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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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An der Weltmeisterschaft dabei |
Von Kurt R. Spillmann Der Jubel am Abend des 16. November war gross: „wir“ nehmen an den Weltmeisterschaften teil, „wir“ gehören zu den Besten, die Schweiz ist wieder ganz vorne dabei. Und weil der Freudentaumel so gross und der Anlass so bedeutungsvoll war, hob Stadträtin Esther Maurer, die Vorsteherin des Zürcher Polizeidepartementes, auch die Polizeistunde auf und gab – was nur äusserst selten der Fall ist - die Erlaubnis für eine tosende Freinacht. Die Fussballer der Schweizer Nationalmannschaft wurden als erfolgreiche Kämpfer, der bescheidene Trainer Köbi Kuhn – einst „provisorisch“ in sein Amt bestellt – als Nationalheld gefeiert. Die ganze Schweiz sonnte sich im Erfolg nach bestandenem Kampf, 1.5 Millionen Zuschauer verfolgten die Partie am Fernsehschirm. Und es war ein harter Kampf. Genau wie das Publikum ihn liebt: beide Mannschaften gingen ruppig zur Sache, schenkten sich nichts. Die Türken wurden angefeuert von den tiefen und archaisch-unheimlichen Orgeltönen einer riesigen und kämpferisch gestimmten Zuschauermenge. Die Schweizer kämpften allein, bis zur letzten Minute, ohne nachzulassen, – die moralische Unterstützung der heimischen Fans fehlte bis auf eine in der Masse der Türken verschwindend kleine Gruppe. Das Spiel bewegte sich oft an den äussersten Grenzen des Erlaubten. Doch der belgische Schiedsrichter vermochte die Regeln mit schnellen und klaren Entscheiden immer wieder durchzusetzen. Was nach dem Spiel geschah, lag ausserhalb seiner Verantwortung, zeigt aber auf, wie verletzlich diese Regelsysteme sind, wenn die Autoritäten bei ihrer Durchsetzung zögern. Vom Schiedsrichter, diesem einen Mann und seiner Fähigkeit, den Regeln Nachachtung zu verschaffen, hängt es ab, dass ein Fussballspiel ein Spiel bleibt und nicht in einen Gewaltkonflikt umschlägt, wozu das Potenzial zwischen zwei kämpfenden Männergruppen jederzeit spürbar vorhanden ist. Regeln: was für eine wunderbare Erfindung. Sie erlauben es, dass ein Konflikt ausgetragen wird, aber nicht über bestimmte Grenzwerte hinaus eskaliert. Die Lust der Zuschauer (und offensichtlich auch der Mitspieler selbst) am Kampf ist offensichtlich. Auf allen Erdteilen pilgern die Zuschauer jedes Wochenende zu Tausenden in die Stadien, um Zeugen eines spannenden Kampfes zu werden. Die Menschen lieben den Kampf, die Auseinandersetzung, das Kräftemessen, die Ausscheidung bis zur Bestimmung des Stärksten, des Besten an der Weltmeisterschaft. Kaum ist die Auswahl abgeschlossen, beginnen die Ausscheidungen für die nächste Runde auf unterer Ebene von neuem, und wieder fiebern die Zuschauer und bangen um den Erfolg „ihrer“ Repräsentanten, mit deren Erfolg und Misserfolg sie sich bis zum euphorischen Taumel oder zur tränenreichen Depression identifizieren. Im Sport erscheint der Konflikt gebändigt. Auf dem Platz sorgt der Schiedsrichter für die Einhaltung der Regeln. Er verkörpert und vertritt „das Recht“, das zwischen Fussballmannschaften vereinbart wurde und an das sich alle Mitwirkenden zu halten haben. Wer sich nicht daran hält, den trifft der Bannstrahl der höheren Instanz, des internationalen Verbandes, und er wird von der weiteren Teilnahme an Wettbewerben ausgeschlossen. Kampf, Kräftemessen, Wettbewerb: ein uralter und dominanter Mechanismus der Evolution. Nur wer sich im Wettbewerb gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzt, hat Chancen, seine Gene im Prozess des Lebens weitergeben zu können. Unter diesem eisernen Gesetz operiert die gesamte lebendige Natur.
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Auch das menschliche Verhalten ist davon geprägt. Nur knapp und nur bereichsweise wird es in Schach gehalten von der menschlichen Erfindung der Regelsysteme, bzw. von der Einsicht, dass nur die Begrenzung von Konflikten (durch Regeln, durch „Recht“) die Menschen davor bewahren kann, ihre mittlerweile ins Ungeheure gesteigerten Möglichkeiten der Machtanwendung gegen Konkurrenten bis zur physischen Vernichtung des Gegners (mit Gefahr der Selbstvernichtung) anzuwenden. Diese Regelsysteme gegen die archaische Lust an der Auseinandersetzung zu stärken – auch im Verhalten der Staaten gegen einander – sollte prioritäres Anliegen aller Kulturen der heutigen Weltgemeinschaft sein. Ein Zustand dauernder Weltmeisterschaft herrscht auch im akademischen Bereich, ein ständiges Gerangel um die Spitzenplätze auf der Weltrangliste, deren Inhaber periodisch in Stockholm öffentlich ausgezeichnet werden. Um an den akademischen Weltmeisterschaften erfolgreich konkurrieren zu können, braucht es – wie im Sport – eine lange Aufbauarbeit und Sponsoren. Hauptsponsor unserer Bildungsreinrichtungen und Garant der Nachhaltigkeit war und ist die öffentliche Hand. In diesem Bereich zu sparen gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Die Bildungseinrichtungen – von den Krippen bis zu den Hochschulen – sind in einem Land ohne eigene Rohstoffe von grundlegender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit und den Lebensstandard der nächsten Generationen. Für das Überleben der Schweiz in der globalisierten Welt ist es absolut zwingend, sie so wirkungsvoll, so breit und so nachhaltig wie möglich zu unterstützen.
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