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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 24.09.2004 06:00

Neue Forschungsresultate zur Lernfähigkeit von Ratten
Lernen ist nicht gleich Lernen

ETH Wissenschafter haben untersucht, wie sich verschiedene Haltungsbedingungen auf Lernfähigkeiten von Ratten auswirken. Die Versuche zeigen, dass je nach Lebensbedingung unterschiedliche Lernprozesse im Hirn beeinflusst werden. Die Forscher erhalten zunehmend differenziertere Einblicke in das Zusammenspiel zwischen Genen und der Umwelt.

Von Claudia Naegeli

Erfolgreiches Lernen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. So weiss man, dass sich soziale Isolation oder eine eintönige Umgebung negativ auf die Lernfähigkeit auswirken. Führen jedoch beide Fälle zum gleichen Lerndefizit? Hanno Würbel, inzwischen Professor an der Universität Giessen, und sein Team an der ETH Zürich sind dieser Frage nachgegangen. In einem Versuch mit unterschiedlich gehaltenen Ratten haben die Wissenschafter studiert, wie das räumliche Lernen und die Lernflexibilität durch die Umwelt beeinflusst werden (1). Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift „Behavioural Brain Research“ veröffentlicht (2). Sie zeigt auf, dass sich Lebensumstände nicht pauschal auf das Lernen auswirken, sondern selektiv bestimmte Fähigkeiten beeinflussen.

Vier Lebenssituationen, zwei Lernfähigkeiten

Bevor die Forscher die Lernfähigkeit messen konnten, haben sie die Tiere in vier unterschiedliche Lebenssituationen eingeteilt. Die Tiere lebten entweder allein in einer kargen Umgebung, in der Gruppe in einer kargen Umgebung, allein in einer angereicherten Umgebung oder in der Gruppe in einer angereicherten Umgebung. Insgesamt wurden 36 männliche Ratten untersucht, die allesamt im Alter von 21 Tagen vom Muttertier getrennt worden waren.

Hundert Tage nach der Einteilung führten die Wissenschafter die eigentlichen Versuche durch. Das räumliche Lernen wurde in einem Wasser-Labyrinth untersucht (3). An aufeinanderfolgenden Tagen wurden die Ratten an unterschiedlichen Stellen in das Wasser gesetzt. Dabei massen die Forscher, wie viel Zeit die Ratten benötigten, um eine für sie nicht sichtbare Insel zu erreichen. Die Lernflexibilität wurde mit einer Reihe von Unterscheidungstests untersucht. Zuerst wurden die Ratten darauf trainiert, aufgrund eines bestimmten Merkmals (Geruch oder Beschaffenheit des Grabsubstrats) in einem von zwei Töpfchen nach einem versteckten Futterstückchen zu graben. Hatten die Ratten dies gelernt, wurde in der Folge das Futterstückchen im anderen Töpfchen versteckt und gemessen, wie lange die Tiere brauchten, um diese neue Aufgabe zu lernen. Dieses sogenannte Umkehrlernen testet die Lernflexibilität, also die Fähigkeit vorher erworbene Informationen zu unterdrücken und neue Informationen zu nutzen.

Verhaltensflexibilität dank Sozialpartnern

Die Versuche lieferten eindeutige Resultate. Sie zeigen einerseits, dass zwischen einer kargen Umgebung und verzögertem räumlichen Lernen ein Zusammenhang besteht. Andererseits führte soziale Isolation zu einer Beeinträchtigung der Lernflexibilität. In Zahlen ausgedrückt bedeutete dies: Ratten aus einer kargen Umgebung benötigten sechs Tage Training, bis sie die versteckte Insel im Wasser-Labyrinth auf direktem Weg ansteuerten, während ihre Artgenossen aus angereicherten Käfigen das in der Hälfte der Zeit schafften.


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Eine Ratte gräbt nach Futter. Die Forscher testeten auf diese Weise ihre Lernflexibilität. Bild: Hanno Würbel.

Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Ratten einzeln oder in Gruppen aufgezogen wurden. Im Gegensatz dazu war die soziale Umwelt jedoch entscheidend für die Lernflexibilität. Obwohl Ratten aus Einzel- und Gruppenhaltung die anfängliche Unterscheidung der Töpfchen anhand des Geruchs oder des Grabsubstrats gleich rasch lernten, benötigten die einzeln gehaltenen Ratten beim anschliessenden Umkehrlernen doppelt so viele Versuche wie die in Gruppen gehaltenen Ratten.

„Das heisst aber nicht, dass man ausschliesslich im sozialen Umfeld lernt, sich auf immer neue Situationen einzustellen“, sagt Hanno Würbel. „Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verhaltensflexibilität offenbar durch Sozialpartner begünstigt wird. Sozialpartner stellen eine variable Umwelt dar, auf die es sich immer wieder neu einzustellen gilt.“

Haltungsbedingungen sind entscheidend

Die Umweltbedingungen würden sich ganz allgemein entscheidend auf die Ausprägung der Lernfähigkeit auswirken, fügt der Biologe an. „Die Fähigkeit zu lernen ist aber eine fundamentale Eigenschaft von Gehirnen und geht durch sensorische und motorische Deprivation nicht gänzlich verloren.“ Selbst Ratten aus einer kargen Umgebung können sich räumlich orientieren, nur eben nicht so gut. Und die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen, gelingt auch Ratten aus sozialer Isolation bis zu einem gewissen Grad.

Schlechte Haltungsbedingungen können jedoch auch andere Folgen haben, die für Hanno Würbel noch weit bedeutsamer sind. „Ungeeignete Haltungsbedingungen können zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen führen, beispielsweise zu Stereotypien, wie sie bei vielen Zootieren auftreten“, erklärt der Forscher. „Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass es sich dabei um pathologische Veränderungen der Verhaltenssteuerung handelt.“ Konkret meint Würbel damit Hirnfunktionsstörungen, die auch für stereotype Verhaltensmuster bei gewissen psychischen Krankheiten bei Menschen verantwortlich sind.


Fussnoten:
(1) Homepage der Universität Giessen: www.uni-giessen.de
(2) Mehr über die Fachzeitschrift: www.elsevier.com/locate/bbr
(3) Genauere Informationen zum Wasser-Labyrinth: www.psychogenics.com/services/morris_water_maze.htm



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