ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
Print-Version Drucken
Publiziert: 02.05.2002 06:00

Collegiums-Gast Walter Grond über das Schreiben im Netz
"Eine besondere Ermächtigung"

Er setzt sich als Essayist und Romancier schon seit Jahren mit den durch die Neuen Medien eröffneten Räumen auseinander. Der österreichische Autor und literarische Gast Walter Grond scheint prädestiniert, das seit einigen Wochen laufende Experimentalforum "Schreiben am Netz" des Collegium Helveticum kommentierend zu begleiten - er tut dies mit an Erschöpfung grenzendem Engagement.

Das Interview führte Norbert Staub

Herr Grond, Ihr Chronisten-Dasein für das virtuelle Forum „Schreiben am Netz“ des Collegium Helveticum beschäftigt Sie intensiv.(1) Anlässlich Ihrer kürzlich gehaltenen Antrittsvorlesung als künstlerischer Gast machten Sie kein Hehl aus der Müdigkeit, die Sie dabei regelmässig befällt. - Erschöpft einen das Netz mehr, als das es die erhoffte Erleichterung bringt?

Walter Grond: Wenigstens für Halb-Amateure wie mich trifft das zu. Autoren wie Susanne Berkenheger, die ein unglaublicher Profi im Umgang mit diesem Medium ist, gehen wesentlich ökonomischer damit um. Die Verbindung von Intellektualität und Chat führt zu vollkommener körperlicher Erschöpfung – das sagen mir übrigens alle Teilnehmer.

Woran liegt das?

Daran, dass man sich beim Versuch, die Offline-Kommunikation in den Netztext zu übertragen, übernimmt. Die sechs Salon-Abende sind ja im Grunde ein Event, das im Kopf abläuft und darum im Protokoll auch nicht wirklich nachzuvollziehen. Schauen Sie: Ich bin wegen technischer Probleme in meinem Haus am Üetliberg nicht wirklich online. Anfänglich war ich darüber ganz verzweifelt - inzwischen geht’s mir wieder sehr gut. Junge Leute hingegen, die eigentlichen Netzbewohner, gehen mit diesem Stress der permanenten Erreichbarkeit von vornherein kühler um als unsereins.

Heisst das: was als Text im Netz steht, macht das eigentliche Ereignis nicht aus? - Man muss also "live" dabei sein?

Genau. Die Wörter im Netz sind nur Stichwörter für das, was zwischen den Köpfen passiert. Am Anfang gab es nur den akademischen Widerstand gegen die Flapsigkeit der verwendeten Sprache. Das hat sich geändert: Einige der Teilnehmer sind erst durch das Forum an das Internet herangeführt worden.


Zur Person

Der Romancier und Essayist Walter Grond, geboren 1957, lebt im österrreichischen Aggsbach Dorf/Wachau. Zuletzt erschienen alle Bücher bei Haymon: Der Erzähler und der Cyberspace. Essays (1999), Old Danube House. Roman (2000), Vom neuen Erzählen - Gipfelstürmer und Flachlandgeher. Essays, Gespräche, E-Mail-Dialoge (2001). im Spätsommer 2002 erscheint sein neuer Roman "Almasy".

Eines von Gronds wichtigsten Themen ist das Erzählen in einer Zeit virtueller Räume und vernetzter Kulturen. Als „Autor, Kulturorganisator, Cybernaut und Initiant des Internetprojektes [house]“ (NZZ online) ist er von März bis Juni dieses Jahres literarischer Gast am Collegium Helveticum der ETH Zürich und Chronist des Salons „Schreiben am Netz“.



Ganz banal, und nach Ihren nun intensiven Erfahrungen mit alten und neuen Medien: Worin unterscheidet sich das Schreiben am Netz vom Schreiben für Gedrucktes?

Zunächst habe ich jetzt erfahren, dass man von dem Internet nicht reden kann. Das tun mit Absicht zwar die Industrie und eine bestimmte Form von Grosstheorie. Für mich ist das Netz das, was ein bestimmtes Interesse daran formuliert; es ist ein Medienverbund mit verschiedensten Kanälen, Textsorten, Formaten. - Und bis jetzt noch so frei, dass es zu dem wird, was der User daraus macht. Bücher schreiben ist schon wesentlich restriktiver an Regeln und Traditionen gebunden. Zweitens glaube ich, dass Texte im Netz im Unterschied zu andern eher ein soziales Band stiften.

Bei der Diskussion um die Vor- und Nachteile von Netztexten wird schnell das Thema Hoch- kontra Trivialkultur in die Waagschale geworfen. Sie selbst haben sich auch schon dazu geäussert. Woran liegt es, dass diese Debatte so schnell fundamental wird?

Man kann nicht sagen, die eine Sphäre ist gut, die andere schlecht. Das Abgrenzen von „hoher“ und „niederer“ Kunst ist ohnehin eine Erfindung der Moderne. Aber den Einfluss des Netzes auf den allgemeinen Bildungskanon gibt es.


weitermehr

walter grond
Chronist und Kommentator der virtuellen Debatte über das Schreiben am Netz: Der österreichische Schriftsteller Walter Grond.

Er liegt darin, dass der Leser im Internet eine besondere Ermächtigung erfährt. Plötzlich hat er ein Werkzeug, in dem er so frei ist wie nie zuvor in der Bibliothekswelt. Er partizipiert, ist nicht mehr so gefangen in den Hierarchien von Expertengesellschaften. Das verändert das Schreiben. Das Romanschreiben wird dabei nicht neu erfunden, aber die Wertmassstäbe für einen guten Roman ändern sich mit den neuen Bedingungen, die hereinspielen: neue Leser, Vielsprachigkeit, Interkulturalität.

Welche Schlüsse ziehen Sie nach der Hälfte der virtuellen Collegiums-Veranstaltung daraus?

Ich glaube, es ist Zeit, wesentlich gelassener über das Medium nachzudenken. Die Zeit, wo Autoren das Internet als Fundamentalangriff auf den Geist aburteilten, scheint vorbei. Wie das Buch vor 500 Jahren stellt das Internet etwas dar, womit man seine Erfahrungen machen muss. Das Sensationelle daran verschleift sich mit der Zeit. Diese Diskussion wird weitergehen, aber nicht auf der Basis eines Gegensatzes „Buch oder Netz“.

Sie stehen dem Netz offen gegenüber. Was sagen Sie den Kritikern, die darauf beharren, dass das Internet ausser mehr Unübersichtlichkeit und einem Verlust an Qualität und Tiefe nichts Neues hervorgebracht hat?

Dem Verlust steht auch ein Gewinn gegenüber: allein das enorm schnelle Synthetisieren von Texten und Bildern ist ein solcher Gewinn. Zudem sehe ich nicht, dass das Internet ein absolutistisches Medium sein soll. Die Kritik sollte zur Kenntnis nehmen, dass sie hier nicht a priori dem grossen Überwachungsstaat gegenübersteht, sondern dass vielleicht mehr als in anderen Medien die eigenen Interessen formuliert werden können. Überhaupt ist Arroganz nicht angebracht: unter den jährlich 80'000 Neuerscheinungen im Buchmarkt ist nur wenig, das das Label „Spitzenqualität“ verdient. Und manche Grossleistung der modernen Literatur berührt die Grenze zu den Neuen Medien, etwa die Texte von James Joyce.

Hin zur Gebrauchs-„Literatur“, und diese Frage stelle ich als Vertreter einer Webzeitung natürlich mit besonderem Interesse: Wie sehen Sie die Zukunft der Zeitung?

Na ja, die alten Medien scheinen die neuen derzeit eher wieder zu verdrängen. Ich glaube, die Stärke der Neuen Medien liegt in ihrem Potential zur Interaktivität. Ein vielleicht zukunftsweisendes Beispiel ist die wachsende Zahl von Content liefernden Agenturen, die als Newsgroups organisiert sind. Auf die dort eintreffenden Nachrichten wird von den Teilnehmern sofort reagiert, und die Nachricht verändert sich dem entsprechend laufend. Darin sehe ich eine Chance für die Neuen Medien. Auf der anderen Seite nehme ich wachsenden Unmut darüber wahr, wie liederlich von gewissen traditionellen Medien inzwischen mit Fakten umgegangen und der Konsument regelrecht für dumm verkauft wird.

Das Internet bringt einerseits nie dagewesene Zugangsmöglichkeiten zu Content verschiedenster Art, birgt andererseits aber auch die Gefahr der Besetzung von geistigem Eigentum durch eine nicht näher definierte „Netzgemeinde“. – Wie sollen Künstler und Wissenschaftler mit diesem Problem umgehen?

Sie stecken hier in einer vergleichbaren Lage. Sampeln wird zum Standard, und damit wird ein soziales Recht, das sich Künstler und Intellektuelle im 20. Jahrhundert erkämpft haben, in Frage gestellt. Überlagert wird diese Diskussion von einer zweiten, nämlich jener um die freie Meinungsäusserung. Eine Tendenz, die man heute fürchten muss ist, dass grosse Konzerne, wenn sie rechtlich nicht mehr Einfluss nehmen können, geistiges Eigentum aufkaufen, und zwar kaltblütig über den Zugriff auf den Code. Ich erinnere nur an den Fall „Napster“. Wenn nicht nur Geräte und Software, sondern auch die Inhalte durch Konzerne lizenziert werden, sieht es für den Nutzer düster aus. Ich verwahre mich aber gegen apokalyptische Szenarien. Die Öffentlichkeit muss und wird neue Wege der Mitsprache finden. Die Idee einer Public Domain, die jede künstlerische und intellektuelle Leistung auf dem Netz schützt, ist ein spannender erster Schritt.


Literaturhinweise:
Weitere Informationen zu "Schreiben am Netz":www.collegium.ethz.ch/schreiben-am-netz/
ETH-Life-Artikel zu diesem Forum: www.ethlife.ethz.ch/tages/

Fussnoten:
(1) Gronds laufende Chronik ist als Dossier nachzulesen bei NZZ online: http://www.nzz.ch/dossiers/2002/schreiben-am-netz



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!