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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 07.05.2003 06:00


Trau keinem Wissenschaftler!

Von Barbara Orland

„Es ist nicht nur dumm, sondern auch unverantwortlich, das Urteil von Wissenschaftlern und Ärzten ohne jede weitere Untersuchung zu akzeptieren.“ Paul Feyerabend hegte eine tiefe Skepsis gegenüber dem Fremd- und Selbstbild der Wissenschaften, demzufolge die Objektivität wissenschaftlichen Wissens auf der strikten Verwendung bestimmter Regeln der Wissenschaftsausübung beruht. Fachleute seien voll von Vorurteilen, man könne ihnen nicht trauen und müsse deshalb ihre Empfehlungen genau untersuchen. Laiengremien, so forderte er, sollten die Verwendung von Forschungsgeldern oder die Einhaltung ethischer Regeln überwachen. Auch sollten sie - und nicht die Experten - definieren, was als wissenschaftliches Wissen Allgemeingültigkeit beanspruchen könne, ganz gleich, ob es sich dabei um die biologischen Evolutionstheorien oder die Anwendung der Kernenergie für Zwecke der Energieerzeugung handelt.

Was Feyerabend Ende der 1970er Jahre noch als schwerer Mangel erschien, ist uns heute selbstverständlich. Kernenergiedebatte, Umweltbewegung oder bioethische Kontroversen haben wissenschaftlicher Expertise, Objektivität und politischer Gestaltungsmacht der Wissenschaften den Nimbus der Unanfechtbarkeit genommen. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit ist nicht mehr bereit, jeden Fortschritt der Wissenschaften unwidersprochen zu akzeptieren. Hat diese Entwicklung den wissenschaftlichen Fortschritt aufgehalten? Hat er eine andere Richtung erhalten, seit das Schweizer Stimmvolk über fortpflanzungsmedizinische Fragen abstimmt, allerorten Ethikkommissionen eingesetzt werden und Freisetzungsversuche einen politischen Abstimmungsprozess durchlaufen müssen? Meine Antwort ist ein klares Nein.

Feyerabend hat die Regelmacht der politischen Öffentlichkeit überschätzt. Die Wissenschaften entscheiden immer noch selbst, wo die Forschung lang geht. Öffentliche Diskussion findet in der Regel nur über die Resultate der Forschung statt, nicht aber über Richtung oder Methoden der Forschung. Das merkt man daran, dass Wissenschaftler besonders laut klagen, wenn tatsächlich einmal externe Einflussnahme geplante Forschung unterbindet. Doch das kommt selten vor. Es ist mir nicht bekannt, dass in der Akquisition von Forschungsgeldern Laiengremien Fachgutachtern zur Seite stünden. Ex-post-Bewertungen von Forschungsergebnissen aber unterstreichen den Eindruck, bei der ständig postulierten Beziehungskrise von „Wissenschaft“ und „Öffentlichkeit“ handele es sich um ein Bildungsproblem der Laienöffentlichkeit, respektive um ein Vermittlungsproblem der Experten. Schön, dass zu man wissen glaubt, wo die Einfältigen und wo die Erleuchteten stehen. Ich bezweifle jedoch, dass wir mit PISA-Studien und „Science et Cité“-Projekten das Problem lösen, von dem wir eigentlich gar nicht genau wissen, worin es besteht.


Zur Person

Sie betreibe die Geschichte der Technik als "historische Konfliktforschung", sagt Barbara Orland, seit 1999 Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte. Zuvor lehrte und forschte sie vor allem an der TU Berlin und der Ruhr-Universität Bochum sowie am Deutschen Museum München. Zur Technikgeschichte kam sie über ihre Doktorarbeit zur Sozial- und Technikgeschichte der Wäscherei seit dem 18. Jahrhundert. So weit gefasst ihre Interessen sind: sie kreisen alle um das Thema "Technisierung des Privaten durch Medizin- und Biowissenschaften". - Was macht die Technik denn so konfliktträchtig? Neue Technologien bringen oft das Werte- und Wahrnehmungsgefüge ins Wanken, sagt Barbara Orland - man nehme bloss die heutige Stammzell- und Klondiskussion mit ihren unabsehbaren Weiterungen.




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Barbara Orland, Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte

In einem Punkt hat Feyerabend recht. Es ist ein Trugschluss, das Verhältnis von "Wissenschaft" und "Öffentlichkeit" als eine Asymmetrie des Wissens und der Wissenden zu charakterisieren. Zweifellos wird der Wissenszuwachs nur unter spezifischen Voraussetzungen erzielt, zu der die Öffentlichkeit in der Regel keinen Zugang hat. Ausserdem kann der Beobachtung, die Sprache der Insider sei für Aussenseiter nicht nachvollziehbar, kaum widersprochen werden. Doch kann sich deshalb ein Wissenschaftler gleich welchen Faches und Ranges auf der Seite der Wissenden wähnen? Die modernen Wissenschaften haben so viele Disziplinen ausdifferenziert und dabei schier unendliche Wissensbestände akkumuliert, dass wir in einer Gesellschaft aus lauter Expertenlaien bzw. Laienexperten leben. Bereits 1862 hielt es Hermann von Helmholtz für unmöglich, dass ein einzelner Mensch mehr als einen kleinen Ausschnitt des verfügbaren Wissens überblicken könne. Schon damals benötigte die Mehrzahl der Experten knappe allgemeinverständliche Darstellungen, um über die Entwicklungen selbst auf ihrem eigentlichen Fachgebiet auf dem Laufenden zu bleiben.

Vereinfachungen, Straffung und Übersetzung in eine allgemeinverständliche Sprache aber scheinen die Gefahr von Verfälschung oder gar Vulgarisierung eines Wissensgebietes zu bergen. Ein jeder Spezialist wird von seinem Arbeitsgebiet behaupten, dass es nur in den feinsten Verästelungen wirklich durchdrungen werden kann, und er wird weiter darauf bestehen, dass dies ohne Fachterminologie unmöglich sei. Dummerweise nur entscheidet gerade die Qualität der Veranschaulichung bzw. Vereinfachung darüber, ob und wie eine Erkenntnis zum Allgemeingut wird. Die Umgangs- oder Alltagssprache ist nicht jene unpräzise, zu allgemeine und wertende Sprache, die in einer Welt der Präzision nichts zu suchen hat. Sie ist die einzige Sprache, die für die disziplinenübergreifende, allgemeine Verständigung zur Verfügung steht. Historisch ist es ein Faktum, dass „Gesellschaft“, „Öffentlichkeit“ oder „Laien“ bei der Durchsetzung neuer Erkenntnisse und Technologien immer schon eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Nur tun sie es anders, als Feyerabend es sich wünschte, und „Public Understanding of Science“-Projekte es in Szene setzen. Heutzutage ist es völlig undenkbar, die Wissenschaftsentwicklung losgelöst von ihren wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kontexten zu denken. Der Erfolg moderner Wissenschaft und Forschung bemisst sich nur daran, inwieweit Erkenntnisse und Produkte wissenschaftlichen Schaffens in die Gesellschaft diffundieren. Alle Modelle, die den Kommunikationsprozess zwischen "Wissenschaft" und "Öffentlichkeit" als einen linear und einseitig gerichteten Prozess abbilden, greifen deshalb nicht. Vielmehr stehen Wissenschaft und Technik heute für komplexe gesellschaftliche Lern- und Aushandlungsprozesse, die auf „Märkten“ der unterschiedlichsten Art stattfinden, bei der politischen Willensbildung ebenso wie auf dem Konsumgütermarkt oder im Leistungskatalog der Krankenversicherungen.




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