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Rubrik: Tagesberichte |
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Vortrag des Anthropologen Michael Tomasello Irritierend sozial |
Menschen verhalten sich schon als Kleinkinder sozial. Der Anthropologe Michael Tomasello gab am Dienstag am Collegium Helveticum einen Einblick, wie das geschieht und wo man bei Schimpansen Parallelen finden kann. Der Mensch ist ein soziales Tier. So sozial, dass sich seine kognitive Fähigkeiten so stark entwickelten, dass sie so exklusiv erscheinen wie ein Elefantenrüssel. Dieser menschlichen Exklusivität kann sich auch Michael Tomasello nicht entziehen. Das hindert den Anthropologen, der am Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig forscht, aber nicht daran zu ergründen, wie weit auch andere Primaten, insbesondere Schimpansen, zu differenziertem kooperativen Verhalten fähig sind. In seinem Vortrag „Understanding and Sharing Intentions“ am Dienstagnachmittag am Collegium Helveticum, stellte Tomasello zuerst fest, dass beim Menschen eine spezielle Situation vorliege, da eine ausgeprägte kulturelle „Vererbung“ stattfinde. Würde man ein Menschenkind auf einer Insel aufwachsen lassen, dann wäre es fraglich, ob sich seine kognitiven Fähigkeiten so dramatisch von denen der Menschenaffen unterscheiden würden. Schimpansen wissen, was Artgenossen sehen Doch da sie es im Kontext von anderen Menschen tun, erläuterte der Wissenschaftler, was er diesbezüglich herausgefunden hat. Galt früher, dass nur Homo sapiens Absichten und Ziele seiner Artgenossen erkennt, fand Tomasello Hinweise, dass das auch für Schimpansen gilt. In einem Versuch hatten zwei dieser Menschenaffen Zugang zum gleichen Raum, in dem Nahrung offen oder für den einen versteckt vorhanden war. Aufgrund des Verhaltens konnte geschlossen werde, dass der eine Schimpanse wusste, was der andere sah und wollte. Doch verstehen die haarigen Cousins des Menschen nicht nur Absichten, sondern können sie sich auch kooperativ verhalten? In diesem Zusammenhang erwähnte der Anthropologe eine kürzlich von ihm publizierte Studie, die aufzeigt, dass Schimpansen durchaus fähig sind, zusammenzuarbeiten. Benötigten sie für das Erreichen von Esswaren die Hilfe eines Artgenossen, lernten sie schnell, die entsprechende Aktion auszuführen. Sie begreifen auch rasch, welches gute Helfer sind und wählen diese bevorzugt aus. Doch Schimpansenhilfe geht möglicherweise noch weiter. Tomasello beobachtete, wie diese Menschenaffen anderen den Zugang zu Essen ermöglichen, ohne dass sie selber davon profitieren.
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Menschenkinder spontane Helfer und auf Normen ausgerichtet Wenn aber Schimpansen Absichten verstehen, kooperativ sind und möglicherweise sogar helfen, wie unterscheiden sie sich dann von Menschen? Der Leipziger Wissenschaftler verwies in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen mit 18 Monate alten Kinder. Beobachteten diese einen Versuchsleiter, wie er Mühe hatte einen Schreibstift aufzulesen oder Bücher zu stapeln, dann halfen sie spontan. 3 bis 5 jährige von Menschen aufgezogene Schimpansen halfen nur beim Auflesen. Exklusiv für Menschenkinder ist auch, dass sie eine suchende Person auf einen gesuchten Gegenstand wie ein Heftgerät hinweisen. Zudem verlangen Menschenkinder einen normierten Ablauf. Haben sie mitverfolgt, dass man einen Gegenstand mit einem Schieber von einer Platte entfernt, sind sie irritiert, wenn die Aktion danach anders durchgeführt wird. Auch im Gegensatz zu Schimpansen wollen sie einen menschlichen Partner in sozialen Spielen wieder engagieren, wenn dieser damit aufhört. Insgesamt weisen die Versuche darauf hin, dass Schimpansen bedeutende soziale und kooperative Fähigkeiten besitzen, die sich aber trotzdem qualitativ von denen der Menschen unterscheidet. Dass dabei die kulturelle Weitergabe den Unterschied verstärkt, scheint für Tomasello klar zu sein. Doch einen Grund, wieso der Mensch schon fast irritierend sozial wurde, konnte auch der Fachmann nicht anführen. |
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