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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.08.2001 06:00

Teil 2 des Berichtes über den ESA-Parabelflug
"Plötzlich schwebte ich zur Decke"

Vier ETH-Studenten absolvieren bei der ESA einen Schwerelosigkeitsflug: "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mit dem Kopf nach unten auf der Decke eines Flugzeuges umherzugehen."

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Den erste Teil der Reportage finden Sie unter: Vier ETH-Studis schwerelos

Das Schwerelos-Video im Real-Format für externen Player

"Bei Feuer an Bord ziehen Sie sich die kompakten Sauerstoffmasken über", meint der Sicherheitsinstruktor und weiter: "Wenn Sie dann einen etwas fremden Geschmack feststellen, dann kommt das von der Sauerstoffflasche und ist ganz normal. Wenn es aber immer noch nach Rauch riecht, dann legen Sie ihre Maske wieder ab, denn dann brennt Ihre Maske schon." Eine nicht ganz alltägliche Sicherheitsunterweisung erhalten die vier ETH-Studenten für den Parabelflug der Europäischen Weltraumorganisation ESA auf dem Flughafengelände in Bordeaux.

Die Sicherheitsexperten demonstrieren den Gebrauch der Gasmasken.
Die Sicherheitsexperten demonstrieren den Gebrauch der Gasmasken. gross

Aber auch der Captain ist kein gewöhnlicher Linienpilot. Am Steuer des Airbus 300 wird Gilles Le Barzic Platz nehmen, seines Zeichens ehemaliger Kampfpilot der französischen Luftwaffe und seit 1982 Testpilot. Den Testpiloten sieht man ihm auch an. Nicht mit Mütze und goldverziertem Anzug, sondern im Astronautenoverall tritt er vor die 120 Studenten aus elf europäischen Ländern. "Nein, Linienpilot wollte ich nie werden", meint er, "die fliegen in ihrem ganzen Leben vielleicht fünf oder sechs Flugzeugtypen, ich hatte hingegen die Möglichkeit, schon über 110 verschiedenen Flugzeugtypen testen zu können."

Zero-g von aussen
Das Zero-G Flugzeug steigt mit einem Winkel von 47 Grad. (Bild: ESA) gross

20 Sekunden wie im All

Die vier Erstjahrstudenten der ETH sind nach dem positiven Projektentscheid nach Bordeaux gereist, haben zusammen mit den anderen Studenten in einem Studentenheim Unterkunft gefunden und sitzen nun im Security-Briefing. Der Captain geht anschliessend auf die Einzelheiten des Parabelfluges ein, der 30 einzelne Parabeln umfasst. Während einer Parabel ist im Bauch des Flugzeuges ein schwereloser Zustand von rund 20 Sekunden möglich. Den Flug kann man mit dem Stein vergleichen, der aus einer Steinschleuder abgeschossen wird. Sobald der Stein die Steinschleuder verlässt, fliegt er - im luftleeren Raum - auf einer Parabel. Befände man sich im Innern des Steins, so würde man sich bis zum Aufprall am Boden in einem Schwerelosigkeitszustand befinden, da die Umgebung (der Stein) genau so schnell steigt oder - nach dem Scheitelpunkt - fällt wie die Person im Innern. Auf diese Person wirken demnach keinerlei Kräfte von der Umgebung - sie schwebt. Flöge das Flugzeug in luftleerem Raum, so müsste der Pilot das Flugzeug lediglich in eine aufsteigende Position bringen und könnte dann die Motoren auf Null stellen und sich dann zurücklehnen; das Flugzeug flöge eine perfekte Parabel. Da sein Flugzeug aber durch den Luftwiderstand gebremst wird, muss er diesen mit zusätzlichem Schub ausgleichen und die Maschine auf der idealen Parabel halten. Gar keine einfache Aufgabe, die von den fünf Cockpitinsassen höchste Anstrengung verlangt.

Captain Gilles Le Barzic am Spezialsteuer des Zero-G-Flugzeuges.
Captain Gilles Le Barzic am Spezialsteuer des Zero-G-Flugzeuges. gross

Kniebeugen einmal ganz anders

Anders als bei der Steinschleuder ist beim Flugzeug hingegen die Einleitungs- und Ausleitphase vor und nach der Parabel. Das Flugzeug soll ja nach der Parabel nicht einfach zu Boden stürzen. Zuerst wird auf einer Höhe von rund 20'000 ft (ca. 6'100 m) geradeaus geflogen. In dieser Phase spüren die Personen im Innern eine Beschleunigung von g=1 wie auf der Erde. Die nächste Phase ist die einleitende Steigphase, in der eine Beschleunigung von g=1.8 auf die Personen wirkt. Das bedeutet, dass sie sich 1.8 mal schwerer fühlen als auf der Erde. Eine wahre Freude ist es dann beispielsweise, Kniebeugen zu machen. Man ist sensationell schnell unten und relativ langsam wieder oben. In dieser Phase steigt das Verkehrsflugzeug bis zu einem Winkel von 47 Grad (vgl. Bild, das keine Fotomontage ist). Bei dem A300 handelt es sich um ein normales Verkehrsflugzeug, bei dem laut dem Piloten lediglich der Stromgenerator modifiziert werden musste.


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Die vier ETH Studenten vor dem Zero-G-Flugzeug.
Die vier ETH Studenten vor dem Zero-G-Flugzeug. gross

"Beim Aufruf 'Injection' werden Sie schwerelos"

Wenn dann aus dem Lautsprecher die Ankündigung "Injection" ertönt, geht es nur noch Sekundenbruchteile, und alles im Bauch des Flugzeuges wird schwerelos (g=0). Das Flugzeug fliegt nun auf einer idealen, nach unten geöffneten Parabel. Der Scheitel als höchster Punkt liegt bei rund 28'000 Fuss (ca. 8'500 m). Erreicht das Flugzeug die Höchstgeschwindigkeit, so muss es die Parabel ausleiten. Nach mehreren Vorankündigungen ertönt die Durchsage "Pull out" und die Personen kehren vom schwerelosen Zustand in einen mit einer Beschleunigung von g=1.8 zurück. Die Vorankündigungen sind bitter nötig, denn sie erlauben es den Personen noch während des schwerelosen Zustandes auf den Boden des Flugzeuges zurückzuschweben. Würden sie an der Decke verbleiben, so würden sie bei "Pull out" unsanft zu Boden stürzen.

Mit dem ganzen Fachwissen besteigen nun die vier ETH-Studenten das Spezialflugzeug, von dessen Art es laut Le Barzic nur gerade drei auf der Welt gibt. Das von der ESA eingesetzte ist davon das volumenmässig grösste. Aber das kümmert die Studenten jetzt wenig. Sie wollen endlich los. Das Flugzeug hebt ab und fliegt in ein speziell gesperrtes Gebiet über dem Meer zwischen Bordeaux und Brest. Der Steuercomputer für das Experiment ist gestartet und die Testeinheiten sind vorbereitet. Im letzten Moment erkennt der Laptop die Digitalkamera nicht mehr, die das Mischverhalten dokumentieren soll. Leichtes Fluchen und letzte Stossgebete. Was tun? Was man immer in solchen Fällen macht: Die Studenten starten den Computer neu. Sie haben gerade noch genug Zeit ihn vor der ersten Parabel kommunikationsfähig zu machen.

Všllig losgelšst ... Experiment unter erschwerten Bedingungen.
Völlig losgelöst ... Experiment unter erschwerten Bedingungen. gross

Jetzt geht es los: "Injection". Die Studenten werden schwerelos. Das erstemal halten sich alle an den gespannten Gurten fest und führen ihre Experimente durch. Bis auf eine funktionieren alle Testeinheiten, die von der Firma Fokker zu Verfügung gestellt wurden (Experiment vgl. Bericht Vier ETH-Studis schwerelos). Früher als geplant sind die Studenten fertig. Nun können sie die Schwerelosigkeit voll geniessen. Dazu steht im hinteren Teil des Flugzeuges ein separater Raum zu Verfügung, in dem man unter Aufsicht von zwei Flughelfern Purzelbäume schlagen kann oder zur Decke segeln kann. Gerd: "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mit dem Kopf nach unten auf der Decke eines Flugzeuges umherzugehen. Das erste Mal schwebte ich plötzlich zur Decke." Vlada: "Das Beste ist der Moment, wenn man plötzlich schwerelos wird. An diesen Moment erinnert sich der Körper und man kann ihn auch am nächsten Tag am Boden nochmals erleben."

Wenn dem Journalisten der Interviewpartner einfach wegschwebt.
Wenn dem Journalisten der Interviewpartner einfach wegschwebt. gross

Viel zu schnell gehen die 30 Parabeln vorbei. Das Zero-G-Flugzeug kehrt zum Flughafen in Bordeaux zurück. Dank starken Medikamenten ist kaum einer Studentin oder einem Studenten schlecht geworden. Haben sich die vielen Stunden geopferte Freizeit für die total kanpp 15 Minuten Schwerelosigkeit gelohnt? "Auf jeden Fall, ich würde es sofort wieder tun", meint Vlada ohne nachzudenken. Kein Wunder, dass er schon wieder an einem Folgeprojekt arbeitet. Trotz drohendem Vordiplom. Viel Glück für beides!

120 Studenten aus 11 LŠndern: "die Schwerelosigkeit ist einmalig"
120 Studenten aus 11 Ländern: gross


Das Experiment - die Auswertung

Die Auswertung des Experimentes ist zur Zeit noch im Gange. Erste Ergebnisse konnten aber schon gewonnen werden. Marianne Cogoli von der Gruppe Weltraumbiologie der ETH Zürich: "Das Studentenexperiment hat bestätigt, dass die Aktivierungssubstanz mit der Zelle in kurzer Zeit gemischt werden kann."



Mischverhalten von zwei
Flźssigkeiten gleicher Dichte in der Experimentiereinheit LIDIA in
Schwerelosigkeit.
Mischverhalten von zwei Flüssigkeiten gleicher Dichte in der Experimentiereinheit LIDIA in Schwerelosigkeit. gross


Literaturhinweise:
Die Internetseite der ESA für Studenten: www.estec.esa.nl/outreach>
Die Gruppe Weltraumbiologie der ETH Zürich: www.spacebiol.ethz.ch/
Auch die Sendung MTW wird über den Parabelflug berichten: www.sfdrs.ch/sendungen/mtw



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