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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Wissenschaft am Rande Europas |
Von Jürg Martin Gabriel Im kommenden Frühjahr wird Malta Mitglied der Europäischen Union. Ein wichtiges Motiv für den Beitritt ist die Abkehr von einer langen und oft schmerzlichen Erfahrung mit Marginalität: Die Sprache der Maltesen ist semitisch, ihre Religion römisch-katholisch; die Häuser haben einen maurischen Einschlag, die Kirchen sind meist Barock. Historisch gesehen ist es schwer zu sagen, ob Malta eher zu Europa oder dem arabischen Raum gehört. Während Jahrhunderten war das Land ein christlicher Aussenposten im Kampf gegen die Ungläubigen, vorab gegen das Ottomanische Reich. Federführend waren die Ritter des Johanniter-Ordens, die "hospitalers", wie sie auch genannt wurden. Entstanden während der Kreuzzüge zum Schutz christlicher Pilger im Heiligen Land, wurden die "Knights of Saint John" im 16. Jahrhundert von Rhodos nach Malta verdrängt, und nur knapp überlebten sie 1565 die monatelange Belagerung Maltas durch die Türken. Auch später bekam Malta seine Insularität und Marginalität zu spüren. Im Zweiten Weltkrieg verhängten die faschistischen Mächte eine Blockade gegen diesen Aussenposten der Briten und bombardierten die Insel mit der gleichen Wucht wie Warschau, Rotterdam oder Coventry. 1964 erlangte Malta die Unabhängigkeit, doch eine dezidierte Anlehnung an Neutralisten wie Tito und Nasser führte einmal mehr in die Isolation und Marginalität. Solche Erfahrungen haben Spuren hinterlassen – auch an der Universität. Ihre Anfänge stecken im Christentum, in einer vom Vatikan beeinflussten Fakultät in Theologie. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass der Vorgänger des heutigen Rektors ein Geistlicher war. Der jetzige Rektor ist Mediziner, was Ausdruck ist einer zweiten, vom Malteser-Orden beeinflussten Tradition: Während Jahrhunderten unterhielten die Ritter das grösste Krankenhaus des Mittelmeers. Es versteht sich von selbst, dass die Lehre der Naturwissenschaften unter solchen Umständen auf die Medizin ausgerichtet und praxisorientiert ist.
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Für Grundlagenforschung fehlen Tradition und Mittel. Besser steht es mit der Telekommunikation und Informatik. Malta hat ein modernes Kommunikationsnetz, der Prozentsatz an Mobiltelefone und Computern liegt über dem europäischen Durchschnitt, und die Ausbildung von Informatikern lässt sich sehen. Das universitäre Computer Service Center ist in der Lage, einer Vielzahl von Bedürfnissen gerecht zu werden. Anders steht es mit den Umweltnaturwissenschaften. Das Bewusstsein für ökologische Probleme ist kaum vorhanden und Malta, wie jeder Besucher unschwer feststellen kann, geht einer ökologischen Katastrophe entgegen. Malta ist ein "lohnendes" Labor für ETH-Studierende, die eine interessante Diplomarbeit in Ökologie schreiben wollen. In den traditionallen Domänen wie Recht, öffentliche Verwaltung, Philologie und Geschichte ist der britische Einfluss unübersehbar. Ausdruck davon sind die Bestände der Bibliothek und der mit angelsächsischen Lehrbüchern reichhaltig dotierte "campus bookstore". Auch die Unterrichtssprache ist das Englische, doch ausserhalb der Vorlesungssäle wird praktisch nur Maltesisch gesprochen, was der Pflege des Englischen nicht gerade förderlich ist. Kommt dazu, dass die Sozialwissenschaften höchst uneinheitlich entwickelt sind. Gewisse Disziplinen, wie etwa die Pädagogik, sind gut ausgebaut. Andere, wie die Politikwissenschaft, sind praktisch inexistent. An vielen Fakultäten ist die Betreuung der Studierenden ungenügend, denn den 9’000 eingeschriebenen Studenten stehen viel zuwenig Professoren gegenüber. Die von der Schweiz geförderte Mediterranean Academy of Diplomatic Studies bildet diesbezüglich eine Ausnahme: Auf rund 40 M.A.-Studierende kommen vier vollamtliche Dozenten sowie einige Lehrbeauftragte. Das Fazit ist eindeutig: Die Randlage Maltas hat zur Entstehung einer Universität geführt, deren Angebot in vielen Bereichen einer deutlichen Verbesserung bedarf. Will die Universität vom bevorstehenden EU-Beitritt wirklich profitieren, so muss sie – in Kooperation mit starken Partnern – das "undergraduate" Angebot (auf B.A.-Stufe) einheitlicher entwickeln und die Graduiertenstufe (M.A. und Ph.D.) auf einige wenige, aber qualitativ überzeugende Schwerpunkte ausrichten. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist gefragt. |
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