ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 30.10.2006 06:00

Das Collegium geht zu den Forschern
Musik, Gefühl, Ambivalenz

„Wie kommt das Gefühl in die Musik“ lautete der Titel der ersten Veranstaltung einer neuen Reihe des Collegium Helveticum. Mit dieser geht man hin zu den Forschern auf ihren Campus. Wer sich letzten Donnerstag auf dem Hochschulstandort Irchel im Hörsaal neben den Labors einfand, konnte erleben, wie Jörg Rasche, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, musizierte und (zu?) breit über das Thema referierte.

Christoph Meier

Das Collegium Helveticum versteht sich als ein Zentrum für transdisziplinäre Forschung und Lehre und will den Dialog mit den akademischen Partnern und der Öffentlichkeit pflegen. Doch bis anhin fanden die entsprechenden Veranstaltungen des Zentrums vorwiegend in den eigenen Wänden der Sempersternwarte statt. Das hatte zur Folge, dass die Forschenden nur beschränkt das Angebot nutzten. Um dies zu ändern, lancierte das Collegium dieses Semester die Reihe „Collegium@“. Mit dieser bringt man die Veranstaltungen zu den Forschungsstandorten Hönggerberg und Irchel.

Wohltemperierter Einstieg

Letzten Donnerstag zeigte sich, dass der Gang auf den Irchel dem Publikumszuspruch sicher nicht abträglich ist. So konnte Jörg Rasche, Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Dozent am C.G. Jung-Institut in Berlin, vor einem gut gefüllten Hörsaal sprechen und am Flügel musizieren. Eingeführt wurde der Referent von Daniel Fueter, Rektor der Hochschule für Musik und Theater in Zürich. Er machte auf die Fähigkeit zur Vieldeutigkeit aufmerksam, die in der Musik liege. Die Vieldeutigkeit hänge wiederum mit dem Umgang der Musiker mit Gefühlen ab, eines Themas, das von diesen zuwenig beachtet werde.

Viel Beachtung schenkte diesem aber in der Folge der Veranstaltung Jörg Rasche. Zuerst liess er Präludium und Fuge es-moll/dis moll aus dem Wohltemperierten Clavier von Johann Sebastian Bach erklingen – ein schönes Beispiel, wie Musik ansprechen kann. Doch wieso spricht dieses Stück an, oder wieso löst Musik grundsätzlich Gefühle aus? Der Referent wählte beim Versuch zur Beantwortung dieser Frage verschiedenste Ansätze.

Gefühl und Musik benötigen gleiche Hirnregionen

Dabei erfuhr man, dass Baruch Spinoza zwischen positiven und negativen Gefühlen unterschieden hatte, und Rasche charakterisierte sie als konsonant und dissonant. Obwohl schon früh festgestellt wurde, dass Dur und moll spezifische Unterschiede im Erleben bewirken, zeigten gemäss dem Referenten erst die letzten Jahrzehnte mit den Ergebnissen der Hirnforschung, wie Musik in Hirnregionen verarbeitet wird, die gleichzeitig zentral für das Gefühlsleben sind.


weitermehr

Demonstrierte mit gesprochener und am Klavier erzeugter Sprache, das Gefühl in der Musik wichtig ist: Jörg Rasche. gross

Diese Hirnregionen spielen eine wichtige Rolle bei der Mutter-Kind-Beziehung, führte Rasche weiter aus. Er sieht zudem im Austausch von der Mutter zum Kind einen, wenn nicht den entscheidenden, Ursprung der Musik. Zur Verdeutlichung spielte er das in der Musikgeschichte häufig als das erste mehrstimmige Stück bezeichnete Benedictus von Josquin Desprez vor und zeigte auf, wie man die Einzelstimmen zuordnen kann.

Vielleicht mehr Hintergrund?

Musik ist aber mehr als ein Beziehungsförderer. Für den Referenten entsteht sie als eine Folge der Komplexität menschlichen Denkvermögens und wirkt positiv auf dieses zurück. Dies konnte Rasche trefflich wieder mit Johann Sebastian Bach und Beispielen aus seiner Affektenlehre illustrieren. Dem gleichen Komponisten gehörte dann der Schluss des Vortrags mit den gleichen Stücken wie zu Beginn, diesmal einfach mit dem Hinweis auf den Mutter-Kind-Dialog, den man darin erkennen mag.

Das Gebotene war reichhaltig, doch irgendwie liess es einen nicht einfach durch die Eigenart der Musik begründeten, ambivalenten Eindruck zurück. Denn aufgrund der Fülle blieb vieles bloss angedeutet – eine Antwort, wieso Triolen als Hinweis auf den Vater dienen können, musste sich der Zuhörer selbst reimen. Die Absicht mit transdisziplinären Veranstaltungen noch näher zu den Forschungsstätten zu gehen, ist verdienstvoll. Will man aber längerfristig neue Leute gewinnen, wäre es vielleicht einen Gedanken wert, die Referenten anzuhalten, noch mehr auszuführen, wie sie zu ihren Schlüssen kommen. Denn für Transdisziplinarität braucht es wahrscheinlich ein Nachvollziehen-Können und nicht ein blosses Hinnehmen.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!