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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 22.09.2004 06:00

Wildnis

Von Christoph Küffer

„Halten sie dem Alligator die Augen zu. Das macht ihn für gewöhnlich ruhiger.“ Dann „klopfen Sie ihm auf die Schnauze, damit er seine Beute loslässt“. Wäre „Das Survival-Buch. Überleben in Extremsituationen“ bereits im 16. Jahrhundert erschienen, wären die Seychellen womöglich früher besiedelt worden. Die Krokodile, welche die Küsten bewohnten, halfen mit, frühe Siedler abzuhalten. Die Seychellen galten als wilde und gefährliche Inseln. Erst seit dem 18. Jahrhundert wurden durch Kultivierung die Mangroven trockengelegt, die Krokodile ausgerottet, und die undurchdringlichen Tiefland-Regenwälder abgeholzt. Nun können den Touristen mit dem Slogan „as pure as it gets“, Ferien im unberührten Paradies verkauft werden. Die abgeschiedene Insel-Natur lässt das unübersichtliche Alltagsleben vergessen.

Wildnis bezeichnete ursprünglich die der Kontrolle des Menschen entzogene Erde. Das nicht kultivierte Land. Unberührte Natur. Einst war Wildnis mit Gefahren verbunden.

Fluoreszierende, transgene GloFischefürs Aquarium (courtesy of: glofish.com).

Der Wald zwischen den Dörfern und Städten, welcher mit Wegelagerern und gefährlichen Tieren aufwartete. Heute wird „Natur pur“ mit Harmonie und Verlässlichkeit assoziiert. Der Slogan „Zuflucht Wildnis“ wirbt auf Ferienprospekten für Erholung in der Natur. Die weiten, verlassenen Wälder der Taiga sollen als Kohlenstoff-Speicher das aus dem Gleichgewicht geratene Klimasystem stabilisieren. In der Invasionsbiologie werden vom Menschen in eine neue Gegend eingeführte Kulturpflanzen, so genannte exotische, invasive Arten, als problematisch bewertet. Die wilden, einheimischen Arten gelten als schützenswert.

Der streng geometrisch und linear angeordnete Schlossgarten von Louis XIV in Versailles drückte den Wunsch nach Kontrolle über Wildnis aus. Der Designer des Gartens André Le Nôtre plante diesen nach dem Prinzip ‚forcer la nature’. In England wurden zur selben Zeit Landschaftsgärten in geschwungenen Linien angelegt.

Den englischen Planern lag es näher, Gärten im Einklang mit der gegebenen Landschaft zu gestalten. Alexander Pope, ein Dichter der englischen Aufklärung, hat dies so formuliert: „To build, to plant, whatever you intend (…) / In all, let Nature never be forgot / Consult the Genius of the Place in all / That tells the waters or to rise, or fall....“.


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Das Renaturierungsprojekt Le Petrin in Mauritius. Das Bild zeigt rechts ein Gebiet, das von exotischen Pflanzen befreit wurde und nun zu 100% aus einheimischen Arten besteht. Der Zaun schützt das Gebiet vor exotischen Affen. Links der „ursprüngliche“ exotische Wald (Foto Eva Schumacher). gross

In der Renaturierungsökologie, der Naturgärtnerei von heute, lebt die Spannung zwischen dem ‚forcer la nature’ und dem ‚consult the genius of place’ fort. Einige Vertreter fordern, jeweils eine ursprüngliche, wilde Natur wieder herzustellen, wie sie historisch in einem Gebiet vorzufinden war. Andere geben Wildnis als Bezugspunkt auf, und sehen Renaturierung als Landschafts-Neugestaltung.

Zu Verwirrung führt, dass Wildnis in der Ökologie als Modell für das Funktionieren von Ökosystemen dient, während sie bei der Umsetzung ein normatives Vorbild ist. Ein kürzlich publizierter Klärungsversuch nennt sich „wild design“: Der Mensch ist Natur-Gestalter nach seiner Fantasie – im Rahmen der ‚natürlichen’ Möglichkeiten.

Statt im engen Sinn als unberührte Natur, verstehe ich Wildnis als das Unbekannte und Unkontrollierte. Auch so verstandene Wildnis wird ständig kultiviert und verschwindet. Ob Trekking-Tourismus mit High-Tech-Ausrüstung, im weichen Sofa konsumierte Naturfilme, oder für Pharmakonzerne gesammeltes Pflanzenmaterial. Jedes Mal wird Wildnis angeeignet und gezähmt. Parallel entsteht Wildnis neu. Der GloFish™, ein genmanipulierter Zebrafisch fürs Aquarium, der dank Korallengenen nachts fluoresziert, verspricht neue Wildnis. Die Künstlerin Laura Cinti sagt von ihren transgenen Kaktussen mit Menschenhaaren: „I’d like to set one free“. Ich freue mich, bei meiner nächsten Wanderung einem Streichel-Kaktus zu begegnen. Hoffentlich werden sie nicht invasiv. Wildnis ist Freiheit und Gefahr. „Like a true nature’s child, we were born, born to be wild.“ (Steppenwolf, 1968)




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