch und in Echtzeit korrigiert werden kann. Die Studierenden stehen dem laut Befragungen nach ersten Versuchen recht positiv gegenüber. Für die Prüfenden ermöglicht dies eine exakte Qualitätskontrolle, indem auf Knopfdruck eine glasklare Matrix der Ergebnisse erstellt werden kann. Das Modell hat aber seinen Preis: „Eine gute Multiple-Choice-Frage kostet um die 700 Franken - und wir brauchen für eine individualisierte elektronische Prüfung sehr viele davon“, erklärte Hans Hinterberger.


Literaturhinweise:
Website des Didaktikzentrums: www.diz.ethz.ch/

Fussnoten:
(1) Die Testtheorie beschreibt die Rahmenbedingungen für die Konstruktion, Durchführung und Auswertung von Prüfungen, vgl. dazu auch: www.iim.uni-giessen.de/user/~schneider/diag/ktt.htm



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