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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 02.04.2003 06:00

Risikogesellschaft wohin?
Mehr Wohlstand, weniger Risiko

Die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung und der Verein Engineers Shape our Future begaben sich „auf die Suche nach einem zukunftsfähigen Umgang mit Risiken“. An einer Tagung am Centre for Global Dialogue in Rüschlikon von vergangener Woche nahmen auch Vertreter der ETH Zürich teil.

Von Michael Breu

„Eine Gesellschaft, die viel erreicht hat, legt keinen Wert darauf, ein weiteres Risiko einzugehen. Das bestehende Risiko wird auf ein Minimum reduziert“, sagt Bundesrat Moritz Leuenberger und der Basler Philosoph Hans Saner findet: „Es gibt so etwas wie eine optische Täuschung in der Wahrnehmung eines Risikos. Das Gen ist ein gutes Beispiel dafür; um es zu entmythologisieren braucht es eine Leistung des Intellekts, eine Herausforderung im Sinne der Aufklärung.“ Aufklärung tut Not, findet auch der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos. „Nur wenige Monate nachdem der Soziologe Ulrich Beck das Buch 'Risikogesellschaft' vorlegte, kam es in Tschernobyl zum bisher folgenschwersten Unfall in einem Kernkraftwerk. Seither droht die Risikoangst selbst zum Zukunftsrisiko zu werden.“

Zukunft mitdiskutieren

Die Tagung „Risikogesellschaft wohin? Auf der Suche nach einem zukunftsfähigen Umgang mit Risiken“ hat diese meist vermeintlichen Risikoängste zum Anlass genommen und am vergangenen Freitag am Centre for Global Dialogue in Rüschlikon darüber diskutiert (1). Organisiert wurde die Tagung von Vertretern der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung (SZF) und der Engineers Shape our Future. Fazit: Eine Lösung gibt es nicht. Trotzdem findet Regula Stämpfli, Co-Präsidentin der SZF: „Um die Zukunft zu gestalten, muss sie diskutiert und mitgedacht werden.“ Ein gutes Beispiel dafür ist die Gentechnik, ein Thema, das in mehreren Fokusgruppen an der Tagung diskutiert wurde.

„Die Forschung wird zunehmend alltagsrelevant“, sagt etwa Andrea Ries, studierte Mathematikerin und Beraterin für Nachhaltigkeit, „deshalb treffen die Fronten von Gentech-Befürwortern und -Gegnern hart aufeinander.“ Aus diesem


Mathematische Definition

Risiko wird in der Fachliteratur als „Produkt aus der Eintretenswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dem Schadensausmass definiert“. „Bei näherer Betrachtung wird die Begriffsbestimmung jedoch schwieriger. Das Wort 'Risiko' wird in der Umgangssprache und in der Wissenschaft mit sehr unterschiedlichen Begriffsinhalten belegt, so dass bei jeder Aussage genau zu fragen ist, was im jeweiligen Fall gemeint ist“, heisst es im aktuellen „Economic Briefing“ der Credit Suisse. Pierre-Alain Schieb, Leiter des OECD-Projektes „Emerging Systemic Risks“, belässt es bei der mathematischen Definition, die einzelnen Risiken fasst er unter drei Stichworten zusammen: Naturgefahren (Erdbeben, Überschwemmungen); Risiken, die von der Technik ausgehen (GAU in einem Atomkraftwerk, Chemieverseuchung) und Risiken, die eine Auswirkung auf die Gesundheit haben (Infektionskrankheiten). Sie zu minimieren, ist die Herausforderung in diesem Jahrtausend.

Wie dies geschehen soll, fragt sich René F. Manser, Head Group Risk Management bei Zurich Financial Services. „Unternehmerisches und persönliches Risiko-Management ist kein formales System, sondern eine Grundhaltung unternehmerischen Denkens. Eines der Ziele des Risiko-Managements muss sein, die isolierte Betrachtungsweise des Silodenkens aufzugeben und die Risiken aus einer integrierten Perspektive zu betrachten.“ Für Ortwin Renn, Direktor der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, gibt das „Ampel-Modell“ eine Annäherung: Grün steht in seiner Lichtsignal-Anlage für das Normalrisiko, gelb für ein regulierungsbedürftiges Risiko und rot für intolerables Risiko.

Wie kontrovers über „Risiko“ diskutiert werden kann, zeigte die Tagung „Risikogesellschaft wohin? Auf der Suche nach einem zukunftsfähigen Umgang mit Risiken“. Nach den (oben erwähnten) Eingangsreferaten diskutierten die Teilnehmer in fünf Fokusgruppen zum Thema – etwa über Risikoerziehung (mit ETH-Rektor Konrad Osterwalder am Podium), über den Risikodialog mit der Öffentlichkeit, über Pressure Groups, den Staat und den Forschungsplatz Schweiz.




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Risikomanagement: Sterile Bedingungen im Labor sorgen für mehr Sicherheit. (Bild: Novartis) gross

Grund sei der frühzeitige Risikodialog mit der Öffentlichkeit eine Herausforderung für die Forscher. Ulrich W. Suter, ETH-Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, pflichtet dem bei, findet aber, dass im aktuellen Fall des Gentech-Weizens die „Furcht vor Risiken“ bereits bei den Behörden anfing. Er gibt zu bedenken: „Die 'Grüne Gentechnik' ist umstritten. Viele Menschen befürchten unabsehbare Folgen. Die 'Rote Gentechnik', gentechnische Methoden in der Medizin, wird von der Öffentlichkeit hingegen akzeptiert – obschon sie viel näher bei den Menschen ist. Das ist nicht rational.“ Die Hochschulen hätten den Auftrag, etwa zur 'Grünen Gentechnik' solches Risikowissen zu schaffen, sagt Suter. Werde die Möglichkeit verwehrt, dann sei die Forschungsfreiheit in Gefahr: „Die Forschungsfreiheit ist kein Selbstzweck. Sie ist für eine Hochschule eine wichtige Voraussetzung, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen zu können“, sagt der ETH-Vizepräsident: „Wir brauchen eine unabhängige, verantwortungsbewusste Forschung im Dienste der Öffentlichkeit.“

"Risikokultur braucht Risikoforschung"

„Die Forschungsfreiheit ist ein wichtiges Gut“, findet auch Ortwin Renn, Direktor der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Professor für Umwelt- und Techniksoziologie an der Universität Stuttgart und von 1992-1993 Gastprofessor an der Abteilung für Umweltnaturwissenschaften der ETH Zürich. Um sie im Bereich Risikoforschung ausüben zu können, brauche es ein hohes Mass an „fachlicher Exzellenz“ und mehr „transdisziplinäre Forschungsförderung“. Auch Wolfgang Kröger, Leiter des Bereichs Nukleare Energie und Sicherheit am Paul Scherrer-Institut und Professor für Sicherheitstechnik an der ETH, stimmt zu und plädiert: „Risikokultur braucht Risikoforschung.“

Kein Verzicht auf Risiko

Doch wie soll sie aussehen, die Risikokultur? „Pfannenfertige Lösungen gibt es nicht“, sagt Bruno Walser, studierter ETH-Chemiker und Präsident der Engineers Shape our Future. Fest steht: „Unser Leben ist heute viel bequemer als früher. Und die Risiken haben sich stark minimiert. Doch ausschliessen kann man sie nicht; wir werden immer mit Risiken leben müssen.“ Und Bundesrat Moritz Leuenberger findet: „In unserer Risikokultur spielt das subjektive Gefühl der Sicherheit eine grosse Rolle.“ Ob dieses Gefühl durch ein Verbot erreicht werde oder durch eine offene Haltung, „ein Risiko ist bei jedem Handeln immer enthalten“.


Für die Zukunft

Die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung (2) ist die grösste nationale Gesellschaft für Zukunftsforschung. Sie ist Mitglied der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) und der World Future Society (WFS). Die SZF engagiert sich seit Jahren für die Förderung der Zukunftsforschung und die Verbreitung der damit verbundenen Arbeiten und Ergebnisse. Zu ihren Aktivitäten gehören neben der Durchführung von Tagungen die Herausgabe der regelmässig erscheinenden Zeitschrift „Zukunftsforschung“ mit Reviews zu wichtigen Entwicklungen und Publikationen.

Die von 27 Firmen verschiedener Branchen gebildete Gruppe INGCH Engineers Shape our Future (3) wurde 1987 gegründet mit dem Ziel, einen qualitativ hochstehenden Ingenieurnachwuchs zu fördern. Sie organisiert „Neue Technologiewochen“ in Gymnasien und Sekundarschulen, Berufsberater-Informationsveranstaltungen, Tagungen und Symposien. Sie gibt regelmässig den "Infoflash" heraus.




Literaturhinweise:
„Phantomrisiken – real und relevant“, Economic Briefing Nr. 31, Credit Suisse (Hrsg.), Zürich 2002; “Risiko und Sicherheit. Zwischen Kalkül und Katastrophe“, Magazin der Universität Zürich / Bulletin der ETH Zürich, November 2000; Ulrich Beck: „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“, Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986; „OECD International Futures Programme“, OECD Paris Centre (Hrsg.), Paris 2001, http://www.oecd.org/

Fussnoten:
(1) Tagung „Risikogesellschaft wohin?“: http://www.szf-future.ch
(2) Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung: http://www.sagw.ch/zukunftsforschung/
(3) INGCH Engineers Shape our Future: http://www.ingch.ch/



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