ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 29.04.2004 06:00

Zwischenbilanz: NFP 47 „Supramolekulare funktionale Materialien“
Nano und doch gross

Ein Nanokran, Oberflächenanalysen im Bereich von Millionstel Millimetern und supramolekulares Filmmaterial: Das versprechen Forscher der ETH Zürich. Vorgestern präsentierten sie auf dem Hönggerberg an einer Zwischenbilanz des Nationalen Forschungsprogramms 47 (1) ihre Arbeiten. Das NFP 47 läuft noch bis Ende März 2005, ein letztes Symposium findet im Juni 2005 statt.

Von Michael Breu

Ein Teilbereich der Nanotechnologie befasst sich mit supramolekularen Materialien. Dabei wird meist mit sehr grossen Molekülen gearbeitet. Weil sich die Technik aber mit einzelnen Supermolekülen beschäftigt, wird sie zur Wissenschaft des Millionstel Millimeters gezählt – zur Nanotechnologie eben. Die Grundlagen für den Teilbereich der supramolekularen Materialien legte der deutsche Chemiker und Nobelpreisträger (1902) Hermann Emil Fischer vor mehr als hundert Jahren. „Als er die Reaktion eines Enzyms studierte, kam er zum Schluss, dass sich die Substrat- und die Rezeptormoleküle ausrichten, um sich zu erkennen und danach miteinander zu reagieren“, heisst es in der Chronik. Fischer verglich dies mit dem Prinzip von Schlüssel und entsprechendem Schlüsselloch. In der pharmazeutischen Chemie – Fischer war auch in diesem Bereich tätig, etwa als Erfinder des Schlafmittels Diethylbarbiturat – wird diese Erkenntnis für das Design von Wirkstoffen genutzt.

Schlüssel und Schlüsselloch: Ein Molekül passt sich in den Rezeptor ein. Bild: NFP 47 gross

Jean-Marie Lehn, Chemiker an der Université Louis Pasteur in Strassburg und ebenfalls Nobelpreisträger (1987), entwickelte das Konzept weiter. Ein Molekül, so seine Meinung, sei nie vollständig isoliert, sondern befinde sich in einer Umgebung, mit der es Wechselwirkungen eingehe. Aus diesen Interaktionen entstünden neue Eigenschaften – „Moleküle mit spezifischen Interaktionen von grosser Selektivität“, wie es in der Würdigungsschrift des Nobelkomitees heisst.

Zwei Konformationen eines Resorcin(4)-arens: Je nach Umgebungsbedingungen kann es Moleküle einfangen, transportieren und wieder freigeben. Bild: ETH gross

Mittels chemischer Synthese lassen sich diese supramolekularen Strukturen quasi „nach Mass“ hergestellt. Das heisst: Ihre Funktion könnte von Grund auf geplant werden. Forscher bezeichnen diese Möglichkeit als Bottom-up-Ansatz. In der Schweiz wird diese Forschungsrichtung seit vier Jahren systematisch untersucht. Dafür hat der Bundesrat im April 1998 das Nationale Forschungsprogramm 47 (NFP 47) mit dem Titel „Supramolekulare funktionale Materialien“ lanciert und für die Dauer von fünf Jahren einen Rahmenkredit von 15 Millionen Franken bewilligt (zum Vergleich: die „National Nanotechnology Initiative“ in den USA wurde im Jahr 2001 mit 500 Millionen Dollar unterstützt). Vorgestern zogen ETH-Forscher an einer Tagung auf dem Hönggerberg eine erste Bilanz.

Natürliche Affinität

ETH-Chemieprofessor François Diederich stellte einen Molekülkran vor, der wie sein Vorbild aus der makroskopischen Welt „ein Objekt aufnehmen, transportieren und es am gewünschten Ort zur gewünschten Zeit wieder freigeben kann“. Dabei nutzt der Forscher die „natürliche Affinität“ zwischen Molekülen aus, ein Phänomen, das als „molekulare Erkennung“ bezeichnet wird.


weitermehr

Der Baseball-Handschuh symbolisiert ein Enzym, der „Ball" ist ein Molekül, das an das Enzym bindet. Mit Hilfe der supramolekularen Chemie werden solche Handschuhe hergestellt. Bild: NFP 47 gross

Grundlage von Diederichs Kran sind „dynamische Rezeptoren“, die zwei verschiedene Formen, Konformationen, annehmen können. Eine Konformation in Form eines Gefässes befähigt den Rezeptor per molekularer Erkennung, ein bestimmtes Molekül einzufangen und bei offener Konformation wieder freizugeben, erklärte Diederich. Kürzlich ist es ihm und seiner Gruppe gelungen, diesen Prozess zu beobachten, berichten die Forscher im Magazin Helvetica Chimica Acta (2004, 87(2):449-462).

Mit Oberflächen zur Aufnahme und Analyse von Proteinen befassen sich die beiden ETH-Professoren für Oberflächentechnik, Nicholas D. Spencer und Marcus Textor. Dabei haben sie einen optischen Chip entwickelt, auf dem Makromoleküle selektiv anlagern. Nach dieser Anlagerung tastet ein Laserstrahl die Oberfläche ab und analysiert quantitativ die Oberflächenreaktion mit hoher Empfindlichkeit, erklärte Marcus Textor.

Polar und exakt ausgerichtet

Supramolekulare Materialien setzt auch Peter Günter, ETH-Professor am Laboratorium für Nichtlineare Optik am Institut für Quantenelektronik, ein. Der Experimentalphysiker entwickelt supramolekulare Filme, welche die Veränderung oder Modulation einer optischen Welle ermöglichen. „Wir streben die Entwickelung von organischen supramolekularen Materialien an, die in der Lage sind, ein Lichtsignal zu modulieren, beispielsweise durch Veränderung der Ausbreitungszeit der optischen Welle oder der Lichtintensität. Wenn diese Änderungen nach einem bestimmten Code angewandt werden, ermöglichen sie die Übermittlung einer grossen Datenmenge in kurzer Zeit mithilfe einer optischen Welle“, sagte er gegenüber dem Magazin „Vision“. Auf dem Hönggerberg stellte er vorgestern Filme vor, die aus polaren, exakt parallel ausgerichteten Molekülen bestehen.

Als Gast referierte an der Tagung Christian Moser, Forschungschef im Bereich Virologie des Impfstoffherstellers Berna Biotech. Der studierte Veterinär stellte Resultate aus der Virosomenforschung vor, rekonstruierte virale Hüllen, die als Impfstoffträger dienen. Bereits seien zwei Produkte auf dem Markt zugelassen, der Influenza-Impfstoff Inflexa V und die Hepatitis-A-Prophylaxe Epaxal. Hergestellt werden die Impfstoffträger, indem das Virus in einem ersten Schritt inaktiviert wird. Anschliessend werden die Hüllen-Glykoproteine gelöst, gereinigt, ohne das Virus-Erbgut neu zusammengesetzt und in eine Lipidkugel integriert.

„Die supramolekularen Wissenschaften sind heute vor allem ein Teil der Chemie“, sagte Andreas Ludi, Leiter des NFP 47. Der emeritierte Berner Chemieprofessor ist mit den erreichten Resultaten zufrieden. Abgeschlossen wird das NFP 47 Ende März 2005. Vom 16. bis 18. Juni 2004 sollen die Projekte an einem letzten Symposium vorgestellt werden, und im April 2005 ist eine Spezialausgabe zum Thema im Fachmagazin Advanced Functional Materials geplant.


Frühlingsschule

(mib) „Neben der Forschungsförderung im Bereich der supramolekularen Chemie soll das NFP 47 auch akutere Bedürfnisse abdecken, beispielsweise die Ausbildung von Chemikern von morgen“, heisst es im aktuellen Newsletter der Leitungsgruppe des NFP 47. Als nächstes sei deshalb eine „Frühlingsschule“ für Doktorandinnen und Doktoranden geplant. Sie soll im 2005 stattfinden.




Literaturhinweise:
Zum Thema publizierte das Schweizer Magazin für Wissenschaft und Innovation, „Vision", im Oktober 2001 ein Sonderheft: http://www.swiss-science.org

Fussnoten:
(1) NFP 47 „Supramolekulare funktionale Materialien“: www.swiss-science.org/_nfp47/index.htm



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!