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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.05.2003 06:00

„Swisscodes": die neuen Tragwerksnormen des SIA sind in Kraft
Neue Normen für Bauingenieure

Seit dem 1. Januar dieses Jahres gelten die neuen Tragwerksnormen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) für den konstruktiven Ingenieurbau. Sie ersetzen nach einer Übergangsfrist von 18 Monaten die bisherigen Normen und sind gleichzeitig Europa-kompatibel - aber wesentlich gestraffter und praxistauglicher. An der Erarbeitung der "Swisscodes" waren ETH-Wissenschaftler massgeblich beteiligt.

Von Regina Schwendener

„In der Betonbauweise waren bereits die Römer Meister, bauten sie doch das Pantheon auf diese Weise, auch wenn damals noch keine Normen existierten", blickt Peter Marti, Professor am ETH-Institut für Baustatik und Konstruktion sowie Projektleiter „Swisscodes", zurück. Ziel der neuen Normen ist eine einheitliche Betrachtungsweise in der gesamten Tragwerksplanung, insbesondere eine einheitliche Terminologie, die sich an die "Eurocodes" anlehnt.

Den Anstoss zur Entwicklung von Tragwerksnormen in der Schweiz habe im Jahre 1891 ein tragisches Ereignis gegeben: die Katastrophe von Münchenstein, als der Zusammenbruch der Eisenbahnbrücke über die Birs 71 Menschen in den Tode riss. Der Bund erliess daraufhin 1892 eine erste Verordnung für eiserne Brücken- und Dachkonstruktionen, während 1903 die ersten provisorischen SIA-Normen für Bauten in armiertem Beton erlassen wurden.

Dringender Handlungsbedarf

Schritt um Schritt ging die Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten weiter, bis sich während der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts bei den Tragwerksnormen dringender Handlungsbedarf abzeichnete. In der Schweiz bestand mit den Normen SIA 160, 161 und 162 seit 1989 ein zusammenhängendes Normenwerk für die Projektierung und Ausführung von Stahl- und Betonbauten. "Für den Bereich des Mauerwerks folgte 1995 mit der Empfehlung SIA V177 eine entsprechende Ergänzung. Die Ausarbeitung analoger Dokumente für die Gebiete des Holzbaus und der Geotechnik war wegen abweichender Traditionen und Problemstellungen nicht möglich", erzählt Marti.

Für den Holzbau folgte 1991 mit der Norm SIA 164 eine Anpassung an die Norm 160. Im Bereich Geotechnik wurde versucht, im Rahmen der nationalen Anwendungsdokumente zum Eurocode 7 auf die neuesten Entwicklungen einzugehen. Die unbefriedigende, immer weiter ausufernde Entwicklung der Eurocodes, so Marti, löste dann eine kleine Revolution aus und Investitionen von rund sieben Millionen Franken in ein anwenderfreundliches schweizerisches Normenwerk für die Projektierung von Tragwerken.

Einheitliche Sprache, klare Spielregeln

Unter dem Projekttitel "Swisscodes" wurden seit Ende 1998 in der Schweiz durch den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein und Partnern - unter anderen Bund, Schweizerischer Baumeisterverband, Verband der schweizerischen Zementindustrie - neue und mit den Eurocodes kompatible Tragwerksnormen erarbeitet, die jedoch die Besonderheiten der Schweiz berücksichtigen.

Die "Swisscodes" haben zwei wesentliche Funktionen: Mittels verbindlicher Sprachregelungen kann man sich jetzt in allen Baubereichen klar verständigen, und die "Spielregeln" sind festgelegt. Jeder Fachausdruck ist genau definiert: Wird zum Beispiel der Begriff "Bauverfahren" benutzt, weiss jeder aus der Baubranche, dass hier Art und Weise der Bauausführung gemeint ist.

Marti: "Die nun vorliegende Tragwerksnorm des SIA richtet sich an Fachleute der Projektierung, der Bauleitung und Bauausführung sowie an Bauherrschaften." Sie umfasse die Normen 260 (Grundlagen der Projektierung von Tragwerken), 261 (Einwirkung auf Tragwerke), 262 (Betonbau), 263 (Stahlbau), 264 (Stahl-Beton-Verbundbau), 265 (Holzbau), 266 (Mauerwerk) und 267 (Geotechnik). Die Grundsätze der Norm SIA 260 sind für alle Tragwerksnormen verbindlich. Vorgesehen sei, die Tragwerksnormen mit einer Norm "Erhaltung von Tragwerken" zu ergänzen.


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Nicht nur eine Last für die Ingenieure seien die neuen Normen, sondern auch ein Schutz, sagt Otto Künzle, ETH-Professor für Tragkonstruktionen (l.). Professor Peter Marti (r.) ist Vorsitzender der Projektleitung „Swisscodes".

Neu sind Begriffe wie "Nutzungsvereinbarung", "Projektbasis" (mit fachbezogenen Elementen der bereits 1989 eingeführten Dokumente "Nutzungsplan" und "Sicherheitsplan"), "Tragwerkskonzept", "Massnahmenbericht" (ersetzt den "Technischen Schlussbericht") und "Ausführungsdossier". Verschiedene Begriffe seien bisher in der Schweiz nicht oder anders verwendet worden. Marti nennt als Beispiele: Auswirkung, Lastfall, Tragwerksanalyse oder Zuverlässigkeit. Andere Begriffe wie Beobachtungsmethode, Entwurf, Gestaltung, Kapazitätsbemessung oder Verformungsvermögen werden erstmals im Rahmen der Tragwerksnormen definiert. "Ausnahmen von den vorliegenden Normen sind zulässig, wenn sie durch Theorie oder Versuche ausreichend begründet werden", so Peter Marti, "oder wenn neue Entwicklungen und Erkenntnisse dies rechtfertigen." Im Gegensatz zu den Normen SIA 261 bis 267, die längerfristig Bestand haben sollten, werde es wegen der laufenden Arbeiten an den europäischen Normen nötig sein, die in den Normen 261/1 bis 267/1 enthaltenen "Ergänzenden Festlegungen" in relativ kurzen Abständen den neuen Gegebenheiten anzupassen, vermutet der "Swisscodes"-Projektleiter.

Tausende auf der Schulbank

"Dieses neue, grundlegende Werk gibt Planern, Unternehmern und der Schweizer Bauwirtschaft ein unverzichtbares Werkzeug in die Hand", stellt Professor Otto Künzle vom ETH-Institut für Hochbautechnik fest. Mit einer Veranstaltung, an der etwa 380 Personen teilnahmen, startete er in Bern den Reigen von Weiterbildungsseminaren. Künzle erwartet an den Kursen in Zürich, Lausanne und Lugano einige tausend Fachleute.

Es war ein enormer logistischer Aufwand, der zur Einführung der Swisscodes betrieben werden musste, verrät der Mann, der die Fäden der Weiterbildungsveranstaltungen in der Hand hält. Sämtliche Normen werden auf Deutsch, Französich, Italienisch und Englisch erscheinen. Schon jetzt ist jeder aufgeführte Fachausdruck in den entsprechenden Normen vierfach übersetzt. "Für einige bedeuten die 'Swisscodes' eine grosse Veränderung, ein Loslassen von Liebgewordenem. Die Normen sind für die Ingenieure aber nicht nur eine Last; sie bedeuten auch Schutz", bemerkt Künzle. Verständigungsfragen, die neu eingeführten Begriffe, die europäisch abgestimmten Richtwerte sowie die Unterschiede zu den alten Normen sind deshalb Schwerpunkte des Ausbildungsprogramms.

Er sei sich bewusst, dass es immer noch Widerstand zu überwinden gäbe, aber "wir erfinden das Rad nicht neu". Die Normen hätten zwar keine Gesetzeskraft, würden aber den Stand der Technik widerspiegeln, und bei Gerichtsfällen würden die Richter auf die Normen abstellen. Der SIA habe darauf geachtet, ein anwenderfreundliches Arbeitsmittel zu schaffen und die Normen offen zu gestalten, ist Künzle überzeugt. Dies zeige sich unter anderem auch am Ausnahmeartikel, wonach ein Abweichen von den Normen gestattet ist, sofern sichergestellt ist, dass die getroffene Lösung den Normen gleichwertig ist. Otto Künzle: "Deshalb verhindert das neue Regelwerk weder neue Ideen noch kreatives Wirken."


Literaturhinweise:
Homepage des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA: www.sia.ch/d/



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