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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 07.09.2005 06:00

Sonnenflecken

Von Gerd Folkers

Mein Nachbar Hans Bühler, meisterhafter Funk”amateur”, schätzt Sonnenflecken ausserordentlich. Besonders ihre Zählung. Er hat noch bei Waldmeier Vorlesung gehört und hält mich auf dem Laufenden. Und es freut ihn sehr, dass ich jetzt meinen Arbeitsplatz in der ehemaligen Eidgenössischen Sternwarte Zürich habe. Doch von Beginn: die Rede ist von einer Position Zürichs auf der Weltkarte, die nur Eingeweihten bekannt ist und die offiziell mit der Einstellung der Sonnenfleckenbeobachtung im April 1980 endete, aber in der Erinnerung der Funker nicht auszulöschen ist.

"Although sunspots have been observed in fairly regular fashion since the seventeenth century, highly accurate records have been only kept for the last hundred years or so. Since that time the Federal Observatory at Zürich, Switzerland, has acted as a clearing house, gathering and recording sunspot data sent from all over the world. A uniform method of countig sunspots has been devised. (...) The number thus derived is called the Wolf number...." berichtet Stanley Leinwoll 1959 in Band 231 von Shortwave Propagation.

Der Einfluss der Sonnenaktivitäten, gemessen an den Sonnenflecken, auf die Ionosphäre ermöglicht den Funkern ungeahnte Reichweiten und ungeahnte Störungen. Jede Form von Vorhersage erleichtert die Arbeit und erhöht das Vergnügen. (Das wiederum lässt sich auch für andere Arbeitsbereiche sagen.)

Setting the stage: Die Eidgenössische Sternwarte, parallel zum Hauptgebäude erbaut von Gottfried Semper, wurde in einem Weinberg, den Spitalreben im Schmelzberg, platziert. Der Zürcher Astronom Rudolf Wolf, Initiant und erster Hausherr, hatte gerade die Sonnenfleckenrelativzahl eingeführt. Der „alte Wolf“ soll morgens von der Beletage, in der er wohnte, im Schlafrock eine halbe Wendel des Turms herabgestiegen sein, um durch ein kleines Fensterchen, gleich einem lothringischen Wasistdas (1), in die Halle zu linsen. Befriedigte ihn das Aufgebot der Studierenden nicht, kehrte er zu Gipfeli und Schale zurück. (Se non è vero...). Max Waldmeier war der letzte Direktor der Eidgenössischen Sternwarte. Berühmt für seine Klassifikation der Sonnenflecken, war er Professor für Astronomie an beiden Zürcher Hochschulen.

Historie verpflichtet. Camartin, Elkana, Muschg und Nowotny, auch als „Viererbande“ tituliert, setzten die Sempersternwarte als Collegium Helveticum gegen manchen Widerstand wiederum auf eine andere Weltkarte. Jetzt sind wir eine „Neunerbande“. Sechs Fellows, je drei von jeder Zürcher Hochschule, zwei Fellows aus der Industrie und ich, wir widmen uns seit Oktober 2004 einem gemeinsamen Forschungsthema. Den Emotionen. Sinnreicherweise erscheinen uns Sonnenflecken schwarz, ohne dass sie es wirklich sind. Allein ihre Existenz hätte Aristoteles sehr enttäuscht, der von der Reinheit der Gestirne sprach. Mit diesem Argument wurden sehr frühe Sonnenfleckenbeobachtungen bis in die Renaissance schlicht übergangen.


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Chemieprofessor, Leiter des Collegium Helveticum und derzeit "ETH Life"-Kolumnist: Gerd Folkers.

Passender kann ein Ort für die Erforschung der Rolle von Emotionen und ihre Bedeutung für unser Handeln kaum gewählt sein. Die Arbeit in der Sternwarte wird wieder von beiden Hochschulen getragen. Universität Zürich und ETH Zürich führen das Collegium Helveticum als gemeinsame Einrichtung (www.collegium.ethz.ch). Zwei Gravitationszentren bestimmen somit meine Bahn und ich neige dazu, die Sonnenfleckenbeobachtung wieder aufzunehmen, um auf magnetische Stürme besser vorbereitet zu sein. Acht Tage nachdem die Sonnenflecken am östlichen Sonnenrand erscheinen, sagt man, wird deren Einfluss auf der Erde wirksam.

Radio DRS bemerkte zur Schliessung der Eidgenössischen Sternwarte 1980, dass „der Ausfall einer Beobachtungsstelle einen echten Verlust darstellt.“ Dem werden wir abhelfen. Einen „Fleck“ haben wir schon entdeckt und ein Zentrum dafür gegründet (2). Aber das ist eine andere Geschichte.


Zum Autor

„Design“ ist für Gerd Folkers, der sich als ETH-Professor für Pharmazeutische Chemie dem Modellieren von Arzneistoff-Molekülen widmet, weit mehr als Schönheit, Eleganz und Spannung. Sondern ein funktionales Element: Was schön ist, füllt sich leichter mit Sinn. Und Augenfälliges erschliesst sich besser dem Be-Greifen. Gerade in seiner Lehre hat Folkers immer wieder unter Beweis gestellt, wie wichtig ihm das ist. Er scheute zum Beispiel keinen Aufwand, um seinen Studierenden komplexes Wissen via E-Learning verfügbar zu machen – mit Vorliebe auch dreidimensional. Zur Science gehört also Fiction: Es überrascht nicht, dass Gerd Folkers immer Wissenschaftsdiskurse interessiert haben. Als Hausherr am Collegium Helveticum habe er heute das Privileg, an der Klärung jener Fragen mitarbeiten zu können, die über das Spezialwissen hinausgehen. In diesem „grossen Experiment“ von Uni und ETH Zürich sei es seine Aufgabe, an sich nicht zur Interaktion vorgesehene Gebiete - und Menschen - so aufeinander abzustimmen, dass sie eben doch miteinander reagieren; „die klassische Rolle des Katalysators eben“, sagt dazu der Chemiker. Unter dem Generalthema „Emotionen“ sollen am Collegium nun in den kommenden Jahren Brücken über Disziplinen-Gräben geschlagen und neues Terrain betreten werden.




Fussnoten:
(1) Im französisch-deutschen Grenzgebiet geläufige Umschreibung für "Klappfenster". Im folgenden eine von mehreren Ansätzen zur Wortgeschichte: Beim Einmarsch in Deutschland unter Napoleon fiel den französischen Soldaten auf, dass die Bürger in den Städten durch kleine Mansardenfenster schauten und beim Lärm des Einzugs verwundert riefen: "Was ist das?" Die Franzosen verbanden mit dieser Frage die ihnen offenbar nicht bekannten kleinen Dachfenster. Später bürgerte sich das in seiner Schreibweise leicht abgewandelte Wort "Vasistas" für "Guckfenster" ein.
(2) Vgl. dazu den "ETH Life"-Bericht: "Fleck-Zentrum" vom 9. Juni 2005: www.ethlife.ethz.ch/articles/flecknachlass.html



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