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Rubrik: Tagesberichte |
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Kongress über Decision-Making an der ETH Licht ins Dunkel von Entscheiden |
Alleingang, unters Dach der „Lufthansa“ oder der „British Airways“? Zum „Swiss“-Kurs gibt es mindestens so viele Meinungen wie Stammtische. Auch Weichenstellungen mit weniger Echo belasten die jeweils Verantwortlichen, weil die Folgen zuwenig einsichtig sind. Die Forschung zum Decision Making bietet Analysen und Strategien für den Umgang mit dieser Unsicherheit. Ein Kongress dazu letzte Woche an der ETH führte Fachleute aus aller Welt zusammen. Das haben Entscheidungen – gerade auch „entscheidende“ – so an sich: Man weiss erst, was sie taugen, wenn sie nicht mehr rückgängig zu machen sind. Darüber, wie sie zustande kommen und wie die Entscheid-Prozesse optimiert werden können, wird in verschiedenen Disziplinen geforscht: Mediziner, Psychologen, Ökonomen und Umweltwissenschaftler haben sich letzte Woche an der ETH im Rahmen der internationalen Konferenz „on Subjective Probability, Utility, and Decision Making“ (SPUDM19) ausgetauscht. „Der Reiz dieses Kongresses liegt in seiner betonten Interdisziplinarität“, sagt ETH-Ökonomieprofessorin Renate Schubert, die SPUDM19 mit organisiert hat. So sei für einen Mediziner, der sich für eine Therapieform entscheiden muss, aufschlussreich zu verfolgen, welche Strategien eine Wirtschaftswissenschaftlerin wählt – und umgekehrt. Neue Phänomene in den Griff bekommen Vergleichsweise klar liegen die Verhältnisse laut Renate Schubert dort, wo Entscheidungen mit Erfahrungswerten gestützt werden können. „Wenn zum Beispiel Daten über die Diebstahlhäufigkeit bei Velos vorhanden sind, lässt sich die Wahrscheinlichkeit dafür ermitteln, ob oder wann auch mein Fahrrad gestohlen wird“, sagt die Ökonomie-Professorin. Entsprechend sicher sei die Informationsbasis für oder gegen Massnahmen gegen Diebstahl, beispielsweise den Abschluss einer Versicherung. Wenn es jedoch um gänzlich neue Phänomene geht wie den Treibhauseffekt, individuelle Krankheiten oder die Gründung eines High-Tech-Unternehmens, fehlen solche Daten. Mit verschiedenen Verfahren wird hier versucht, „Wahrscheinlichkeitssurrogate“ für die künftigen Ergebnisse von Handlungen herzustellen, etwa durch Expertenbefragungen. Zudem zieht man Entscheidungsmodelle heran, die ohne präzis quantifizierende Entscheidhilfen auskommen und zum Beispiel mit Wahrscheinlichkeitsintervallen arbeiten. Licht in den Dschungel der je unterschiedlichen Entscheidungs-Bedingungen in Finanzindustrie, Arbeitsmarktpolitik oder Umweltpolitik bringen unter anderem Faktorenanalysen.
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Wichtige Rolle des „Bauchgefühls“ Laut Renate Schubert hat die Wissenschaft lange ausgeblendet, dass auch in scheinbar mit Kalkül vorgenommene Risiko-Abschätzungen und Entscheidungen Emotionen hineinspielen. Die Psychologie bietet Verfahren an, diesen denkbar „weichen“ Faktor zu operationalisieren – SPUDM19 legte darauf ein besonderes Augenmerk. „Man stellt sich beispielsweise vor, wie gross die persönliche Enttäuschung wäre, wenn diese oder jene erwartbare, aber unerwünschte Folge einer bestimmten Entscheidung eintreten würde“, erläutert die ETH-Ökonomin. “Werden stark negative Emotionen geweckt, liegt es nahe, einen anderen Entscheidungsweg einzuschlagen.“ Studien mit Versuchspersonen – in der Entscheidungsforschung generell unabdingbar – ergänzen und verfeinern derartige „Regret“-Ansätze. Verborgene Entscheidungsmacht Am ETH-Institut für Wirtschaftsforschung werden risikobehaftete Entscheidprozesse gruppenspezifisch untersucht. Der Fokus liegt speziell auf der Differenz Frauen – Männer. Frauen, so der Befund verschiedener Studien, neigen zu risikoärmerem Anlageverhalten als Männer, und sie verzichten damit auf potenzielle künftige Erträge. „Experimente zeigen, dass man Frauen das Risiko schmackhaft machen kann, wenn man sie sehr gut informiert“, sagt die ETH-Ökonomin. Die Banken zeigen an dieser Forschung Interesse. Sie hätten die wachsende Gruppe von Frauen mit guter Vermögenslage als Kundenpotential entdeckt. In einer Welt, deren Komplexität zunimmt, wird bei Weichenstellungen die Rolle der Information laufend wichtiger. Entsprechend wächst auch der Stellenwert der Fachleute: „Eines der Ziele solcher Kongresse ist, transparent zu machen, dass viel sozusagen ‚verborgene’ Entscheidungs-Macht bei Experten konzentriert ist. Und nicht bewusst ist in der Regel auch, dass solche Expertise stets bereits Wertungen impliziert“, hält Renate Schubert fest. Die Entscheidungstheorie trage zur Klärung dieser Prozesse bei. SPUDM19 ist laut Renate Schubert auf sehr gute Resonanz gestossen. Gut 230 Teilnehmende waren zu verzeichnen – mehr als die Organisatoren erwartet hatten.
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Fussnoten:
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