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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 17.06.2004 06:00

Funktion des Retinoblastom-Homolog in Pflanzen
Zellen ausser Kontrolle

Die Kontrolle des Zellzykluses und der Zelldifferenzierung sind von fundamentaler biologischer Bedeutung. Ein wichtiger Faktor dabei ist das Retinoblastom-Gen beziehungsweise dessen Protein. ETH-Pflanzenforscher haben nun dessen Einfluss beim weiblichen Geschlechtsapparat der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) untersucht. Die Resultate werfen auch Fragen für die Tierwelt auf. Die Arbeit erschien im Fachmagazin „Nature“.

Von Christoph Meier

Krebs entsteht, wenn eine Zelle ihren Differenzierungszustand verliert und sich unkontrolliert zu teilen beginnt. Mittlerweilen kennt man viele Gene, die dabei eine Rolle spielen. Ein zentrales ist das Retinoblastom-Gen. Den Namen erhielt es, weil es, wenn es auf beiden Chromosomen mutiert ist, bei Kindern einen Augentumor auslöst. Es ist aber bekannt, dass das Gen auch in viele andere Krebsarten des Menschen involviert ist. Das hängt damit zusammen, dass das entsprechende Protein den Zellzyklus kontrolliert, indem es in seiner aktiven Form die Zellteilung stoppt.

Vom Retinoblastom-Gen ist ETH-Professor Wilhelm Gruissem fasziniert (1). Da es eine so grundlegende Funktion inne hat, vermutete der Forscher bereits in den achtziger Jahren, als bei Tieren das Gen isoliert wurde, dass es auch ein Homolog in Pflanzen geben muss. Gruissem fand dieses Mitte der neunziger Jahr im Mais und der Ackerschmalwand.

Mittlerweilen ist er aber mit der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) auf die Überholspur in Bezug auf die Tierforscher gegangen. So zeigt er in einer in der neuesten Ausgabe vom Wissenschaftsmagazin „Nature“ erschienenen Arbeit (2), dass das Retinoblastom-Gen nicht nur wichtig für die Zellvermehrung ist sondern auch für die Aufrechterhaltung des Differenzierungszustandes einer Zelle.

Eigenheit der Pflanzen genutzt

Zu diesem Schluss kam der Forscher, als er mit seinen Mitarbeitern untersuchte, wie sich insbesondere die Zellen des weiblichen Geschlechtsapparates der Ackerschmalwandpflanzen entwickeln, wenn sie mutierte Versionen des Retinoblastom-Gens tragen. Den Fokus auf die Geschlechtszellen wählten die Forscher, da bei Pflanzen im Gegensatz zu den Tieren nicht nur die Samen und Eizellen einen einfachen, also haploiden Chromosomensatz enthalten, sondern auch weitere Zellen im Geschlechtsapparat.

Diese Struktur mit den haploiden Zellen nennt man Megagametophyt. Dieser bildet sich bei höheren Pflanzen, indem sich die durch die Geschlechtsteilung entstandene Spore dreimal teilt, was acht haploide Zellen ergibt. Nur eine davon ist eine eigentliche Eizelle, die sich aber mit zwei Synergiden mit einfachem Chromosomensatz umgibt. Zwei andere Zellen fusionieren zu einer zweikernigen zentralen Zelle, dem Embryosack, der auch befruchtet wird und aus dem später zusammen mit dem Embryo der Samen gebildet wird. Allen Zellen des Megagametophyts ist gemeinsam, dass sich bei ihnen eine Mutation in einem aktiven Gen sofort auswirkt, da keine normale Gen-Variante auf einem zweiten Chromosom kompensatorisch wirken kann.

Verlust der Kontrolle

Trug nun die Pflanze eine mutierte Variante des Retinoblastom-Gens, führte das dazu, dass die Hälfte der Eizellen sich nicht richtig entwickeln konnte (siehe Bild).


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Ist das Retinoblastom-Gen in der Ackerschmalwand mutiert, sieht man das in den Schoten: Oben Wildtyp, unten Ackerschmalwand mit einer Retinoblastom-Mutante auf einem Chromosom. Pfeile zeigen abgestorbene Eizellen an, daneben befruchtete normal entwickelte Samen. (Balken = 500 Mikrometer) (© Nature) gross

Als die Forscher den reifen unbefruchteten Megagametophyten noch näher untersuchten, fanden sie, dass dort, wo der aus Eizelle und Synergiden bestehende Eiapparat sein sollte, eine unkontrollierte exzessive Zellkernvermehrung stattgefunden hatte. Auch beim Embryosack ging einiges nicht den gewohnten Weg. Retinoblastom-Mutanten durchliefen hier eine Entwicklung, wie sie sonst erst nach einer Befruchtung geschieht. Es kam zu einer so genannten autonomen Endosperm-Entwicklung, wie man sie bereits von Mutationen in anderen Genen als dem Retinoblastom her kannte.

Tierische Eizellen und das Retinoblastom-Gen?

„Unsere Forschung zeigt, dass das Retinoblastom-Gen nicht nur den Eintritt in den Zellzyklus reguliert, sondern auch den Differenzierungszustand der Zellen“, kommt Gruissem zur Quintessenz seiner Arbeit. Der Pflanzenwissenschaftler weist darauf hin, dass mit ihrer Arbeit erstmals der Einfluss des Retinoblastom-Gens während eines frühen Entwicklungsprozesses aufgezeigt werden konnte.

Bei Tieren sei das nicht möglich gewesen, da das Ausschalten des Gens in Mäusen für den Embryo letal ist, auch wenn dieser sich doch relativ weit entwickeln konnte. Gruissem glaubt nun, dass durch seine Forschung auch Wissenschaftler, die mit Tieren arbeiten, inspiriert werden. Bei der Arbeit mit Tieren wäre sicher auch die Keimbahn von speziellem Interesse. Denn erst kürzlich fanden amerikanische Forscher heraus, dass entgegen der bisherigen Lehrmeinung auch nach der Embryonalentwicklung neue Eizellen entstehen können (3). Gruissem spekuliert, dass dieser Prozess kaum unabhängig von Retinoblastom-Gen abläuft.

Weiter mit Arbeiten an echten Stammzellen

Für seine eigenen Forschungen bleibt der ETH-Forscher bei den Pflanzen. Er ist mit seinem Team dabei zu untersuchen, wie sich das Retinoblastom-Gen ausserhalb der Geschlechtszellen in der Ackerschmalwand auswirkt. Im Fokus sind dabei die pflanzlichen Stammzellen. Sowohl für das Blatt und die Wurzel liegen Gruissem erste Daten vor, die zeigen, dass das untersuchte Gen entscheidenden Einfluss auf die Differenzierung ausübt. Bei all diesen Ergebnissen besteht die Hoffnung, dass dadurch Krebs- und Stammzellforscher im Tierreich Anregungen für neue Forschungsansätze finden. Daran ändert auch die Einschränkung von Gruissem nicht, dass Stammzellen in erwachsenen Individuen im eigentlichen Sinn nur bei Pflanzen existieren.


Fussnoten:
(1) Labor von Wilhelm Gruissem: www.pb.ipw.biol.ethz.ch/
(2) Chantal Ebel, Luisa Mariconti & Wilhelm Gruissem: “Plant Retinoblastoma homologues control nuclear proliferation in the female gametophyte”, Nature, VOL 429, 17 June 2004.
(3) Joshua Johnson, Jacqueline Canning, Tomoko Kaneko, James K. Pru & Jonathan L. Tilly: “Germline stem cells and follicular renewal in the postnatal mammalian ovary”, Nature VOL 428, 11 March 2004 |



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