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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Die Freiheit, die ich meine? |
Von Gudela Grote Eine meiner Aufgaben bei meiner Diplomprüfung an der TU Berlin im Jahre 1984 war es, die Auswirkungen von Telearbeit zu analysieren. Das Ergebnis war, dass in Deutschland damals mehr Befürchtungen als Realitäten hinsichtlich dieser Arbeitsform vorhanden waren, aber immer darauf verwiesen wurde, in den USA sei diese Art des Arbeitens schon gang und gäbe. Als ich dann als Ph.D.-Studentin ein Jahr später in Atlanta dieser Annahme nachging, wurde mir vor allem von Beispielen berichtet, wo Telearbeit ausprobiert, aber aufgrund der dadurch entstehenden Führungsprobleme wieder eingestellt worden war. Wieder fünf Jahre später hatte ich in einer grossen Schweizer Verwaltung die Gelegenheit, die Einführung eines Intranet – damals hiess das noch Bürokommunikationssystem – zu begleiten. Dort gab es praktische Probleme zum Beispiel dadurch, dass viele Vorgesetzte nun mit diesem System arbeiten sollten, ohne je vorher mit einer Tastatur in Berührung gekommen zu sein. Es tauchte aber auch die grundsätzliche Frage auf, wie Mitarbeitende zu führen wären, die aufgrund ihrer direkten Vernetzung mit ihren wesentlichen Arbeitspartnern eigenständiger und ohne Einschaltung des Dienstwegs zu arbeiten begannen. Nicht zuletzt aufgrund des Unwohlseins vieler Mitglieder des Topmanagements angesichts dieser neuen Freiheiten wurde das Projekt nach drei Jahren Pilotphase gestoppt. Nun kann sich heute niemand mehr leisten, die Nutzung von e-mail zu unterbinden – wenn auch noch vor einigen Jahren während einem der Arbeitskämpfe bei Crossair im „Tages-Anzeiger“ zu lesen war, dass Moritz Suter die Nutzung von Verteilerlisten verboten hatte, um die Kampfstimmung nicht noch mehr anzuheizen.
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Zudem hat in den letzten zehn Jahren das Wort Vernetzung einen so verheissungsvollen Klang bekommen, dass vielerorts die Zukunft im verteilten Arbeiten in virtuellen Organisationen gesehen wird. Doch auch heute zeigt die Realität, dass Führungskräfte bei weitem nicht alle optimal mit der dadurch wachsenden Komplexität umgehen können, wie wir bei Managern aus 15 Unternehmen der IT-Branche feststellen konnten (Schlussbericht unter: www.tm.ifap.bepr.ethz.ch/). Sehr eigenständige Mitarbeitende bei hohem Innovations- und Kostendruck aus einer vor allem durch e-mail und Mobiltelefon überbrückten Distanz zu führen, ist nicht jedermanns Sache. Und dass Manager in sehr eigendynamischen Systemen, wie es virtuelle Organisationen sicher sind, eigentlich nur dadurch Kontrolle und Einfluss ausüben können, dass sie Kontrolle an Mitarbeitende ab- und ihr eigenes Kontrollbedürfnis aufgeben, nennen selbst die Managementforscher ein Paradox. Und aus Sicht der Mitarbeitenden: Hat sich Arbeits- und Lebensqualität erhöht, seit wir mit Computer und Mobiltelefon ausgerüstet im Bus, am Bahnsteig, im Restaurant und in der Warteschlange am Skilift arbeiten? Ist es ein positiv zu bewertendes Ergebnis, wenn Studierende zu allen Tages- und Nachtzeiten mit einer web-basierten Vorlesung in Corporate Finance beschäftigt sind, wie wir bei der Begleitung und Evaluation dieser Vorlesung anhand von logfile-Analysen feststellen konnten? Telearbeit ist heute weit verbreiteter als vor 20 Jahren. Der Traum, dadurch Arbeit wieder besser in andere Lebensbereiche räumlich und zeitlich integrieren zu können, hat sich nur für wenige Menschen verwirklicht. Auch die Hoffnung, dadurch Verkehrsprobleme zu lösen, wurde bisher nicht erfüllt. Stattdessen kämpfen wir um das bisschen Luxus, einmal eine Stunde mit keinem Kommunikationsmittel erreichbar zu sein. Und während ich am Sonntag zuhause diesen Text auf meinem mit der ETH vernetzten Laptop schreibe, frage ich mich doch, warum eigentlich der Mitarbeiter, dem ich vorhin ein e-mail mit einer dringenden Anfrage geschickt habe, immer noch nicht geantwortet hat. |
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